Anfang der 60er Jahre beschloss die medizinische Fakultät der Universität Zürich, den Chefarztposten der neu geschaffenen chirurgischen Klinik A mit dem Herzchirurgen Ake Senning aus Schweden zu besetzen. Es war dies in der damaligen Zeit eine mutige und weitsichtige Entscheidung. Ein kurzer Rückblick soll uns vor Augen führen, auf wessen «Schultern» wir in dieser heute noch bewunderten Disziplin stehen.
«Ein Chirurg, der versucht, eine Wunde am Herzen zu nähen, wird die Achtung seiner Kollegen für immer verlieren.» Dieses schwerwiegende Verdikt von Theodor Billroth Ende des 19. Jahrhunderts hat bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gewirkt. Ake Senning wurde 1915 in Rättvik in Schweden geboren. Seinem Lehrer Clarence Crafoord gelang 1954 die erste Operation am offenen Herzen in Europa mit Hilfe einer von Senning entwickelten Herz-Lungen-Maschine (Abb. 1). Die Sterblichkeit bei offenen Herzoperationen war da-mals mit 30–40% unerträglich hoch.
Abbildung 1.
Ake Senning (links) diskutiert mit seinem Chef und Lehrer Clarence Crafoord (rechts) über die von ihm entwickelte erste Herz-Lungen-Maschine in Europa im Jahre 1954.
Abbildung 1.
Ake Senning (links) diskutiert mit seinem Chef und Lehrer Clarence Crafoord (rechts) über die von ihm entwickelte erste Herz-Lungen-Maschine in Europa im Jahre 1954.
Ake Senning implantierte in Stockholm 1958 den weltweit ersten intrakardialen Herzschrittmacher (Abb. 2). Mit dieser kühnen Pioniertat wird sein Name immer verbunden bleiben. Die Zeit war für diesen Eingriff noch nicht reif, da noch keine industriell entwickelte Hülle für die Implantation der Elektronik in den Körper zur Verfügung stand. Senning und der Ingenieur Rune Elmqvist (Abb. 3) verwendeten unter Zeitdruck einen Plastikbecher als Gussform für die Epoxydharzhülle des elektronischen Teils des Schrittmachers (Abb. 2). Stellen Sie sich die Überforderung heutiger Ethikkommissionen bei einer solchen Entscheidung vor!
Abbildung 2.
Weltweit erster von Ake Senning 1958 implantierter Schrittmacher. Die Induktionsspule zur Aufladung von aussen ist gut sichtbar.
Abbildung 2.
Weltweit erster von Ake Senning 1958 implantierter Schrittmacher. Die Induktionsspule zur Aufladung von aussen ist gut sichtbar.
Abbildung 3.
Ake Senning (Mitte) mit dem Ingenieur Rune Elmqvist (links), der mit ihm den ersten Schrittmacher entwickelt hatte, und dem ersten Patienten mit AV-Block III 30 Jahre nach dem historischen Eingriff.
Abbildung 3.
Ake Senning (Mitte) mit dem Ingenieur Rune Elmqvist (links), der mit ihm den ersten Schrittmacher entwickelt hatte, und dem ersten Patienten mit AV-Block III 30 Jahre nach dem historischen Eingriff.
Als Senning 1961 seine Stelle in Zürich antrat (Abb. 4), war die Schweiz herzchirurgisches Niemandsland. Alles musste neu entwickelt und aufgebaut werden: Instrumentarium, Herz-Lungen-Maschine, Anästhesie, Intensivstation, Röntgen, Labor und Blutbank. Die bereits bestehende Kardiologie leistete einen enormen Beitrag, und sie erhielt durch das neue Fach der Herzchirurgie einen entscheidenden Innovationsschub. In der damaligen Aufbruchstimmung war durchaus auch Skepsis zu spüren. So erinnere ich mich an Vorlesungen, die ich als junger Student im grossen Hörsaal besuchte, in denen ein berühmter älterer Professor für Innere Medizin wiederholt mit erhobenem Zeigefinger warnte vor «diesem jungen gefährlichen Mann aus Schweden, der in das Herz schneidet ohne Respekt für dieses Organ, den wir in unserer Jugend erlernt haben». Diese anfängliche Skepsis verschwand mit den Jahren und wich grossem Respekt für Können, Arbeitseinsatz und Innovationskraft des jungen Mannes aus Schweden.
Abbildung 4.
Ake Senning (1915–2000) als Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik A am damaligen Kantonsspital Zürich.
Abbildung 4.
Ake Senning (1915–2000) als Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik A am damaligen Kantonsspital Zürich.
Senning hatte den Vorsprung des Pioniers, der an vorderster Front sein Fach mitaufgebaut hatte. Er war nicht nur der ausführende Chirurg, sondern—sogar aus Sicht der jeweiligen Fachspezialisten—der beste Kardiologe, Kardioradiologe, Intensivmediziner, Kenner des Blut- und des Elektrolythaushaltes—in der heutigen Zeit der Superspezialisten völlig unvorstellbar.
Bleibende Beiträge Sennings sind neben der ersten Schrittmacherimplantation die Kombination von Bypass mit Hypothermie und induziertem Kammerflimmern, die Korrektur total falsch mündender Lungenvenen, seine Technik zur Korrektur der grossen Gefässe und die erstmalige Erweiterungsplastik einer Koronararterie.
Senning ist aber nicht nur der aus Schweden «importierte» Chirurg, der in der Schweiz die Herzchirurgie eingeführt hat. Seine Freude an Innovationen und sein Glaube an den Fortschritt der Technik waren grenzenlos. In seinem Geist war er ein Homo technicus, mit seinem Herzen ein Arzt. Mit dieser Haltung hat er weit über sein Fachgebiet hinaus die Medizin und Generationen von Ärzten in der Schweiz beeinflusst. Heute können wir uns den Luxus leisten zu diskutieren, wo die Herztransplantation zentralisiert werden soll.
Der grosse Schwede Ake Senning—so nannte ihn der schwedische Botschafter anlässlich der Abdankung vor 10 Jahren—wird uns als Arzt in Erinnerung bleiben, der in der Schweiz seine Vision gelebt und verwirklicht hat. Die Schweizer Medizin im Allgemeinen und das UniversitätsSpital Zürich im Besonderen verdanken ihm viel.