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Case Report

Ein Gebrochenes Herz nach einem Streit mit der Schwiegermutter: Die Stressinduzierte Kardiomyopathie

by
Lukas Spieker
1,*,
Peter Burger
1,
Thomas Ritschard
2,
Christof Noti
1 and
Roberto Corti
3
1
Herzzentrum Klinik Beau-Site, Bern, Switzerland
2
Innere Medizin, Spital Aarberg, Bern, Switzerland
3
Kardiologie, Universitätsspital Zürich, Switzerland
*
Author to whom correspondence should be addressed.
Cardiovasc. Med. 2006, 9(12), 433; https://doi.org/10.4414/cvm.2006.01214
Submission received: 29 September 2006 / Revised: 29 October 2006 / Accepted: 29 November 2006 / Published: 29 December 2006

Abstract

A 59-year-old woman with chest pain after a controversy with her mother-in-law, ECG changes and positive troponine was transferred to our clinic for emergency coronary angiography. Angiography showed open coronary arteries and midventricular akinesia of the left ventricle. These findings are typical for stress-induced cardiomyopathy. This entity is also named Tako-Tsubo cardiomyopathy and has gained attention as a differential diagnosis of acute coronary syndrome. Typically, akinetic zones cannot be attributed to a single coronary territory. The underlying pathophysiological mechanisms may include microvascular spasm induced by excessive catecholamine release. Characteristically, only minimal increases of myocardial damage is documented by biochemical markers (CK, troponine). This is in contrast to often extensive ventricular akinetic regions possibly resulting in haemodynamic instability and need for inotropic support. Typically the myocardium remains viable, as can be shown by cardiac magnetic resonance tomography, and impaired ventricular function completely recovers over weeks.

Zusammenfassung

Eine 59jährige Frau wurde, nach einem heftigen Streit mit der Schwiegermutter, wegen akutem Koronarsyndrom mit Thoraxschmerzen, EKG-Veränderungen und positivem Troponin zur notfallmässigen Koronarangiographie zugewiesen. Diese zeigte offene Koronararterien. Die Angiographie dokumentierte eine midventrikuläre zirkuläre Akinesie des linken Ventrikels mit deutlich eingeschränkter Auswurffraktion. Die Diagnose einer stressinduzierten Kardiomyopathie wurde gestellt. Dieses auch unter dem Namen Tako-Tsubo bekannte Krankheitsbild scheint in Japan häufig zu sein, gewinnt aber zunehmend auch in westlichen Ländern an Bedeutung als Differentialdiagnose des akuten Koronarsyndroms. Dabei können die ausgedehnten myokardialen Wandbewegungsstörungen nicht einem einzelnen koronaren Versorgungsgebiet zugeordnet werden. Pathophysiologisch diskutiert werden mikrovaskuläre Spasmen, möglicherweise durch eine hohe Katecholamin-Ausschüttung induziert. Charakteristisch ist der nur geringe Anstieg kardialer Biomarker (CK, Troponin) im Blut als Diskrepanz zur oft ausgedehnten Akinesie, die sogar in hämodynamischer Instabilität mit Pressoren-Bedürftigkeit münden kann. Typischerweise bleibt das Myokard viabel, was mittels kardialer Magnetresonanz-Tomographie nachgewiesen werden kann, und die Ventrikelfunktion erholt sich innerhalb von Wochen vollständig.

Fallbeschreibung

Eine 59jährige Frau wurde von einem peripheren Spital wegen Thoraxschmerzen notfallmässig zur Koronarangiographie zugewiesen. Sie war vom Hausarzt wegen einem starken sternalen Druckgefühl und anteroseptalen ST-Hebungen im EKG ins Spital eingewiesen worden. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren lagen eine Hypercholesterinämie (LDL 4,2 mmol/l, HDL 1,6 mmol/l) und eine stark positive Familienanamnese vor (Bruder Myokardinfarkt mit 52 Jahren, Vater mit 60 Jahren). Im Spital wurde eine medikamentöse Therapie mit Azetylsalizylsäure, Clopidogrel, Heparin, Nitrat und Morphin eingeleitet und die darauf schmerzfreie Patientin umgehend für eine invasive Abklärung bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom in unsere Klinik verlegt. Figure 1 zeigt das EKG nach Eintreffen in unserer Klinik kurz vor der Koronarangiographie.
Angiographisch fanden sich offene Koronararterien mit leichten Wandunregelmässigkeiten im mittleren RIVA und der rechten Kranzarterie (Figure 2). Das Angiogramm des linken Ventrikels zeigte eine Akinesie der midventrikulären Wandregionen bei erhaltenen Kontraktionen apikal und der basalen Konstriktorebene. Angiographisch resultierte eine Ejektionsfraktion (EF) von 51%. Der linksventrikuläre enddiastolische Druck war mittelschwer erhöht (26 mm Hg).

Differentialdiagnose

Aufgrund des angiographischen Bildes wurde die Verdachtsdiagnose einer Tako-Tsubo-Kardiomyopathie gestellt. Dieses Krankheitsbild wurde 1991 erstmals in Japan beschrieben [1]. Lange Zeit ging man von einer geringeren Inzidenz in Europa aus, erst in den letzten Jahren gewann diese Diagnose als Differentialdiagnose des akuten Koronarsyndroms auch in westlichen Ländern mehr Aufmerksamkeit [2]. Typischerweise sind Frauen in mittlerem Alter nach emotioneller Belastung betroffen, weswegen das Krankheitsbild auch als stressinduzierte Kardiomyopathie oder «broken heart syndrom» bezeichnet wird. Bei unserer Patientin liess sich der Beginn der Thoraxschmerzen anamnestisch auf einen heftigen Streit mit der Schwiegermutter zurückführen.
Der japanische Name Tako-Tsubo beschreibt das angiographische Bild der apikalen Form dieser Kardiomyopathie, das an eine Tintenfisch-Falle erinnert (Figure 3). Als pathophysiologische Mechanismen diskutiert werden mikrovaskuläre Spasmen—vermittelt u.a. durch Neuropeptid Y—bzw. ein funktionelles «stunning» des Myokards nach intensiver Sympathikus-Stimulation [3,4].
Tatsächlich ergab die Blutanalyse bei unserer Patientin eine nur minime Troponin-Erhöhung (0,13 ng/mL) bei normaler Creatin-kinase (CK); die Kontrolle am nächsten Morgen zeigte Troponin- und CK-Werte im Normbereich. Dieser minime Enzymanstieg stellt eine deutliche Diskrepanz zur ausgedehnten Akinesie dar.
Elektrokardiographisch ist die akute ST-Hebung (v.a. in den Ableitungen V3–V6) kurz nach Schmerzbeginn sowie die ausgeprägte negative T-Welle (sog. giant negative T-wawe mit Maxima am 3. Tag und erneut nach 2 Wochen) sowie eine Verlängerung des QT-Intervalls für die katecholamininduzierte Kardiomyopathie typisch.
Differentialdiagnostisch als unwahrscheinlich erachtet wurden eine Spontanrekanalisation oder ein epikardialer Koronarspasmus im Bereiche der Wandunregelmässigkeiten im mittleren RIVA-Abschnitt, da sich die myokardiale Motilitätsstörung keinem einzelnen koronaren Versorgungsgebiet zuordnen lässt. Ebenfalls unwahrscheinlich ist eine fokale Myokarditis, für die sich keine klinischen oder laborchemischen Hinweise fanden.

Weitere Diagnostische Massnahmen

Zur Erhärtung der Diagnose und weiteren Abklärung wurde am Folgetag der Angiographie eine kardiale Magnetresonanz (CMR)-Untersuchung durchgeführt. Diese zeigte einen dilatierten linken Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion (EF 41%) bei Akinesie im gesamten midventrikulären Bereich, Hyperkontraktilität basal und erhaltener Kontraktilität apikal (Figure 4). Obwohl etwas weniger gut bekannt, scheint dieser Befund nicht ganz ungewöhnlich zu sein, bestanden doch auch in einer grösseren Serie bei 40% der Patienten apikal normale Kontraktionen [2]. Interessanterweise fand sich bei unserer Patientin zusätzlich eine Hypo- bis Akinesie des rechten Ventrikels (apikal), was in anderen Publikationen nicht erwähnt wird, jedoch gut zum gleichzeitigen Befall verschiedener Gefässterritorien passt.
In der Spätuntersuchung nach Gadolinium-Kontrastmittel-Gabe («late enhancement») kann bereits unmittelbar nach einem akuten Ereignis mittels CMR infarziertes von viablem Myokard unterschieden werden. In der akinetischen Zone zeigte sich bei unserer Patientin keine Kontrastmittelaufnahme, während bei einem klassischen Myokardinfarkt eine subendotheliale (bis transmurale, je nach Infarktausdehnung) Kontrastmittelaufnahme zu erwarten wäre. Die akinetische Zone ist somit als viables Myokard anzusehen, was zumindest teilweise den gutartigen Verlauf mit oft weitgehender Erholung der Pumpfunktion erklärt.

Verlauf

Die medikamentöse Therapie wurde durch einen ACE-Hemmer erweitert. Eine echokardiographische Kontrolle eine Woche später zeigte bereits eine deutliche Verbesserung der linksventrikulären systolischen Funktion. Nach einem Monat hatte sich die linksventrikuläre systolische Funktion normalisiert mit einer nur noch diskret erkennbaren anteroapikalen Hypokinesie.
Der klinische Verlauf der stressinduzierten Kardiomyopathie ist sehr variabel: tödliche Verläufe mit Ventrikelseptum- bzw. Myokard-Ruptur sind beschrieben worden [5,6]. In den meisten Fällen ist aber die Prognose günstig mit Normalisierung der linksventrikulären Funktion und Motilität.

Conflicts of Interest

Die Autoren danken dem Hausarzt Dr. U. Castelberg in Aarberg für die rasche Zuweisung und die Zusammenarbeit.

References

  1. Dote, K.; Sato, H.; Tateishi, H.; Uchida, T.; Ishihara, M. Myocardial stunning due to simultaneous multivessel coronary spasms: A review of 5 cases. J Cardiol. 1991, 21, 203–214. [Google Scholar] [PubMed]
  2. Sharkey, S.W.; Lesser, J.R.; Zenovich, A.G.; Maron, M.S.; Lindberg, J.; Longe, T.F.; et al. Acute and reversible cardiomyopathy provoked by stress in women from the United States. Circulation 2005, 111, 472–479. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  3. Wittstein, I.S.; Thiemann, D.R.; Lima, J.A.; Baughman, K.L.; Schulman, S.P.; Gerstenblith, G.; et al. Neurohumoral features of myocardial stunning due to sudden emotional stress. N Engl J Med. 2005, 352, 539–548. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  4. Clarke, J.G.; Davies, G.J.; Kerwin, R.; Hackett, D.; Larkin, S.; Dawbarn, D.; et al. Coronary artery infusion of neuropeptide Y in patients with angina pectoris. Lancet 1987, 1, 1057–1059. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  5. Sakai, K.; Ochiai, H.; Katayama, N.; Nakamura, K.; Arataki, K.; Kido, T.; et al. Ventricular septal perforation in a patient with Takotsubo cardiomyopathy. Circ J. 2005, 69, 365–367. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  6. Akashi, Y.J.; Tejima, T.; Sakurada, H.; Matsuda, H.; Suzuki, K.; Kawasaki, K.; et al. Left ventricular rupture associated with Takotsubo cardiomyopathy. Mayo Clin Proc. 2004, 79, 821–824. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
Figure 1. Das EKG bei Klinikeintritt zeigte einen normokarden Sinusrhythmus mit ausgedehnter T-Wellen-Inversion in den Brustwand-, hochlateralen und inferioren Ableitungen.
Figure 1. Das EKG bei Klinikeintritt zeigte einen normokarden Sinusrhythmus mit ausgedehnter T-Wellen-Inversion in den Brustwand-, hochlateralen und inferioren Ableitungen.
Cardiovascmed 09 00433 g001
Figure 2. Die Koronarangiographie zeigte offene Koronararterien mit diffusen leichten Wandunregelmässigkeiten der linken (A) und der rechten Kranzarterie (B). Die Lävographie zeigte eine Akinesie der midventrikulären Wandregionen (Pfeile) bei erhaltenen Kontraktionen apikal und der basalen Konstriktorebene (C: Diastole; D: Systole).
Figure 2. Die Koronarangiographie zeigte offene Koronararterien mit diffusen leichten Wandunregelmässigkeiten der linken (A) und der rechten Kranzarterie (B). Die Lävographie zeigte eine Akinesie der midventrikulären Wandregionen (Pfeile) bei erhaltenen Kontraktionen apikal und der basalen Konstriktorebene (C: Diastole; D: Systole).
Cardiovascmed 09 00433 g002
Figure 3. Diese linksventrikuläre Angiographie (A) zeigtdie apikale Form der Tako- Tsubo-Kardiomyopathie («apical ballooning»), die an die Form einer Tintenfisch-Falle (B) erinnert, worauf sich der japanische Name bezieht. Es liegt eine apikale Akinesie vor (A: Pfeile), die zu der typischen Sanduhr-Form des linken Ventrikels in der Systole führt. Diese Angiographie stammt von einer anderen Patientin als der in diesem Fallbericht beschriebenen, die ebenfalls eine Tako- Tsubo-Kardiomyopathie aufwies. Sie ertrank fastbei einem Bad im kalten Zürichsee und musste gerettet werden. Die Koronararterien waren bei der mit Verdacht auf akutes Koronarsyndrom notfallmässig durchgeführten Koronarangiographie ebenfalls offen und ohne signifikante Stenosen.
Figure 3. Diese linksventrikuläre Angiographie (A) zeigtdie apikale Form der Tako- Tsubo-Kardiomyopathie («apical ballooning»), die an die Form einer Tintenfisch-Falle (B) erinnert, worauf sich der japanische Name bezieht. Es liegt eine apikale Akinesie vor (A: Pfeile), die zu der typischen Sanduhr-Form des linken Ventrikels in der Systole führt. Diese Angiographie stammt von einer anderen Patientin als der in diesem Fallbericht beschriebenen, die ebenfalls eine Tako- Tsubo-Kardiomyopathie aufwies. Sie ertrank fastbei einem Bad im kalten Zürichsee und musste gerettet werden. Die Koronararterien waren bei der mit Verdacht auf akutes Koronarsyndrom notfallmässig durchgeführten Koronarangiographie ebenfalls offen und ohne signifikante Stenosen.
Cardiovascmed 09 00433 g003
Figure 4. Die kardiale Magnetresonanz-Untersuchung zeigte einen dilatierten linken Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion (EF biplan 41%) bei Akinesie im gesamten midventrikulären Bereich und guten Kontraktionen basal und apikal (Pfeile) sowie einen minimen Perikarderguss. Zusätzlich fand sich eine apikale Hypo- bis Akinesie des rechten Ventrikels (Pfeil). Im «late enhancement» (weiss-umrandete kleine Box) ergab sich kein Nachweis einer Narbe oder Fibrose. LV = linker Ventrikel, LA = linker Vorhof, RV = rechter Ventrikel, RA = rechter Vorhof.
Figure 4. Die kardiale Magnetresonanz-Untersuchung zeigte einen dilatierten linken Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion (EF biplan 41%) bei Akinesie im gesamten midventrikulären Bereich und guten Kontraktionen basal und apikal (Pfeile) sowie einen minimen Perikarderguss. Zusätzlich fand sich eine apikale Hypo- bis Akinesie des rechten Ventrikels (Pfeil). Im «late enhancement» (weiss-umrandete kleine Box) ergab sich kein Nachweis einer Narbe oder Fibrose. LV = linker Ventrikel, LA = linker Vorhof, RV = rechter Ventrikel, RA = rechter Vorhof.
Cardiovascmed 09 00433 g004

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MDPI and ACS Style

Spieker, L.; Burger, P.; Ritschard, T.; Noti, C.; Corti, R. Ein Gebrochenes Herz nach einem Streit mit der Schwiegermutter: Die Stressinduzierte Kardiomyopathie. Cardiovasc. Med. 2006, 9, 433. https://doi.org/10.4414/cvm.2006.01214

AMA Style

Spieker L, Burger P, Ritschard T, Noti C, Corti R. Ein Gebrochenes Herz nach einem Streit mit der Schwiegermutter: Die Stressinduzierte Kardiomyopathie. Cardiovascular Medicine. 2006; 9(12):433. https://doi.org/10.4414/cvm.2006.01214

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Spieker, Lukas, Peter Burger, Thomas Ritschard, Christof Noti, and Roberto Corti. 2006. "Ein Gebrochenes Herz nach einem Streit mit der Schwiegermutter: Die Stressinduzierte Kardiomyopathie" Cardiovascular Medicine 9, no. 12: 433. https://doi.org/10.4414/cvm.2006.01214

APA Style

Spieker, L., Burger, P., Ritschard, T., Noti, C., & Corti, R. (2006). Ein Gebrochenes Herz nach einem Streit mit der Schwiegermutter: Die Stressinduzierte Kardiomyopathie. Cardiovascular Medicine, 9(12), 433. https://doi.org/10.4414/cvm.2006.01214

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