Hintergrund
In der Schweiz werden jährlich ca. 11 000 Patienten mit akutem koronarem Syndrom (ACS) behandelt, davon etwa 5000 Patienten mit akutem Myokardinfarkt (AMI). Abgesehen von traumatologischen Ursachen sind ACS und AMI die häufigsten Diagnosen, die zur Notfallhospitalisation führen. Sie führen auch die Diagnosestatistik auf Intensivstationen im internmedizinischen Bereich an. Die Auswirkungen einer korrekten Behandlung und Sekundärprophylaxe sind kurzfristig und langfristig medizinisch und ökonomisch von grosser Bedeutung. Die Betreuung dieser Patientengruppen kann sich, wie selten in der Medizin, auf zahlreiche, wissenschaftlich gut fundierte Erkenntnisse im Sinne der Evidence-Based Medicine abstützen. Dementsprechend existieren dafür international akzeptierte Guidelines (European Society of Cardiology, American Heart Association). All diese Tatsachen machen das akute koronare Syndrom und den Herzinfarkt zu einem wichtigen Gebiet für Qualitätssicherungsmassnahmen. Da zudem in der Betreuung dieser Patientengruppen komplexe Abläufe innerhalb des Spitals (Notfallstation, Intensivstation, Bettenstationen, klinische und interventionelle Kardiologie usw.) und ausserhalb des Spitals (Hospitalisationswege, Spitaltransfer, prehospital delays, Rehabilitation usw.) eine grosse Rolle spielen, eignen sich ACS und AMI auch hervorragend als Tracer-Diagnose für komplexe medizinische und organisatorische Abläufe.
Infarktregister sind ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung: Sie erlauben nicht nur Rückschlüsse auf epidemiologische Entwicklung und die Art der Präsentation des akuten koronaren Syndroms und damit für die Strukturund Prozessplanung. In den Registern werden die harten Endpunkte des Outcomes erfasst. Etablierte Parameter der Prozessqualität wie Verzögerungszeiten und medikamentöse Therapie werden laufend gemessen. Darüberhinaus lassen sich auch Hinweise auf die Indikationsqualität (Thrombolysetherapie, interventionelle Behandlung) gewinnen. Alle diese Parameter können für einzelne Spitäler, Versorgungsnetzwerke in grösseren Regionen oder national mit den Benchmarks verglichen werden. Solche Vergleichsoder auch Zielgrössen lassen sich von den generell akzeptierten Behandlungsrichtlinien ableiten (z.B. Verzögerungszeiten bis zur Gabe eines Thrombolytikums, bis zur koronaren Intervention; Behandlungsraten für Aspirin, Betablocker, Statine usw.). Wichtige Vergleiche ergeben sich zu den Werten in internationalen Registern (z.B. GRACE, European Heart Survey), ausländischen Registern oder aber auch zu anderen Spitälern. Zeitliche Veränderungen der gemessenen Parameter lassen eine Qualitätsverbesserung (oder aber eine Verschlechterung) erkennen. Aus all diesen Vergleichen können Mängel definiert werden, die eine spezielle Intervention zur Verbesserung der Betreuungsqualität notwendig machen.
Infarktregister in der Schweiz
In der Schweiz werden eine Reihe von lokalen Spitalinfarktregistern geführt, an kardiologischen Zentren häufig mit dem besonderen Schwerpunkt der interventionellen Behandlung. Flächendeckend gibt es nur minimale Angaben zu den rohen Patientenbzw. Behandlungsdaten (Bundesamt für Statistik, Nationales Register für koronare Interventionen der «Arbeitsgruppe Interventionelle Kardiologie und akutes koronares Syndrom» der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie). In den letzten Jahren wurden zwei Infarktregister von überregionalem Charakter mit dem Ziel der Qualitätssicherung/-verbesserung aufgebaut, die im folgenden vorgestellt werden.
Das AMIS-Plus-Register (Acute Myocardial Infarction In Switzerland)
Das Projekt AMIS wurde von einem Lenkungsausschuss, bestehend aus Vertretern der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, Intensivmedizin und Innere Medizin initiiert. Das Projekt wurde 1997 mit der Abteilung für klinische Epidemiologie des Genfer Universitätsspitals aufgebaut. Seit Januar 2000 erfasst das Projekt auch Fälle von instabiler Angina pectoris und wurde umbenannt zu AMIS Plus. Im November 2000 wurde das Daten-Center von Genf zum Institut für Sozialund Präventivmedizin nach Zürich verlegt. Das Register ist von der Überregionalen Ethischen Kommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und vom Eidgenössischen Amt für Datenschutz genehmigt.
Die teilnehmenden Spitäler geben anonymisierte Patientendaten über einen Fragebogen (via Internet oder als Papierfragebogen) an das Daten-Center. Im Daten-Center finden Kontrollen und Plausibilitätschecks statt. AMIS verfügt bis heute über Daten von über 12 000 Patienen, die seit 1997 mit akutem koronarem Syndrom bzw. akutem Myokardinfarkt hospitalisiert wurden. Aus diesen Daten werden einerseits regelmässig den teilnehmenden Spitälern Feedbacks mit Vergleichswerten (nationale Vergleiche, Vergleiche innerhalb bestimmter Spitalkategorien) gegeben. Die Arbeit des Daten-Centers, der Zugang zu den Daten und die wissenschaftliche Auswertung, die zu zahlreichen Publikationen geführt hat, stehen unter der Verantwortung des Steering-Committees.
Die Finanzierung des AMIS-Projektes, ebenfalls eine Aufgabe des Steering Committees, wurde bisher von zahlreichen Sponsoren aus der Pharmaindustrie und durch einen bedeutenden Beitrag der Schweizerischen Herzstiftung gewährleistet. Am AMIS-Plus-Projekt kann sich jedes Schweizer Spital, das Patienten mit akutem koronarem Syndrom betreut, beteiligen. Es erhält jede dafür erforderliche logistische Unterstützung durch das DatenCenter und profitiert damit mit dem Beginn der Mitarbeit von einem etablierten Qualitätssicherungsprogramm.
Die «Outcome»-Messungen des Vereins Outcome
Zunächst im Kanton Zürich und davon ausgehend heute in mehreren Kantonen, wurden gemeinsam mit den Spitälern Outcome-Messungen entwickelt und auf breiter Basis institutionell verankert (Verein Outcome). Eine paritätische Qualitätskommission aus Vertretern der Spitäler, der Krankenversicherer und des Kantons befindet über die Belange der Outcome-Messungen. Zwischen den Spitälern, den Versicherern und den jeweiligen Kantonen, im Verein Outcome zusammengeschlossen, werden Verträge für Messungen zu bestimmten Messthemen bzw. Tracer-Diagnosen abgeschlossen. Die Spitäler sind an den Entscheidungen und Verfahren, welche die Messungen und die Nutzung der Resultate betreffen, direkt beteiligt.
Die Outcome-Messungen des Vereins Outcome beruhen auf folgenden Prämissen: Orientierung am Gesamtergebnis der Spitalbehandlung und -betreuung, Orientierung an der Patientenperspektive (Fragebogen zu Lebensqualität und Patientenzufriedenheit), Orientierung an einem ganzheitlichen Konzept von Krankheit und Genesung, Interdisziplinarität, Kooperation zwischen den Partnern, Vertrauen, Transparenz und Respekt. Ziel der Outcome-Messung ist explizit nicht eine eventuelle Sanktionierung aufgrund von Qualitätsparametern, sondern die gegenseitige Motivation zum vergleichenden Lernen im Kreis der beteiligten Spitäler.
Eines der zahlreichen Messthemen ist die Tracer-Diagnose «Myokardinfarkt». Im Rahmen der von den Spitälern mit dem Verein Outcome abgeschlossenen Verträge ist die Teilnahme an der Messung obligatorisch. Für die Teilnahme an den Outcome-Messungen erhalten die Spitäler eine Rückvergütung. Im Rahmen von Benchmarking-Veranstaltungen, werden die Ergebnisse der Outcome-Messungen den Teilnehmern bekannt gemacht und von diesen kritisch gewürdigt. Ausserhalb des Outcome-Programmes werden die anonymisierten Messungen nur im Konsens (auch der Teilnehmer) publiziert. Verträge mit dem Verein Outcome existieren bisher in den Kantonen Zürich, Aargau, Bern und Solothurn.
Gemeinsame Datenerhebung AMIS-Plus-Projekt –Verein Outcome
Um die bestehenden beschränkten Ressourcen für die Förderung der Qualität in der Betreuung von Herzinfarkt-Patienten effizient zu nutzen, sind das AMIS-Plus-Projekt und der Verein Outcome eine Kooperation eingegangen. Eine gemeinsame Datenerhebung (ab 1.10.2003) gewährleistet, dass die teilnehmenden Spitäler nicht mehrfach Daten zu verschiedenen Zwecken erheben müssen. Vielmehr werden die Daten von beiden Partnern, AMIS-Plus-Projekt und Verein Outcome, gemeinsam genutzt, sofern die Spitäler — als Eigentümer der Daten — es wünschen. Die Daten werden selbstverständlich auch nur einem Partner zur weiteren Verwendung zur Verfügung gestellt. Diese Entscheidung liegt allein beim teilnehmenden Spital.
Für die gemeinsame Datenerhebung wurde ein gemeinsamer Fragebogen (online oder Papierfragebogen) entwickelt. Das AMISPlus-Datacenter gewährleistet den Datenfluss nach den Wünschen bzw. Verpflichtungen des einzelnen teilnehmenden Spitals. Neben der Vereinfachung der Datenerhebung und des Daten-Clearings wurde damit auch ein in anderer Hinsicht wichtiger Schritt vollzogen: Trotz unterschiedlicher Trägerschaft, teilweise unterschiedlicher Zielsetzung und unterschiedlicher Finanzierung gelang es mit der Kooperation die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen und die Ressourcen für die Qualitätsförderung zu bündeln. In den Hintergrund traten dabei Berührungsängste zwischen den Teilnehmern und Verantwortlichen in den einzelnen Programmen, fachliche Detaildifferenzen und logistische Probleme. Mit der Kooperation sind die Voraussetzungen für eine einzige, nationale und wenn möglich flächendeckende Datenerhebung im Bereich akuter Myokardinfarkt/ACS mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung der Patientenbetreuung gegeben.
Die Teilnahme an der nationalen Datenerhebung AMI/ACS
Alle Spitäler der Schweiz, die Patienten mit AMI/ACS betreuen, sind zur Teilnahme am AMIS-Plus-Register als Qualitätssicherungsprogramm eingeladen. Für die Einzelheiten können sie sich an das AMIS-Plus-Datacenter (Adresse am Schluss des Artikels) wenden. Sie profitieren damit vom regelmässigen Feedback der Daten, dem Benchmarking innerhalb des Projektes und können sich, via SteeringCommittee auch aktiv an der wissenschaftlichen Bearbeitung der Daten beteiligen.
Für die Spitäler, die im Rahmen von Verträgen mit dem Verein Outcome Messverpflichtungen eingegangen sind, die Patienten mit akutem Myokardinfarkt betreffen, besteht ohne Mehraufwand die Möglichkeit über die gemeinsame Datenerhebung auch an AMIS Plus teilzunehmen.
Schluss
Schon allein die Teilnahme an einem Qualitätsförderungsprojekt verbessert die medizinische Betreuungsqualität. Die möglichst breite Beteiligung an der gemeinsamen Datenerhebung von AMIS Plus und Verein Outcome bringt eine Fülle wichtiger, bisher nicht vorhandener epidemiologischer Daten über das akute koronare Syndrom in der Schweiz. Die gewonnene Datenbasis erlaubt ein individuelles und nationales Benchmarking. Es ergeben sich daraus konkrete Ansatzpunkte für die Verbesserung der Struktur-, Prozessund Outcome-Qualität. Die bisher gewonnenen Daten zeigen aber auch, dass ein solches Register auch einen ausgezeichneten Leistungsausweis darstellt, mindestens für die hochmotivierten teilnehmenden Spitäler, als Basis für das Vertrauen der Patienten und der anderen Partner im Gesundheitswesen.