Einführung
Die Karotisendarterektomie hat sich bei hochgradigen und bei symptomatischen Karotisstenosen gegenüber der medikamentösen Therapie in der Hirnschlagprävention in grossen randomisierten Studien als überlegen erwiesen. Seit einigen Jahren hat die Anzahl an perkutanen Revaskularisationen weltweit exponentiell zugenommen. Ein grosses Wachstum wurde vor allem beobachtet, nachdem Embolieprotektionssysteme zur Anwendung kamen [
1]. Die Anzahl randomisierter Studien, welche das Karotis-Stenting mit dem «Goldstandard» Endarterektomie verglichen haben, ist limitiert. Die neueste Studie—SPACE (Stent Protected Percutaneous Angioplasty of the Carotid Artery versus Endarterectomy)-Studie—wurde von Professor Werner Hacke, Neurologe an der Universitätsklinik Heidelberg, am European Stroke Meeting am 19. Mai 2006 in Brüssel vorgestellt [
2].
SPACE-Design
Es handelt sich um eine prospektive, randomisierte, multizentrische Studie, welche im deutschsprachigen Raum von Neurologen, Gefässchirurgen und interventionellen Neuroradiologen durchgeführt wurde. Die Daten wurden zentralisiert ausgewertet. Das Einschlusskriterium war eine symptomatische Karotis-interna-Stenose ≥70% nach ECST-Kriterien bzw. ≥50% nach den üblicherweise angewendeten NASCET-Kriterien. Die Patienten wurden zur Endarterektomie oder zum Stenting der Karotis mit oder ohne Embolieprotektionssystem randomisiert. Die Studie war angelegt, die «Non-Inferiority» einer der beiden Strategien zu testen. Für die Berechnung der Patientenanzahl wurde eine Ereignisrate von 5% angenommen. Für eine 80prozentige statistische Aussagekraft hätten 950 Patienten pro Gruppe randomisiert werden müssen. Die «Non-Inferiority»-Schwelle wurde bei 2,5% angesetzt. Der primäre Endpunkt war ein ipsilateraler Schlaganfall oder Mortalität zwischen Randomisierung und Tag 30. Die Studie wurde nach Einschluss von 1200 Patienten abgebrochen. Basierend auf Interimsanalysen hätten mehr als 2500 Patienten erfasst werden müssen, um diese Aussagekraft zu erreichen. Mehr als vier Jahre wären nötig gewesen, um die restlichen Patienten einzuschliessen.
Resultate
Insgesamt 599 Patienten wurden zum Karotis-Stenting und 548 zur Endarterektomie randomisiert. In der Karotis-Stenting-Gruppe wurde ein Embolieprotektionssystem nur in 42% der Fälle eingesetzt. Der primäre Endpunkt (ipsilateraler Schlaganfall oder Mortalität innert 30 Tagen) wurde in 6,8% der Karotis-Stenting- und in 6,3% der Endarterektomie-Patienten erreicht (
Figure 1). Der Unterschied war statistisch nicht signifikant.
Limitationen
Die SPACE-Studie hat unserer Meinung nach drei Limitationen. Erstens wurde die Studie frühzeitig abgebrochen. Dies geschah nicht zum ersten Mal auf diesem Gebiet, auch die SAPPHIRE (Stenting and Angioplasty with Protection in Patients at High Risk for Endarterectomy)-Studie musste frühzeitig abgebrochen werden [
3]. Zweitens wurden in der SPACE-Studie die periinterventionellen Myokardinfarkte nicht systematisch erfasst. In der SAPPHIRE-Studie (s.u.) war die Rate der Myokardinfarkte statistisch signifikant unterschiedlich (6,6% in der Endarterektomie-, 1,9% in der Stent-Gruppe, p = 0,04). Dies ist insbesondere von Wichtigkeit, da Myokardinfarkte im Rahmen von gefässchirurgischen Eingriffen mit einer erhöhten Spätmortalität verbunden sind [
4]. Es ist somit anzunehmen, dass der Ausschluss des Endpunkts Myokardinfarkt das Stenting benachteiligt hat. Drittens wurden die Embolieprotektionssysteme nur in etwa 40% der Karotis-Stenting-Fälle eingesetzt—trotz Evidenz, dass solche Systeme neurologische Komplikationen beim Karotis-Stenting deutlich reduzierten [
5].
Perspektive
SPACE ist eine wichtige Studie, die neue Informationen auf dem Gebiet der Karotis-Revaskularisation liefert. Bislang gab es nur zwei grosse (>300 Patienten) randomisierte Studien, welche die Endarterektomie mit Angioplastie/Stenting verglichen. Die CAVATAS (Carotid and Vertebral Artery Transluminal Angioplasty Study)-Studie randomisierte in den 1990er Jahren 504 Patienten mit symptomatischer Karotisstenose zur Agioplastie oder Endarterektomie und fand keine Unterschiede nach 30 Tagen und nach drei Jahren (
Figure 2) [
6]. Im Jahr 2004 wurde im
New England Journal of Medicine die SAPPHIRE-Studie publiziert, die zum ersten Mal das Karotis-Stenting mit Embolieprotektionssystem mit der Endarterektomie verglichen hatte. Diese Studie zeigte bei 334 Patienten, die ein hohes Risiko für die Gefässchirurgie aufwiesen, eine Überlegenheit des Karotis-Stentings gegenüber der Endarterektomie (
Figure 3) [
3].
Nach der Veröffentlichung der Resultate der SPACE-Studie weitet sich unserer Meinung nach die Indikation für das Karotis-Stenting aus. Aufgrund der vorliegenden Daten sollten nicht nur Patienten, die ein Hochrisiko für die Gefässchirurgie darstellen, sondern auch symptomatische Patienten ohne erhöhtes Operationsrisiko davon profitieren können. Obwohl die Studie die gewünschte statistische Aussagekraft nicht erreicht hat, liegt der beobachtete absolute Unterschied im primären Endpunkt von 0,5% tief und innerhalb der vorgegebenen «Non-Inferiority»-Schwelle von 2,5%. Hinzu kommt, dass der beobachtete absolute Unterschied von 0,5% kaum klinisch relevant ist.
Die Befürworter des Karotis-Stentings erhalten mit der SPACE-Studie zusätzliche Argumente, um auch Patienten ohne hohes Operationsrisiko mit dieser Methode zu behandeln. Die Gegner können argumentieren, dass die Studie statistisch nicht aussagekräftig war. Diese Argumente werden leider auch in Zukunft nicht einfach zu widerlegen sein, da es aufgrund der niedrigen Ereignisrate, der fehlenden finanziellen Mittel für diese extrem aufwendigen Studien und nicht zuletzt der Patientenpräferenz kaum möglich sein wird, statistisch adäquate Studien durchzuführen, um die Gleichwertigkeit beider Methoden konklusiv beurteilen zu können.
Wir sind der Meinung, dass die Patientenpräferenz (Komfort!) auch in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden muss. Die Vorteile des Karotis-Stentings in dieser Beziehung sind: Lokalanästhesie, keine Halswunde und kaum sekundäre neurologische Komplikationen (z.B. Hirnnervenlähmungen) sowie der kurze Spitalaufenthalt, was auch gesundheitspolitisch attraktiv ist.
Schlussfolgerung
Die SPACE-Studie zeigt, dass bei Patienten mit einer symptomatischen Karotisstenose Stenting und Endarterektomie zu vergleichbaren Resultaten führen. Die Resultate des Karotis-Stentings dürften bei konsequenter Anwendung von Embolieprotektionssystemen und systematischem Miterfassen von Myokardinfarkten noch besser ausfallen. Daher sollten unserer Meinung nach den asymptomatischen Patienten mit hohem Operationsrisiko und den symptomatischen Patienten unabhängig vom Operationsrisiko der gefässchirurgische Eingriff und das Stenting unter Embolieprotektion dargestellt und als mögliche Alternativbehandlungen angeboten werden.