Zusammenfassung
Die Prognose der degenerativen, mittelschweren bis schweren Mitralinsuffizienz ist auch beim wenig symptomatischen Patienten mit Vorsicht zu stellen. Ziel dieser Untersuchung war es, zu dokumentieren, ob eine Operation im Frühstadium der Erkrankung vor Eintreten von Komplikationen wie Verschlechterung des funktionellen Status, Abnahme der linksventrikulären Funktion und Auftreten von Vorhofflimmern empfohlen werden soll.
Alle 688 Patienten, die von 1987–2006 operiert wurden, wurden retrospektiv nachkontrolliert und bezüglich Risikofaktoren wie Alter, Art der Operation (Klappenersatz vs Rekonstruktion), Thromboembolien und Blutungen, Reoperationen wegen residueller oder erneuter Mitralinsuffizienz, NYHA-Klasse, linksventrikuläre Auswurffraktion und Herzrhythmus analysiert.
Langzeitprognose und Komplikationsrate waren günstiger bei Patienten mit rekonstruierbarer Klappe sowie bei präoperativ tieferer NYHA-Klasse, besserer linksventrikulärer Funktion und normalem Sinusrhythmus. Relativiert wird die Interpretation der Resultate allerdings durch das etwas höhere Alter der Patienten mit schlechterem präoperativem Risikoprofil.
Schlussfolgerung: Die Indikation zur Operation bei mittelschwerer bis schwerer, degenerativer Mitralinsuffizienz und rekonstruierbarer Klappe sollte gestellt werden bevor die linksventrikuläre Funktion sich verschlechtert oder Vorhofflimmern auftritt, auch wenn der Patient noch asymptomatisch ist.
Schlüsselwörter: degenerative Mitralinsuffizienz; Mitralklappenrekonstruktion; Mitralklappenersatz; Langzeitverlauf
Einleitung
Im Verlaufe der vergangenen 20 Jahre hat sich die Chirurgie der Mitralinsuffizienz in mehrerer Hinsicht verändert. Einerseits haben neuere Studien über den natürlichen Verlauf des unbehandelten Klappenfehlers gezeigt, dass die Prognose auch beim wenig symptomatischen Patienten mehr Risiken birgt, als lange Zeit angenommen wurde [
1,
2]. Andererseits erlauben Fortschritte in der Diagnostik, vor allem in der Echokardiographie, eine zunehmend präzisere Bildgebung der Klappenanatomie, während Erfahrungen mit neueren chirurgischen Techniken das Operationsrisiko verringert haben. Dies hat dazu geführt, dass heute oft empfohlen wird, die Indikation zur Operation zu stellen, bevor Komplikationen wie funktionelle Einschränkungen mit Anstrengungsdyspnoe, Rhythmusstörungen oder Zeichen der Herzinsuffizienz eingetreten sind. Die Frage stellt sich, ob Verlauf und Prognose dadurch tatsächlich verbessert werden. In einer retrospektiven Untersuchung soll deshalb der Verlauf nach Mitralklappenersatz (MKE) oder -rekonstruktion (MKR) wegen Mitralinsuffizienz über zwei Jahrzehnte dargelegt und bezüglich Überleben, kardio-vaskulärer Komplikationen und Todesfallursachen analysiert werden.
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen, die eine Klappeninsuffizienz verursachen, sind meistens degenerativer Natur (in unserem Krankengut 83%). Die hier präsentierte Arbeit schliesst nur Patienten mit dieser Ätiologie ein.
Rheumatische Erkrankungen sind seit der Einführung von Penicillin vor über 60 Jahren zunehmend seltener geworden. Aus dem gleichen Grund sind auch bakterielle Endokarditiden seltener ein Grund für eine chirurgische Intervention. Durch Koronarsklerose bedingte, ischämische Mitralinsuffizienzen sind sekundärer Natur, haben eine andere Prognose und werden chirurgisch nach anderen Prinzipien angegangen.
Patienten und Methodik
Von 1987–2006 wurden am HerzZentrum Hirslanden 688 konsekutive Patienten mit meist schwerer, gelegentlich mittelschwerer, degenerativer Mitralklappeninsuffizienz operiert. Patienten mit Status nach früherer Mitralklappenoperation oder gleichzeitigem Aortenklappenersatz wurden dabei ausgeschlossen, nicht aber solche mit funktioneller Trikuspidalinsuffizienz und koronarer Erkrankung, sofern diese nicht Ursache der Mitralinsuffizienz war.
Die Diagnose «degenerative Mitralinsuffizienz» wurde auf Grund echokardiographischer Befunde gestellt. In den meisten Fällen war ein Segelprolaps nachweisbar, wobei der freie Rand mindestens eines Segels über die Anulusebene prolabierte. Die Ursache dafür war entweder eine myxomatöse Segelhypertrophie, eine Chordae-Elongation oder eine Chordae-Ruptur. Eine Anulusdilatation (besonders im posterioren Bereich) und gelegentliche, sekundäre Verkalkungen waren ebenfalls Teil des pathologisch-anatomischen Befundes.
Der Grad der Insuffizienz wurde ebenfalls echokardiographisch semiquantitativ beurteilt (1+ minimal, 2+ leicht, 3+ mittelschwer, 4+ schwer). Seit knapp 10 Jahren wurde dafür auch die Vena contracta als Gradmesser verwendet, wobei eine Distanz von 4–6 mm einer mittelschweren und eine solche von >6 mm einer schweren Insuffizienz entsprach.
Risikofaktoren wie präoperative funktionelle NYHA-Klasse, Auswurffraktion (EF) und chronisches Vorhofflimmern (cVF) wurden univariat statistisch analysiert (Fisher-Exact-Test), die Überlebenskurven aktuariell dargestellt (Kaplan-Meier) und statistisch auf Unterschiede geprüft (1-tailed p-Wert nach Mantel-Cox).
Das klinische Profil der Patienten, zusammengefasst je nach Art der Operation (Klappenrekonstruktion oder -ersatz), ist aus
Tabelle 1 und
Abbildung 1 ersichtlich. Vorhofflimmern (VF) wurde als chronisch beurteilt, wenn es mehr als 6 Monate ununterbrochen nachweisbar war. Über Ersatz oder Rekonstruktion der Klappe entschied jeder Chirurg nach eigenem Urteil. Im Verlaufe der Jahre und mit zunehmender Erfahrung wurde die Rekonstruktion immer häufiger bevorzugt, so dass während der letzten 5 Jahre die Klappe fast immer repariert und erhalten werden konnte. Patienten mit MKE waren präoperativ etwas älter, in höherer NYHA-Klasse und öfter im cVF. Der Anteil mit reduzierter linksventrikulärer (LV)-Funktion war in beiden Gruppen ähnlich.
Tabelle 1.
Klinisches Profil der Patienten mit degenerativer Mitralinsuffizienz je nach Operation (Rekonstruktion vs Ersatz).
Tabelle 1.
Klinisches Profil der Patienten mit degenerativer Mitralinsuffizienz je nach Operation (Rekonstruktion vs Ersatz).
Postoperativ wurde bei VF sowie nach MKE mit mechanischer Prothese eine Dauerantikoagulation empfohlen (empfohlener INR-Wert 2.5–3.0). Bei Patienten nach MKR und Sinusrhythmus wurde eine Antikoagulation lediglich für 2–3 Monate aufrechterhalten und dann auf eine lebenslange Prophylaxe mit Aspirin umgestellt.
Operative Daten
Beim Klappenersatz verwendeten wir – wenn möglich unter Erhalt des posterioren subvalvulären Apparates – bei 79 Patienten eine mechanische Doppelkippscheibe (Saint Jude Medical) und einmal eine porcine Bioprothese (Edwards Lifesciences).
Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die chirurgische Technik der Rekonstruktionen. Bis 2004 diente immer eine Sternotomie als Zugang.
Tabelle 2.
Chirurgische Technik (n = 608).
Tabelle 2.
Chirurgische Technik (n = 608).
Seit 2004 wurde bei dazu geeigneter Anatomie auch ein minimal invasiver Zugang durch eine kleine, rechte, antero-laterale Thorakotomie gewählt und die Operation videoskopisch mittels «port access» durchgeführt. Am häufigsten wurde das hintere Segel partiell reseziert, der Anulus gerafft und ein Ring eingenäht (bis 1995 ein starrer Carpentier-Edwards-Ring, später ein semiflexibler Carpentier-Edwards-Physio®-Ring).
Eine präoperativ diagnostizierte, mittelschwere oder schwere funktionelle Trikuspidalinsuffizienz wurde bei 59 Patienten mittels Anuloraphie (meistens eine «de-Vega-Plastik») korrigiert.
Seit 1997 wurde bei 28, vom jeweiligen Chirurgen ausgewählten Patienten mit cVF oder intermittierendem Vorhofflimmern (iVF) zusätzlich auch eine Vorhofsprozedur durchgeführt. Es kamen verschiedene Techniken zur Anwendung, die von der Standard-Cox-Maze-III-Operation, verschiedenen Mini-Maze-Prozeduren bis zur Radiofrequenzablation der Pulmonalvenenmündungen reichten. Dabei wurde auch immer das linke Vorhofsohr abgetragen.
Resultate
Frühpostoperativ, d.h. innerhalb der ersten 30 Tage, verstarben 14 Patienten (
Tabelle 3). Nicht ganz die Hälfte aller Todesursachen war kardio-vaskulär .
Tabelle 3.
Frühtodesfälle.
Tabelle 3.
Frühtodesfälle.
Das perioperative Risiko betrug 2% und war zwischen den beiden Gruppen MKE und MKR nicht verschieden (p = 1). Frühpostoperativ starben in der MKR-Gruppe 7 von 298 in präoperativer NYHA-Klasse I + II sowie 6 von 310 in NYHA-Klasse III + IV (p = 0,78); bei präoperativer EF <60% waren es 6 von 150 und bei einer EF >60% 6 von 409 (p = 0,09) sowie 1 von 59 bei unbekannter EF; 8 von 372 starben in der Gruppe mit präoperativ normalem Sinusrhythmus, 3 von 94 mit cVF (p = 0,5) und 2 von 111 mit iVF.
Perioperative, nicht letale, fokal-neurologische Ausfälle mussten bei 31 Patienten registriert werden (4,6%). Bei 21 (3,1%) handelte es sich um transient ischämische Attacken oder um Ausfälle, die innerhalb weniger Wochen reversibel und am ehesten Folge einer intraoperativen Luftembolie waren. Bei 10 (1,5%) kam es zu schwereren neurologischen Ausfällen, die eine Verlegung in eine spezialisierte Neurorehabilitationsklinik notwendig machten.
Die postoperative Beobachtungszeit reichte von 1 bis zu 238 Monaten (im Mittel 84 nach MKE und 82 nach MKR). 7 Patienten (1%) konnten über mehr als 24 Monate weder durch den behandelnden Arzt noch telefonisch oder direkt mittels Fragebogen kontaktiert werden und gelten als «lost».
Spätpostoperativ starben 88 Patienten (13%).
Tabelle 4 gibt eine Übersicht über die Todesursachen. Auffallend ist, dass bei gleicher Beobachtungszeit nach MKE mehr Patienten starben als nach MKR (p <0,0001), was durch den unterschiedlichen präoperativen Zustand der beiden Patientengruppen erklärt werden kann. Der relative Anteil kardio-vaskulärer Todesursachen war in der MKE-Gruppe ebenfalls relativ höher als nach MKR (18 von 29 bzw. 25 von 59), erreichte aber die statistische Signifikanz nicht (p = 0,11).
Tabelle 4.
Spättodesfälle.
Tabelle 4.
Spättodesfälle.
Die Anzahl letaler sowie nicht letaler post-operativer Embolien und Antikoagulantien-Blutungen ist in
Tabelle 5 zusammengefasst. Blutungen wurden nur erfasst, wenn sie eine Hospitalisation zur Folge hatten und Transfusionen benötigten. Die häufigsten zerebralen Ereignisse waren sowohl nach MKR als auch nach MKE transient-ischämische Attacken oder in wenigen Wochen weitgehend reversible Ereignisse. Gesamthaft waren 8% der Ereignisse tödlich (7% nach MKR, 14% nach MKE).
Tabelle 5.
Postoperative Thromboembolien und Blutungen.
Tabelle 5.
Postoperative Thromboembolien und Blutungen.
Von den 7 Patienten mit schweren zerebralen Embolien waren 5 im chronischen Vorhofflimmern und bei zweien war im postoperativen Verlauf ein normaler Sinusrhythmus dokumentiert. Über eine Antikoagulation zum Zeitpunkt der Embolie gibt es keine sicheren Angaben. Die Inzidenz von Ereignissen aller Art war in der Gruppe MKR mit einer Rate von 1,09 Ereignissen pro 100 Jahre 20% tiefer als nach MKE mit einer Rate von 1,31. Statistisch gab es aber keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen (p = 0,65).
In
Tabelle 6 sind die wegen residueller oder erneuter Mitralinsuffizienz nach MKR durchgeführten 22 Reoperationen (3,7%) zusammengefasst. 17 mussten bereits im Verlaufe der ersten 2 Jahre durchgeführt werden. Eine defekte Rekonstruktion war die häufigste Ursache (meistens ein dehiszenter Anuloplastie-Ring sowie eine Nahtdehiszenz der posterioren Anuloraphie oder Segelplastik). Eine auch längerfristig nicht reversible SAM (systolic anterior motion) des anterioren Segels mit schwerer Mitralinsuffizienz und LV-Ausflussbahnstenose nach posteriorer Anuloraphie trat lediglich bei einem Patienten auf und musste am 2. postoperativen Tag mittels Klappenersatz behoben werden. In leichterer Form konnte dieses Phänomen echokardiographisch bei 26 Patienten (4%) nachgewiesen werden und war unter Volumensubstitution und Betablockade unter Kontrolle zu bringen.
Abbildung 2 zeigt den Verlauf der Klappeninsuffizienz nach MKR auf Grund der postoperativen Echokardiographie-Befunde. Nach ca. 10 Jahren wurde bei 7% eine residuelle Mitralinsuffizienz von 3+ (selten 4+) festgestellt, im weiteren Verlauf stieg der Anteil auf 20%.
Tabelle 6.
Reoperationen wegen residueller oder erneuter Mitralinsuffizienz nach Klappen-Rekonstruktion.
Tabelle 6.
Reoperationen wegen residueller oder erneuter Mitralinsuffizienz nach Klappen-Rekonstruktion.
Postoperative, bakterielle Endokarditiden traten dank konsequenter Endokarditis-Prophylaxe in unserem Krankengut nur 4mal auf (3mal nach MKR, 1mal nach MKE).
Die
Abbildung 3A,B zeigen die NYHA-Klassifizierung im postoperativen Verlauf. Präoperativ wenig symptomatische Patienten (NYHA I + II) blieben postoperativ über viele Jahre in unverändert gutem Zustand; präoperativ deutlich symptomatische (NYHA III + IV) verbesserten sich postoperativ zu 80% auch längerfristig in Klasse I + II.
In den
Abbildung 4A–D ist der Langzeitverlauf des Herzrhythmus dargestellt. Fast alle Patienten mit präoperativ normalem Sinusrhythmus konnten diesen über mehr als 10 Jahre halten; später sank der Anteil auf 60%. Bei Patienten mit präoperativ cVF waren 40% während der ersten postoperativen Jahre im normalen Sinusrhythmus, nach 10–20 Jahren noch 30%. Die Werte bei präoperativ iVF lagen mit 80% im normalen Sinusrhythmus während der ersten 5 postoperativen Jahre und mit 45% nach 15 Jahren dazwischen. Da nicht immer mit Sicherheit entschieden werden konnte, ob ein VF chronisch oder intermittierend war, haben wir in der
Abbildung 4D alle Patienten, die präoperativ iVF oder cVF dokumentiert hatten, zusammengefasst. Post-operativ waren in dieser Gruppe im ersten Zeitintervall knapp über 60% im normalen Sinusrhythmus, im letzten noch knapp 40%.
Bei den 28 Patienten nach Vorhofsablation wegen cVF oder iVF zeigte die erste postoperative Kontrolle innerhalb eines Jahres einen Anteil von 75% im normalen Sinusrhythmus. Auf Grund der kleinen Fallzahlen und der verschiedenen Ablationstechniken haben wir auf eine graphische Darstellung und weitere Auswertung verzichtet.
Die
Abbildung 5,
Abbildung 6,
Abbildung 7,
Abbildung 8 and
Abbildung 9 zeigen das postoperative Überleben über 10–20 Jahre. In der univariaten Analyse waren dabei höheres Alter, MKE, NYHA-Klasse III und IV, EF <60% und cVF Grund für signifikant schlechtere Überlebenschancen.
Diskussion
Vor 15 Jahren wurde die degenerative Mitralinsuffizienz allgemein noch als ein Klappenvitium mit niedriger Komplikationsrate angesehen. Es galt, dass
«patients with mitral regurgitation remain asymptomatic for many years…» [
3]. Vor 10 Jahren begann man dies in Frage zu stellen und in den Guidelines des ACC/AHA war zu lesen, dass
«asymptomatic patients with mitral regurgitation and normal left ventricular function, left ventricular enddiastolic diameter of <45 mm and sinus rhythm should have regular clinical and echocardiographic follow-up…» [
4]. In einer Langzeitstudie über den natürlichen Verlauf der Mitralinsuffizienz aus der Mayo Clinic vor 5 Jahren hiess es dann bereits warnend, dass
«moderate to severe mitral regurgitation is the most frequent primary risk factor for cardiovascular mortality in asymptomatic patients…». Das Risiko, innerhalb von 10 Jahren vorzeitig an kardio-vaskulärer Ursache zu sterben, lag bei Patienten in dieser Studie 45% höher als erwartet [
1].
Chirurgische Eingriffe bei wenig oder asymptomatischen Patienten müssen eine klar definierte Indikation haben und ein niedriges Operationsrisiko garantieren. Es muss evident sein, dass die präoperativ noch gute Lebensqualität dieser Patienten erhalten bleibt, das Operationsresultat dauerhaft ist und das Leben verlängert. Randomisierte Studien, die dies belegen würden, gibt es nicht.
Wir haben deshalb versucht, die Operationsresultate bei Patienten mit degenerativer Mitralinsuffizienz retrospektiv zu analysieren. Auch wenn Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben, keine Evidenz darstellen, so handelt es sich bei dieser Untersuchung wegen der relativ grossen Zahl konsekutiver Patienten und der langen Beobachtungszeit doch um sog. «real world data», denen eine Aussagekraft kaum abgesprochen werden kann. Als «Single-Center»-Studie andererseits sind Interpretationen wieder zu relativieren, da die Patientenpopulation eines einzelnen Spitals nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist.
Das Operationsrisiko von 2% für das gesamte Kollektiv ist niedrig, aber nicht sehr niedrig, wenn es sich um einen Wahleingriff handelt. Ein Vergleich mit dem «Euro-Score», dem «European system for cardiac operative risk evaluation» von 1999 zeigt, dass sich das zu erwartende Risiko einer Mitralklappen-Operation für einen sonst gesunden 65jährigen Mann auf 2% rechnet und bei höherem Alter, einer EF <50%, schwerer pulmonaler Hypertonie oder einem Notfalleingriff deutlich höher ausfällt [
5]. Für die Risikofaktoren wie Ersatz
vs Rekonstruktion, höhere NYHA-Klasse, cVF und EF konnte in unserem Krankengut interessanterweise kein statistisch signifikanter Einfluss nachgewiesen werden, obwohl Patienten mit solchen Profilen im Durchschnitt 2–6 Jahre älter waren als die übrigen. Eine Erklärung kann sein, dass z.B. bei relativ akut auftretender Mitralinsuffizienz die Beschwerden sehr ausgeprägt sein können und die kardiale Funktion vorübergehend schlecht, aber noch nicht chronisch geschädigt ist. Das perioperative Risiko kann deshalb geringer sein als auf Grund der dokumentierten Werte zu erwarten wäre, da eine relativ rasche Erholung trotz schlechter Ausgangslage möglich ist.
Es gibt aber auch oligobis asymptomatische Patienten mit chronischer Mitralinsuffizienz, VF und reduzierter, linksventrikulärer Funktion, die sich nicht in einer reduzierten EF zeigt, da diese durch die Klappeninsuffizienz maskiert wird. Die Erholungschancen sind unter diesen Umständen reduziert und das Operationsrisiko höher als auf Grund der NYHA-Klasse und der (falsch) normalen EF zu erwarten wäre.
Die Todesursachen im Langzeitverlauf waren nach MKR zu 42% kardio-vaskulär bedingt. Werden die unbekannten Todesursachen hälftig den kardio-vaskulären und nicht den kardialen zugeordnet, so steigt das Risiko nach MKR an einer kardio-vaskulären Ursache zu sterben auf knapp 50%. Dieser Wert liegt etwas über demjenigen von 40%, den das Bundesamt für Statistik für die Gesamtbevölkerung während der letzten 10 Jahre beobachtet hat [
6]. Ob deshalb die Operation möglichst im früheren Stadium empfohlen werden soll, um das kardio-vaskuläre Todesfallrisiko zu senken, ist kaum zu beweisen, aber auf Grund des sehr günstigen Verlaufes der Überlebenskurve von Patienten in präoperativ tiefer NYHA-Klasse nicht auszuschliessen.
Thromboembolien und Antikoagulantienblutungen gehören zu den am meisten gefürchteten Komplikationen nach Mitralklappenoperationen. Die wahre Häufigkeit ihres Auftretens kann nur schwer dokumentiert werden, da kleinere Ereignisse retrospektiv nicht immer erfasst werden. Schwerere Embolien oder Blutungen werden zwar registriert, ob sie aber durch die Mitralklappe oder durch eine andere Pathologie verursacht wurden, kann oft nicht differenziert werden. Man nimmt allgemein an, dass nach MKR diese Ereignisse seltener auftreten als nach MKE mit mechanischer Prothese [
7,
8,
9,
10]. Auch in unserem Krankengut trifft dies zu, der Unterschied erreicht aber die statistische Signifikanz nicht. Die Inzidenz ist sowohl nach MKE mit 1,31 Episoden pro 100 Patienten-Jahre als auch nach MKR mit 1,09 Episoden im internationalen Vergleich gering. Dass nur 1⁄4 der Ereignisse schwer und mit Langzeitfolgen behaftet sind, deutet auf einen hohen Erfassungsgrad hin. Es zeigt aber auch die Effizienz der hausärztlichen Betreuung in der Überwachung von Herzrhythmus und Antikoagulation sowie die gute Compliance der Patienten. Eine liberale Indikation zur Antikoagulation oder ev. Antiaggregation scheint in Anbetracht der guten postoperativen Nachsorge und der niedrigen Blutungskomplikationen vertretbar.
Die meisten Patienten wünschen, dass die Mitralklappe erhalten und nicht ersetzt wird. Die Achilles-Ferse dabei ist die Stabilität der Rekonstruktion im Langzeit-Verlauf. Sie ist abhängig von der Pathologie, aber auch von der chirurgischen Technik. Die von Carpentier in den 1970er und 80er Jahren entwickelten und von uns übernommenen Techniken haben sich bewährt [
11,
12,
13]. Degenerative Erkrankungen (im Gegensatz zu rheumatischen und auch zu endokarditischen) eignen sich speziell für eine Rekonstruktion. So war es für uns möglich, 88% der Klappen zu erhalten. Im Verlaufe der 20 Beobachtungsjahre mussten lediglich 3,7% der Patienten wegen residueller oder erneuter Insuffizienz reoperiert werden, 3⁄4 davon innerhalb der ersten 2 Jahre, was auf technische Probleme hinweist und vorwiegend mit der chirurgischen Erfahrung zusammenhängt. Aber auch Fortschritte in der Echokardiographie (insbesondere der transösophagealen) haben entscheidend dazu beigetragen, die Resultate zu verbessern und auch die Möglichkeiten einer Rekonstruktion vorauszusagen. Die Verwendung eines starren oder semiflexiblen Ringes scheint das Risiko einer erneuten, progressiven Mitralinsuffizienz ebenfalls zu reduzieren. Deren Inzidenz im spät postoperativen Verlauf ist selbstverständlich höher als die Reoperationsrate. Sie ist aber nicht immer Folge eines fortschreitenden degenerativen Prozesses der Mitralis oder der Erstoperation. Zusätzliche koronare oder myokardiale Erkrankungen können beim immer älter werdenden Menschen eine sekundäre Mitralinsuffizienz verursachen, die medikamentös oft besser zu behandeln ist als chirurgisch. Dieser ungünstige Verlauf ist vor allem bei älteren Patienten mit bereits präoperativ eingeschränkter LV-Funktion und cVF zu erwarten und deckt sich mit Erfahrungen aus der Literatur [
14,
15,
16,
17].
Die Überlebenskurven ergeben für das gesamte Patientenkollektiv sehr gute Werte. Mit einer 10-Jahre-Überlebensrate von 58% in der Gruppe der über 75jährigen Patienten kann von einer altersentsprechend normalen Lebenserwartung gesprochen werden [
6]. Aufgeteilt nach Ersatz und Rekonstruktion zeigt sich das erwartete Resultat, dass Patienten nach MKR bessere Überlebenschancen haben als diejenigen nach MKE [
10,20]. Der Unterschied dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass Patienten mit nicht rekonstruierbarer Klappe präoperativ etwas älter und in kardial schlechterem Zustand waren, und somit nur zum Teil der Prothese zuzuschreiben sei.
Das Überleben muss auch immer in Verbindung zur Lebensqualität gebracht werden. So zeigte sich bei unseren Patienten, dass die präoperativ deutlich symptomatischen post-operativ zwar ein sehr gutes funktionelles Resultat erreichten, aber trotzdem eine signifikant schlechtere Lebenserwartung hatten. Dies konnte auch aus Berichten in der Literatur abgeleitet werden [
9,
10,
18,20].
Der Einfluss der präoperativen LV-Funktion auf das postoperative Überleben wurde bereits vor über zehn Jahren dokumentiert [
19]. Auch in unserem Krankengut hatten Patienten mit erhaltener EF eine bessere Überlebenschance, auch wenn festgehalten werden muss, dass sie im Durchschnitt zwei Jahre jünger waren als diejenigen mit reduzierter LV-Funktion [
9,
10,
14].
Patienten mit Mitralinsuffizienz entwikkeln häufig supraventrikuläre Rhythmusstörungen, vor allem VF. Das kann zu einer funktionellen Verschlechterung, einer Herzinsuffizienz und zu einem erhöhten Thromboembolie-Risiko führen [21]. Die Frage, ob eine Operation im Frühstadium der Erkrankung diese Entwicklung verhindern kann, bleibt offen. Unsere Langzeitergebnisse zeigen, dass bei präoperativ cVF die postoperativen Überlebenschancen signifikant sinken. Über 90% der Patienten mit präoperativ normalem Sinusrhythmus blieben über mehr als zehn Jahre im normalen Sinusrhythmus, hatten dann aber eine zunehmende Tendenz, ins VF zu wechseln. Mindestens teilweise war dies dem Patientenalter zu zuschreiben und nicht nur einer Folge der Mitralklappenerkrankung. Die Konversionsrate in normalen Sinusrhythmus bei präoperativem VF (iVF und cVF) lag im Verlaufe des ersten Jahres bei 60%. Dieser Anteil sank nach 15 Jahre langsam auf 40%. Ob eine postoperative Konversion in einen normalen Sinusrhythmus die Überlebenschancen tatsächlich verbessert, scheint auf Grund von Literaturangaben unwahrscheinlich; vorläufig ebenfalls nicht schlüssig zu beantworten ist, ob eine Vorhofsprozedur den normalen Sinusrhythmus postoperativ auch längerfristig stabilisiert und sich lebensverlängernd auswirkt [22,23,24,25,26].
Schlussfolgerungen
Ob einem asymptomatischen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer, degenerativer Mitralinsuffizienz die Operation empfohlen werden soll, um den natürlichen Verlauf und die Prognose zu verbessern, kann so beantwortet werden:
- –
Die mittelschwere und schwere Mitralinsuffizienz ist auch beim asymptomatischen Patienten mit hohem kardio-vaskulärem Risiko behaftet.
- –
Die komplikationsfreie Langzeit-Überlebenschance nach erfolgreicher Klappenrekonstruktion beim präoperativ oligo- oder asymptomatischen Patienten mit normalem Sinusrhythmus und bei erhaltener LV-Funktion ist sehr gut.
- –
Eine präoperativ höhere NYHA-Klasse, VF und eine reduzierte LV-Funktion sind Marker für ein erhöhtes Risiko im post-operativen Langzeitverlauf.
- –
Die Resultate klappenerhaltender Operationen sind funktionell dauerhaft, Spätkomplikationen sind selten.