Als Robert Tigerstedt, ein finnischer Physiologe, welcher am Karolinska Institut in Stockholm arbeitete, im Jahr 1896 Hunden Extrakte aus homogenisierten Nieren infundierte [
1], war er sich der enormen Bedeutung seines Experimentes wohl zunächst nicht bewusst. Immerhin beobachtete er einen beeindruckenden Blutdruckanstieg und nannte die dafür verantwortliche Substanz—es stellte sich später heraus, dass es sich um ein Enzym handelte—nach seinem Ursprungsort der Niere, auf Griechisch Ren, Renin. Einige Jahrzehnte später gelang es Harry Goldblatt nachzuweisen, dass eine an der Nierenarterie angelegte Klemme, welche die Durchblutung des Organs behinderte, ebenfalls einen Blutdruckanstieg verursachte [
2]. Die Forschungsarbeit der folgenden Dekaden zeigte in der Folge, dass in der Tat eine Minderdurchblutung der Niere in den juxtaglomerulären Zellen ein Enzym, das von Tigerstedt vermutete Renin, freisetzte und danach aus Angiotensinogen, dem Renin-Substrat aus der Leber, Angiotensin I und schliesslich aufgrund der Wirkungen des Angiotensin-Converting-Enzyms, welches sich vornehmlich in den Endothelzellen der Lungenwand befindet, das biologisch aktive Hormon Angiotensin II bildete. Der Beweis für die hämodynamische Bedeutung dieses kreislaufregulierenden Systems stand allerdings lange aus, bis es Ondetti und Cushmann in den Forschungslaboratorien von Bristol Myers Squibb gelang, ein erstes Peptide, Teprotide, aus dem Gift einer brasilianischen Schlange aus dem Amazonasregenwald (Bothrops jararaca,
Figure 1), zu isolieren, welches das Angiotensin-Converting-Enzym hemmte und gleichzeitig zu einer Blutdrucksenkung führte [
3]. Die Synthese verschiedenster AngiotensinConverting-Enzym-Inhibitoren, von Captopril bis Ramipril und Perindopril, führte schliesslich zu einer neuen Klasse von Antihypertensiva, welche heute bei zahlreichen Patienten eingesetzt werden.
Die Erkenntnis, dass das Renin-Angiotensin-System besonders bei Patienten mit Herzinsuffizienz aktiviert wird, führte zu experimentellen und in der Folge klinischen Untersuchungen zur Wirkung der Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren in dieser Patientengruppe. Auch hier gelang mit diesen neuen Substanzen ein Durchbruch; so konnte in der CONSENSUS-Studie [
4] zunächste mit Enalapril und später mit zahlreichen anderen Substanzen in Folgestudien gezeigt werden, dass sich mit diesen Medikamenten die Beschwerden, die Hospitalisationen wie auch die Mortalität senken liessen. Diese Wirkung war besonders bei Patienten mit ausgeprägter Herzinsuffizienz nachweisbar, während sich bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion ohne klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz erst in der 10-Jahres-Analyse ein Effekt beobachten liess.
Als Zufallsbefund liess sich in der SOLVDStudie überraschenderweise eine signifikante Verminderung von Herzinfarkten nachweisen [
5]. Dies wies darauf hin, dass AngiotensinConverting-Enzym-Inhibitoren nicht nur hämodynamische Wirkungen aufweisen, sondern auch lokal in der Gefässwand schützend wirken und das Auftreten von Koronarverschlüssen verminderten. Arbeiten in der Grundlagenforschung haben in der Folge gezeigt, dass Angiotensin II nicht nur durch das in den Endothelzellen exprimierte Angiotensin-Converting-Enzym gebildet wird, sondern in den Endothelund Gefässmuskelzellen der Gefässwand ausgeprägte biologische Wirkungen entfaltet. Dazu gehören insbesondere die Aktivierung der NADP-Oxidase und damit die Bildung von Superoxid, aber auch eine Stimulation der Proliferation von Gefässmuskelzellen, inflammatorischen Molekülen und andere Wirkungen mehr. Aufgrund dieser Ergebnisse konnte dann erstmals in der HOPEStudie [
6] prospektiv der Nachweis erbracht werden, dass Ramipril in einer Dosierung von 5–10 mg/Tag eine deutliche Senkung von Hirnschlag, Herzinfarkt und Tod bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit mit sich brachte. Obschon eine leichte Blutdrucksenkung von 3 mm Hg systolisch und 1 mm Hg diastolisch unter Ramipril auftrat, wurde von den meisten Experten ein Grossteil der Wirkung des ACE-Hemmers in dieser Patientengruppe mit normaler linksventrikulärer Funktion auf direkte gefässschützende Wirkung zurückgeführt. Von besonderem klinischem Interesse war auch die ausgeprägte Wirkung des ACEHemmers bei Patienten mit Diabetes mellitus. Diese Ergebnisse der sogenannten MICROHOPE-Studie bei Diabetikern erweiterten das Spektrum der ACE-Hemmer in dieser Patientengruppe vom Nierenschutz auf den Gefässschutz.
Aus der HOPE-Studie ergaben sich zwei Fragen, nämlich (1.) ob die Ergebnisse der HOPE-Studie bei Hochrisikopatienten auch bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und mittlerem Risiko nachweisbar wären und (2.) ob es sich bei der Wirkung von Ramipril um einen Klasseneffekt oder um spezifische Wirkungen dieses Moleküls handelte. Die letztere Frage war vor allem deshalb von Bedeutung, da experimentelle Untersuchungen in der Zwischenzeit gezeigt hatten, dass die Gefässbindung von ACE-Hemmern unterschiedlich war. So brauchte es für die Hemmung des Gewebe-Angiotensin-Converting-Enzyms in Gefässen deutlich höhere Konzentrationen von Captopril und Enalapril als beispielsweise von Ramipril, Quinapril oder Perindopril. Entsprechend wurde vor allem den letzteren drei neueren ACE-Hemmern mit langer Halbwertszeit besondere gefässschützende Wirkung zugeschrieben. Aufgrund dieser Überlegung wurde die EUROPA-Studie [
7] konzipiert. Es wird die Wirkung von Perindopril bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, aber geringerem Risiko als in der HOPE-Studie, untersucht. In der Tat war die Ereignisrate in der Plazebo-Gruppe in der HOPE-Studie über 5 Jahre 17,8%, während sie in der EUROPAStudie nur 10% betrug. Dies war zum einen darauf zurückzuführen, dass die Patientenpopulation in der EUROPA-Studie weniger Diabetiker aufwies (12% vs. 38%) als in der HOPE-Studie und auch weniger Patienten mit peripher arterieller Verschlusskrankheit einschloss (7% vs. 43%). Interessanterweise konnten in der EUROPA-Studie dennoch im wesentlichen Ergebnisse der HOPE-Studie bestätigt werden. So verminderte Perindopril über eine Beobachtungsdauer von 4,5 Jahren die kombinierten Ereignisse von kardialem Tod, Herzinfarkt und überlebtem plötzlichem Herztod um 20%, eine Wirkung, die durchaus mit derjenigen von Ramipril in der HOPE-Studie vergleichbar war. Diese Entwicklungen hatten dazu geführt, dass in vielen Ländern ACE-Hemmer für die Indikation «Prävention bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit» zugelassen wurden und die meisten Experten davon ausgingen, dass es sich dabei um einen Klasseneffekt handeln würde.
Aufgrund des oben Gesagten wurde allgemein davon ausgegangen, dass mit der PEACE-Studie—eine weitere Studie [
8], diesmal mit dem ACE-Hemmer Trandolapril—bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit die Ergebnisse der HOPEund EUROPA-Studie bestätigen würden. Um so grösser war die Überraschung, als die Ergebnisse dieser dritten Studie an den Scientific Sessions der American Heart Association in New Orleans 2004 vorgestellt und gleichzeitig im New England Journal of Medicine publiziert wurden [
8]. In dieser Untersuchung an 8290 Patienten liess sich absolut kein Unterschied zwischen der Ereignisrate von Patienten in der Plazebo Gruppe und denjenigen, welche mit Trandolapril behandelt wurden, nachweisen. Diese überraschenden Ergebnisse bedürfen daher eines Kommentars. Zudem müssen wir uns als klinisch tätige Ärzte darüber Gedanken machen, wie ACE-Hemmer bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit evidenzbasiert einzusetzen wären.
Was sind die Gründe für die neutralen Ergebnisse der PEACE-Studie?
Grundsätzlich lassen sich zwei Gründe aufführen: (1.) Die Ereignisrate könnte in der PEACE-Studie so tief geworden sein (aufgrund der immer besser werdenden Behandlung dieser Patienten mit Medikamenten und Revaskularisationsmassnahmen), so dass sich mit einem ACE-Hemmer nicht zusätzlich noch eine gefässschützende Wirkung nachweisen liess; (2.) es könnten Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen ACE-Hemmern. Die gefässprotektiven Wirkungen könnten nur Ramipril und Perindopril, aber nicht Trandolapril zukommen; (3.) es könnte sich schliesslich auch um ein Zufallsergebnis handeln.
Die Bedeutung der Ereignisraten in klinischen Studien ist erheblich. So ist es besonders einfach, die Wirkung eines Medikamentes nachzuweisen, wenn eine hohe Anzahl von Infarkten, Hirnschlägen und Todesfällen auftritt. Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Studie bei einer niedrigen klinischen Ereignisrate neutrale Ergebnisse ergibt, hoch. Wie vergleichen sich nun die Ereignisraten der HOPE-, EUROPAund PEACE-Studie? Wie oben erwähnt, wiesen Patienten in der Plazebo-Gruppe in der HOPE-Studie eine deutlich höhere Ereignisrate auf als in der EUROPA-Studie. Allerdings war die Ereignisrate interessanterweise in der PEACE-Studie nicht tiefer als in der EUROPA-Studie, womit sich die unterschiedlichen Ergebnisse in den zwei Studien nicht mit diesem Argument erklären lassen. Erhebliche Unterschiede bestanden allerdings in der Behandlung der Patienten. So war vor allem der Anteil von Patienten, welche mit einem Statin behandelt wurden, in der PEACE-Studie deutlich höher als in der EUROPAund HOPE-Studie (68%, 57% und 28%). Dies könnte darauf hinweisen, dass sich bei Patienten, welche bereits unter einer Statin-Therapie stehen, die Wirkungen eines ACE-Hemmers weniger deutlich nachweisen lassen. In der EUROPA-Studie allerdings ergab eine Subanalyse, dass die Wirkungen von Perindopril sowohl bei Patienten mit wie bei denjenigen ohne Statin nachweisbar waren (unpublizierte Daten). Entsprechend scheint es unwahrscheinlich, dass die Unterschiede allein auf den Anteil von Patienten, welche eine Statin-Therapie erhalten hatten, zurückzuführen sind. Ähnliche Aussagen können bei der antihypertensiven Therapie mit Betablockern gemacht werden: Etwa 60% der Patienten in der PEACEund EUROPAStudie, aber nur 39% in der HOPE-Studie wurden gleichzeitig mit Betablockern behandelt.
Könnten Unterschiede in den pharmakologischen Eigenschaften der ACE-Hemmer eine Rolle spielen?
Hier wären in erster Linie pharmakokinetische Eigenschaften zu berücksichtigen, so insbesondere die Halbwertszeit der Medikamente. Ramipril hat eine Halbwertszeit von 10–20 Stunden, Perindopril von etwa 25 Stunden und Trandolapril von 0,7 Stunden und Trandolaprilat (der aktive Metabolit) 3,5 Stunden, die effektive Kummulationshalbwertszeit aber liegt zwischen 16–24 Stunden. Somit sind alle drei Moleküle langwirksame ACE-Hemmer und es darf daher davon ausgegangen werden, dass sie in vergleichbarer Weise ihre Wirkung entfalten konnten. Als nächstes ist die verabreichte Dosierung in den Studien zu berücksichtigen. So zeigte sich insbesondere in einer Substudie von HOPE, der sogenannten SECURE-Studie, dass 10 mg Ramipril im Vergleich zu 5 mg Ramipril eine deutlich ausgeprägtere Hemmung der Intima-media-Hyperplasie in der Arteria carotis der mit Ramipril behandelten Patienten nachweisen. Dies weist darauf hin, dass eine möglichst hohe Dosierung für die gefässprotektiven Wirkungen von ACE-Hemmern wichtig ist. Entsprechend kommt der effektiv verwendeten Dosierung der verschiedenen ACE-Hemmer in der HOPE-, EUROPAund PEACE-Studie Bedeutung zu. In der HOPE-Studie betrug die Dosierung 10 mg Ramipril/Tag, in der EUROPAStudie 8 mg Perindopril/Tag und in der PEACE-Studie 4 mg Trandolapril/Tag. Damit wurde vor allem in der PEACE-Studie eine weniger hohe effektive Dosierung des ACE-Hemmers erreicht als in der EUROPAund HOPEStudie. Da zudem in der PEACE-Studie eine geringere Anzahl von Patienten effektiv mit Trandolapril behandelt wurden als in der EUROPAund HOPE-Studie, könnte eine weniger ausgeprägte Hemmung des lokalen Renin-Angiotensin-Systems für die unterschiedlichen Ergebnisse eine Rolle spielen. Umgekehrt liesse sich damit sagen, dass bei einem Einsatz der ACE-Hemmer aus gefässprotektiver Sicht eine möglichst hohe Dosierung angestrebt werden sollte.
Könnten auch Unterschiede in den pharmakodynamischen Eigenschaften der verschiedenen getesteten ACE-Hemmer eine Rolle spielen?
In der Tat zeigt das deutsche Mitra-Register bei Patienten nach Myokardinfarkt ein deutlich höheres Überleben mit Ramipril als mit anderen ACE-Hemmern. Da Perindopril in Deutschland nur wenig verschrieben wird, war eine weitere prospektive Kohortenstudie aus Kanada von Bedeutung, welche bei 7500 Patienten nach akutem Myokardinfarkt die Wirkung verschiedener ACE-Hemmer untersuchte. Dabei zeigte sich, dass der Überlebensvorteil bei Patienten nach akutem Myokardinfarkt besonders für Ramipril und Perindopril nachweisbar war und nicht für andere ACEHemmer. Möglicherweise also könnten eine geringere Hemmung des Renin-AngiotensinSystems durch pharmakodynamische Eigenheiten von Trandolapril und eine geringere effektiv verschriebene Dosierung in der PEACEStudie für die unterschiedlichen Ergebnisse eine Rolle spielen.
Wie sollen nun ACE-Hemmer bei kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt werden?
Unbestritten ist die Indikation bei Patienten mit Hypertonie, linksventrikulärer Dysfunktion, diabetischer Nephropathie und/oder Herzinsuffizienz. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit ohne Herzinfarkt sollten ACEHemmer aus präventiver Indikation nach Einsatz von Aspirin, gegebenenfalls Clopidogrel und einem Statin bei Mittelund Hochrisikopatienten eingesetzt werden. Patienten mit einem geringeren Risiko scheinen weniger davon zu profitieren. Aufgrund der vorliegenden Daten könnte ebenfalls gefolgert werden, dass bevorzugt Ramipril oder Perindopril eingesetzt werden sollte.