Zusammenfassung
Eine 59jährige Frau wurde, nach einem heftigen Streit mit der Schwiegermutter, wegen akutem Koronarsyndrom mit Thoraxschmerzen, EKG-Veränderungen und positivem Troponin zur notfallmässigen Koronarangiographie zugewiesen. Diese zeigte offene Koronararterien. Die Angiographie dokumentierte eine midventrikuläre zirkuläre Akinesie des linken Ventrikels mit deutlich eingeschränkter Auswurffraktion. Die Diagnose einer stressinduzierten Kardiomyopathie wurde gestellt. Dieses auch unter dem Namen Tako-Tsubo bekannte Krankheitsbild scheint in Japan häufig zu sein, gewinnt aber zunehmend auch in westlichen Ländern an Bedeutung als Differentialdiagnose des akuten Koronarsyndroms. Dabei können die ausgedehnten myokardialen Wandbewegungsstörungen nicht einem einzelnen koronaren Versorgungsgebiet zugeordnet werden. Pathophysiologisch diskutiert werden mikrovaskuläre Spasmen, möglicherweise durch eine hohe Katecholamin-Ausschüttung induziert. Charakteristisch ist der nur geringe Anstieg kardialer Biomarker (CK, Troponin) im Blut als Diskrepanz zur oft ausgedehnten Akinesie, die sogar in hämodynamischer Instabilität mit Pressoren-Bedürftigkeit münden kann. Typischerweise bleibt das Myokard viabel, was mittels kardialer Magnetresonanz-Tomographie nachgewiesen werden kann, und die Ventrikelfunktion erholt sich innerhalb von Wochen vollständig.
Fallbeschreibung
Eine 59jährige Frau wurde von einem peripheren Spital wegen Thoraxschmerzen notfallmässig zur Koronarangiographie zugewiesen. Sie war vom Hausarzt wegen einem starken sternalen Druckgefühl und anteroseptalen ST-Hebungen im EKG ins Spital eingewiesen worden. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren lagen eine Hypercholesterinämie (LDL 4,2 mmol/l, HDL 1,6 mmol/l) und eine stark positive Familienanamnese vor (Bruder Myokardinfarkt mit 52 Jahren, Vater mit 60 Jahren). Im Spital wurde eine medikamentöse Therapie mit Azetylsalizylsäure, Clopidogrel, Heparin, Nitrat und Morphin eingeleitet und die darauf schmerzfreie Patientin umgehend für eine invasive Abklärung bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom in unsere Klinik verlegt.
Figure 1 zeigt das EKG nach Eintreffen in unserer Klinik kurz vor der Koronarangiographie.
Angiographisch fanden sich offene Koronararterien mit leichten Wandunregelmässigkeiten im mittleren RIVA und der rechten Kranzarterie (
Figure 2). Das Angiogramm des linken Ventrikels zeigte eine Akinesie der midventrikulären Wandregionen bei erhaltenen Kontraktionen apikal und der basalen Konstriktorebene. Angiographisch resultierte eine Ejektionsfraktion (EF) von 51%. Der linksventrikuläre enddiastolische Druck war mittelschwer erhöht (26 mm Hg).
Differentialdiagnose
Aufgrund des angiographischen Bildes wurde die Verdachtsdiagnose einer Tako-Tsubo-Kardiomyopathie gestellt. Dieses Krankheitsbild wurde 1991 erstmals in Japan beschrieben [
1]. Lange Zeit ging man von einer geringeren Inzidenz in Europa aus, erst in den letzten Jahren gewann diese Diagnose als Differentialdiagnose des akuten Koronarsyndroms auch in westlichen Ländern mehr Aufmerksamkeit [
2]. Typischerweise sind Frauen in mittlerem Alter nach emotioneller Belastung betroffen, weswegen das Krankheitsbild auch als stressinduzierte Kardiomyopathie oder «broken
heart syndrom» bezeichnet wird. Bei unserer Patientin liess sich der Beginn der Thoraxschmerzen anamnestisch auf einen heftigen Streit mit der Schwiegermutter zurückführen.
Der japanische Name Tako-Tsubo beschreibt das angiographische Bild der apikalen Form dieser Kardiomyopathie, das an eine Tintenfisch-Falle erinnert (
Figure 3). Als pathophysiologische Mechanismen diskutiert werden mikrovaskuläre Spasmen—vermittelt u.a. durch Neuropeptid Y—bzw. ein funktionelles «stunning» des Myokards nach intensiver Sympathikus-Stimulation [
3,
4].
Tatsächlich ergab die Blutanalyse bei unserer Patientin eine nur minime Troponin-Erhöhung (0,13 ng/mL) bei normaler Creatin-kinase (CK); die Kontrolle am nächsten Morgen zeigte Troponin- und CK-Werte im Normbereich. Dieser minime Enzymanstieg stellt eine deutliche Diskrepanz zur ausgedehnten Akinesie dar.
Elektrokardiographisch ist die akute ST-Hebung (v.a. in den Ableitungen V3–V6) kurz nach Schmerzbeginn sowie die ausgeprägte negative T-Welle (sog. giant negative T-wawe mit Maxima am 3. Tag und erneut nach 2 Wochen) sowie eine Verlängerung des QT-Intervalls für die katecholamininduzierte Kardiomyopathie typisch.
Differentialdiagnostisch als unwahrscheinlich erachtet wurden eine Spontanrekanalisation oder ein epikardialer Koronarspasmus im Bereiche der Wandunregelmässigkeiten im mittleren RIVA-Abschnitt, da sich die myokardiale Motilitätsstörung keinem einzelnen koronaren Versorgungsgebiet zuordnen lässt. Ebenfalls unwahrscheinlich ist eine fokale Myokarditis, für die sich keine klinischen oder laborchemischen Hinweise fanden.
Weitere Diagnostische Massnahmen
Zur Erhärtung der Diagnose und weiteren Abklärung wurde am Folgetag der Angiographie eine kardiale Magnetresonanz (CMR)-Untersuchung durchgeführt. Diese zeigte einen dilatierten linken Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion (EF 41%) bei Akinesie im gesamten midventrikulären Bereich, Hyperkontraktilität basal und erhaltener Kontraktilität apikal (
Figure 4). Obwohl etwas weniger gut bekannt, scheint dieser Befund nicht ganz ungewöhnlich zu sein, bestanden doch auch in einer grösseren Serie bei 40% der Patienten apikal normale Kontraktionen [
2]. Interessanterweise fand sich bei unserer Patientin zusätzlich eine Hypo- bis Akinesie des rechten Ventrikels (apikal), was in anderen Publikationen nicht erwähnt wird, jedoch gut zum gleichzeitigen Befall verschiedener Gefässterritorien passt.
In der Spätuntersuchung nach Gadolinium-Kontrastmittel-Gabe («late enhancement») kann bereits unmittelbar nach einem akuten Ereignis mittels CMR infarziertes von viablem Myokard unterschieden werden. In der akinetischen Zone zeigte sich bei unserer Patientin keine Kontrastmittelaufnahme, während bei einem klassischen Myokardinfarkt eine subendotheliale (bis transmurale, je nach Infarktausdehnung) Kontrastmittelaufnahme zu erwarten wäre. Die akinetische Zone ist somit als viables Myokard anzusehen, was zumindest teilweise den gutartigen Verlauf mit oft weitgehender Erholung der Pumpfunktion erklärt.
Verlauf
Die medikamentöse Therapie wurde durch einen ACE-Hemmer erweitert. Eine echokardiographische Kontrolle eine Woche später zeigte bereits eine deutliche Verbesserung der linksventrikulären systolischen Funktion. Nach einem Monat hatte sich die linksventrikuläre systolische Funktion normalisiert mit einer nur noch diskret erkennbaren anteroapikalen Hypokinesie.
Der klinische Verlauf der stressinduzierten Kardiomyopathie ist sehr variabel: tödliche Verläufe mit Ventrikelseptum- bzw. Myokard-Ruptur sind beschrieben worden [
5,
6]. In den meisten Fällen ist aber die Prognose günstig mit Normalisierung der linksventrikulären Funktion und Motilität.