Next Article in Journal
Interventions Cardiaques Percutanées en Suisse en 2001
Previous Article in Journal
Hämostatische Risikofaktoren für Kardiovaskuläre Krankheiten: D-Dimer
 
 
Cardiovascular Medicine is published by MDPI from Volume 28 Issue 1 (2025). Previous articles were published by another publisher in Open Access under a CC-BY (or CC-BY-NC-ND) licence, and they are hosted by MDPI on mdpi.com as a courtesy and upon agreement with Editores Medicorum Helveticorum (EMH).
Font Type:
Arial Georgia Verdana
Font Size:
Aa Aa Aa
Line Spacing:
Column Width:
Background:
Editorial

Homocystein als Kardiovaskulärer Risikofaktor

by
Brian Fowler
*,
Edouard Battegay
,
Roger Darioli
,
Christian Graf
,
André R. Miserez
,
Walter Riesen
,
Brigitte Saner
and
Georg Schulthess
Stoffwechselabteilung Universitätskinderklinik beider Basel (UKBB) Postfach, CH-4005 Basel, Switzerland
*
Author to whom correspondence should be addressed.
Cardiovasc. Med. 2004, 7(2), 71; https://doi.org/10.4414/cvm.2004.01010
Submission received: 25 November 2003 / Revised: 25 December 2003 / Accepted: 25 January 2004 / Published: 25 February 2004

Zusammenfassung

Ein leichter Anstieg des Total-Homocysteins (tHcy) im Nüchternzustand (15–30 µmol/l) oder nach Methionin-Belastung gilt als unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten einer Atherosklerose. In Kombination mit anderen Risikofaktoren führen erhöhte HomocysteinWerte synergistisch (z.B. bei gleichzeitiger arterieller Hypertonie) oder additiv (z.B. bei gleichzeitig erhöhtem Cholesterin-Spiegel) zu einem Anstieg des Atherosklerose-Risikos. Bei ungefähr 10% aller Personen der Allgemeinbevölkerung und bei zirka 30% aller Patienten mit Gefässkrankheiten werden erhöhte tHcyWerte gemessen. Die Risikozunahme für die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit bei einem tHcy-Anstieg um 5 µmol/l ist vergleichbar mit derjenigen einer CholesterinKonzentrationserhöhung um 0,5 mmol/l.
Homocystein entsteht aus der Aminosäure Methionin. Die weitere Metabolisierung erfolgt unter Beteiligung dreier Schlüsselenzyme: Methioninsynthase (MS), 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) und Cystathionin--Synthase (CBS). Zu den Ursachen für leicht erhöhte Homocystein-Spiegel zählen genetische und nutritive Faktoren, die zueinander in Wechselwirkung treten. So kann die Hyperhomocysteinämie familiär bedingt sein und zusätzlich durch Folsäure, Vitamin B12 und B6 beeinflusst werden. Der 677C/T-Polymorphismus des MTHFR-Gens (Homozygotie in ca. 10% der Bevölkerung in Europa) ist bei Folat-armer Nahrung mit geringfügigen Zunahmen der HomocysteinKonzentrationen assoziiert.
Durch Verabreichung von Folsäure als Monotherapie oder in Kombination mit Vitamin B6 und/oder B12 kann ein erhöhter Homo-cystein-Spiegel gesenkt werden. Einige Autoren empfehlen, Hyperhomocysteinämien zu therapieren, wenn die tHcy-Spiegel oberhalb der oberen Normgrenze (15 µmol/l) liegen, andere bei tHcy-Werten über 10 µmol/l. Allerdings existieren keine zuverlässigen Daten, die den Vorteil eines Screenings in der Allgemeinbevölkerung bzw. einer Behandlung leicht erhöhter tHcy-Werte in der Primärprävention belegen. In den USA wird zwar seit kurzem das Mehl mit Folsäure angereichert und allgemeine Homocystein-senkende Massnahmen sind generell zu empfehlen (tägliche Einnahme von frischen Früchten und Gemüsen sowie das Sistieren des Rauchens).
Eine Bestimmung des Homocysteins im Plasma empfiehlt sich in der Sekundärprävention bei frühzeitig auftretender Atherosklerose ohne genügend erklärende Ursache sowie bei Personen, in deren Familie erhöhte tHcy-Werte bekannt sind (Messung bei Kindern ab 10 Jahren). Die Bestimmung des tHcySpiegels sollte nach nächtlichem Fasten erfolgen. Die korrekte präanalytische und analytische Handhabung der Blutproben ist von kritischer Bedeutung. Bei Personen mit erhöhten tHcy-Werten (oberhalb der für die jeweilige Altersgruppe geltenden Normgrenze bzw. >15 µmol/l) soll in der Sekundärprävention eine Therapie durchgeführt werden. Ein Vitamin-B12-Mangel sowie andere Grundleiden, wie beispielsweise Nierenerkrankungen, müssen ausgeschlossen werden. Analysen von Polymorphismen, die mit dem HomocysteinMetabolismus assoziiert sind, werden zur Zeit nur zu Forschungszwecken durchgeführt.
Bei nachgewiesener therapeutischer Indikation erhält der Patient täglich per os 1 mg Folsäure plus 40 mg Vitamin B6 sowie 30 µg Cyanocobalamin, gefolgt von einer erneuten Bestimmung des tHcy-Spiegels nach einem Monat. Bei Patienten mit Verdacht auf familiäre Hyperhomocysteinämie sind Familienuntersuchungen einschliesslich der Testung von Kindern angezeigt. Patienten mit mittlerer (30–100 µmol/l) oder schwerer (>100 µmol/l) Hyperhomocysteinämie sowie Patienten, welche auf die Therapie nicht ansprechen, sollten an einen Spezialisten überwiesen werden.
Key words: Hyperhomocysteinämie; kardiovaskuläres Risiko; Homocystein; Prävention

Epidemiologie und prognostische Bedeutung

In den letzten Jahren haben zahlreiche retrospektive sowie einige prospektive Studien gezeigt, dass ein geringfügiger Anstieg des Gesamt-Homocysteins (tHcy) im Nüchternzustand (leichte Hyperhomocysteinämie: 15–30 µmol/l) oder nach Methionin-Belastung einen unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten von peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), zerebrovaskulären Insulten, koronarer Herzkrankheit sowie von tiefen Venenthrombosen darstellt [1,2]. Das erhöhte Risiko ist unabhängig von anderen Faktoren wie Nikotinkonsum, arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie und Diabetes mellitus. Das Auftreten von Hyperhomocysteinämien bei ca. 10–20% der KHKund 25–40% der PAVK-Patienten weist auf die grosse potentielle Bedeutung von Homocystein als Risikofaktor hin. In einer Metaanalyse von Boushey et al. [1] waren insgesamt 10% der KHK-Fälle mit erhöhten Homocystein-Werten assoziiert. Bei einem Anstieg des Homocystein-Spiegels um 5 µmol/l betrugen die Odds Ratios für KHK bei Männern 1,6 und bei Frauen 1,8.

Ätiologie und Pathophysiologie

Homocystein entsteht aus der schwefelhaltigen Aminosäure Methionin. Homocystein befindet sich an der Verzweigungsstelle zweier Stoffwechselwege: Remethylierung und Transsulfurierung [3]. Die Vitamin-B12-abhängige Remethylierung von Homocystein zu Methionin wird durch die Methioninsynthase (MS) katalysiert; dieses Enzym benötigt 5-Methyltetrahydrofolat als primären Methyl-Donator. 5-Methyltetrahydrofolat entsteht aus 5,10Methylentetrahydrofolat durch die katalytische Wirkung des Enzyms 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR). Bei der Transsulfurierung katalysiert die Cystathionin--Synthase (CBS) Homocystein und Serin zu Cystathionin. Genetische Defekte dieser drei Schlüsselenzyme — CBS, MS und MTHFR—führen zu schweren Hyperhomocystein-ämien (>100 µmol/l), die schwere Gefässerkrankungen verursachen.
Die Ursachen für leicht erhöhte Homocystein-Werte sowie der genaue Mechanismus, aufgrund dessen Homocystein bei den häufigsten Gefässkrankheiten zu Schädigungen führt, sind bislang unbekannt [4,5]. Es gibt jedoch direkte Hinweise, dass schädliche Homocystein-Konzentrationen mit denjenigen vergleichbar sind, die bei Gefässkrankheiten gemessen werden. Leicht erhöhte Homocystein-Werte bei Mäusen mit heterozygoter Deletion des CBS-Gens führen zu Funktionsstörungen des Gefässendothels [6].
Sowohl genetische als auch nutritive Faktoren spielen eine Rolle. Deren Wechselwirkungen verursachen mässige Anstiege des Homocystein-Spiegels. In einer Studie waren die erhöhten Homocystein-Werte bei der Hälfte der untersuchten KHK-Patienten familiär bedingt [7]. Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass ein Mangel an Folsäure [8] und Vitamin B12 [9] sowie — in geringerem Masse — an Vitamin B6 [10] die Höhe des Homocystein-Spiegels beeinflussen kann.
Grosses Interesse hat die Rolle eines weit verbreiteten Polymorphismus des MTHFRGens bei der Entstehung von Hyperhomocysteinämien und Gefässleiden hervorgerufen. Kang et al. [11] wiesen erstmals bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine Assoziation zwischen leicht erhöhten Gesamt-Homocystein-Werten im Plasma einerseits und einer gestörten MTHFR-Funktion (gemessen als erhöhte Thermolabilität) andererseits nach. Eine homozygote Mutation (Austausch von Cytosin durch Thymidin an der Nukleotidposition 677) wurde als Ursache für die Entstehung des thermolabilen Enzyms mit leicht verminderter enzymatischer Aktivität nachgewiesen [12]. Diese Mutation ist überdies mit leicht erhöhten Homocystein-Werten assoziiert, insbesondere bei Personen, deren Gesamt-Folat-Werte unterhalb des medianen Referenzwertes liegen. Interessanterweise wurden populationsspezifische Unterschiede hinsichtlich der 677T-Homozygotie festgestellt — von 4% Prävalenz bei einer brasilianischen bis 23% bei einer italienischen Kontrollgruppe; in einer Population aus Basel betrug die Prävalenz 16% [13]. Kluitmans et al. [14] haben bei Vorliegen der 677T-Homozygotie ein Odds Ratio von 1,22 für das Risiko von Gefässleiden errechnet. In zahlreichen anderen Studien war die Häufigkeit von Gefässkrankheiten jedoch nicht erhöht [15,16]. Der Polymorphismus ist demnach in allen Populationen weit verbreitet. Zwischen dem Auftreten der Mutation und den Gesamt-Homocystein-Werten existiert eine eindeutige Assoziation [17,18], die bei niedriger Folat-Konzentration verstärkt wird [19]. Bislang existiert jedoch kein eindeutiger Beweis, dass die Mutation selber ein Risikofaktor für die Entstehung einer Gefässkrankheit darstellt.

Weitere mit dem Homocystein-Stoffwechsel-assoziierte Polymorphismen

Weitere Polymorphismen wurden als potentielle Determinanten des Homocystein-Spiegels identifiziert. Bei einigen dieser Polymorphismen wurde ein möglicher Zusammenhang mit unterschiedlichen Krankheitsbildern untersucht, jedoch ohne eindeutige Ergebnisse.
Einige Beispiele: Methylentetrahydrofolatdehydrogenase (1958G/A) und Zusammenhang mit Neuralrohrdefekten [20] und Gefässkrankheiten [21]; MTHFR (1298A/C) in Kombination mit 677C/T und erhöhte Homocystein-Werte sowie Neuralrohrdefekt-Risiko [22]; Glutamatcarboxypeptidase II (H475Y) und relativ niedrige Serumfolat-Spiegel sowie Hyperhomocysteinämie, dieser Zusammenhang wurde nicht bestätigt [23]; MS (2756A/G) und erniedrigte Odds Ratio für Spina bifida [24]; MS-Reduktase (66A/G) und erhöhtes Risiko für Spina bifida sowie Down-Syndrom [25]; reduzierter Folat-Carrier (80G/A) [26].
Somit existiert kein einheitliches Konzept, welches eine Erklärung für die leichte Hyperhomocysteinämie bei Patienten mit Gefässkrankheiten liefern könnte.

Screening und Diagnostik

Indikationen: Welche Personen sollten getestet werden?

Derzeit existieren keine Beweise, dass eine Senkung des Homocystein-Spiegels eindeutige klinische Vorteile zur Folge hat. Aus diesem Grunde ist es nicht sinnvoll, die gesamte Population zu screenen. Eine Ausnahme bilden Personen, in deren persönlicher Anamnese frühzeitige Atherosklerose ohne genügend erklärende Ursache auftritt. Allenfalls sind Homocystein-Bestimmungen auch bei Vorliegen anderer bekannter Risikofaktoren wie erhöhten Cholesterin-Spiegeln, Rauchen, Bluthochdruck usw. sinnvoll. Die EU-konzertierte Aktionsstudie [27] hat eindeutig nachgewiesen, dass das Gefässrisiko bei Rauchern oder Personen mit Bluthochdruck nicht nur additiv, sondern um ein Vielfaches erhöht war. Bei positiver Familienanamnese für tHcy-Werte sollten auch Kinder über 10 Jahren getestet werden.

Was sollte getestet werden: GesamtHomocystein im Nüchternzustand oder nach Methionin-Belastung?

Im Plasma kann Homocystein in unterschiedlichen Formen vorkommen (siehe Abb. 1). Der zuverlässigste und empfindlichste Parameter ist das tHcy, das durch chemische Reduktion aus anderen Homocystein-Formen entsteht. Aus praktischen Gründen sollte die Bestimmung des tHcy im Nüchternzustand erfolgen. Es ist jedoch zu beachten, dass nach einer Methionin-Belastung [28] gemessene erhöhte Homocystein-Werte ebenfalls mit einem erhöhten Gefässrisiko assoziiert sind — unabhängig von den Homocystein-Nüchternwerten. In der Regel sind Methionin-Belastungen jedoch nicht primär indiziert, können aber je nach Anamnese bzw. Familienanamnese in Sonderfällen sinnvoll sein (siehe auch unten). Methionin-Belastungen sollten in einem Zentrum erfolgen, das über ausreichende Erfahrung sowie eigene Kontrollwerte verfügt.

Präanalytik und Analysemethoden [29]

Die präanalytischen Bedingungen stellen einen besonders wichtigen Aspekt dar, da rote Blutzellen nach der Blutentnahme Homocystein freisetzen: die Folge ist ein artifizieller Anstieg der Plasma-tHcy-Konzentration um ca. 10%/Stunde bei Raumtemperatur. Serumproben sind daher zur Homocystein-Bestimmung ungeeignet. In EDTA-, Heparinoder Citrat-Plasmaproben, die innerhalb von 30 Minuten durch Zentrifugation gewonnen werden, bleibt Homocystein bis zu vier Tage lang stabil; dies ermöglicht einen Probentransport bei Raumtemperatur. In tiefgefrorenen Proben (—20 °C) bleibt Homocystein mehrere Jahre lang stabil. Eine mässige Hämolyse führt zu keiner Interferenz mit den Homocystein-Messungen.
Die Homocystein-Werte werden durch die Körperhaltung beeinflusst: In Rückenlage entnommene Blutproben weisen einen niedrigeren Albumin-Gehalt auf. Da Homocystein bei gesunden Personen überwiegend Albumingebunden ist, sollte der Patient bei der Blutentnahme nicht auf dem Rücken liegen.
Um Eiweisszufuhr-bedingte Konzentrationsschwankungen zu vermeiden, sollte die Blutentnahme nach der Nachtruhe beim nüchternen Patienten erfolgen; am Vorabend sollte der Patient eine leichte Mahlzeit zu sich nehmen.
Zur quantitativen Messung stehen diverse Analysemethoden zur Verfügung: HPLC, konventionelle Aminosäuren-Analyse, Kapillarelektrophorese, Gaschromatographie mit oder ohne Massenspektrometrie, Flüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie sowie — in zunehmendem Masse — Immunoassays. Als Referenzmethode gilt die HPLC; bei der am häufigsten verwendeten HPLC-Modifikation wird das Plasma mit einem Reduktionsmittel (Tributylphosphin) versetzt; dabei entsteht aus den Homocystein-Monomeren freies Homocystein, welches mit Ammonium 7-fluoro-2,1,3-benzoxadiol-4-sulphonat derivatisiert wird; anschliessend wird Homocystein mittels HPLC/Fluoreszenz gemessen.
Die Wahl der Analysemethode hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Unabhängig von der gewählten Analysemethode sind laborinterne Kontrollwerte, interne Qualitätskontrollen (für die entsprechende Standards im Handel erhältlich sind) sowie die Teilnahme an externen Qualitätskontrollprogrammen (z.B. gemäss ERNDIM — www.erndimqa.nl) erforderlich. Messergebnisse verschiedener Laboratorien können divergieren; dies kann insbesondere im Bereich der oberen Normalwertgrenze kritisch sein.

Bewertung der Analysenresultate: Was bedeutet «normal»?

Bei der Bewertung der Laborergebnisse muss das Alter der Patienten berücksichtigt werden. Bei Kindern werden niedrigere, bei älteren Personen (>65 Jahre) dagegen höhere tHcy-Werte gemessen. Aus den meisten Studien ergibt sich ein Referenzbereich von 5–15 µmol/l; für einige Populationen kann jedoch ein anderer Referenzbereich gelten. Bei Personen über 65 Jahren gestaltet sich die Interpretation der tHcy-Werte problematischer, da in dieser Altersgruppe relativ häufig eine ungünstige Ernährung in Kombination mit Vitamin-B12-Resorptionsstörungen zu erhöhten tHcy-Werten führt.
Normale tHcy-Nüchternwerte erlauben keinen hundertprozentigen Ausschluss des Risikofaktors Hyperhomocysteinämie. In Zweifelsfällen sollte anschliessend ein MethioninBelastungstest durchgeführt werden.
Die Liste der möglichen Ursachen für erhöhte Homocystein-Werte ist lang (siehe Abb. 2). Vor Aufnahme einer Behandlung müssen Grunderkrankungen wie Nierenleiden, Folatoder Vitamin-B12-Mangel oder Schilddrüsen-Funktionsstörungen ausgeschlossen werden.

Therapie

Welche Homocystein-Werte bedürfen einer Therapie?

Bei Homocystein-Werten oberhalb der oberen Referenzbereichsgrenze (15 µmol/l) kann eine Therapie in der Sekundärprävention erwogen werden. Zwischen Homocystein-Spiegel und Risiko besteht offenbar eine lineare Beziehung, so dass auch Homocystein-Werte, die im oberen Teil des Normalwertbereichs (10–15 µmol/l) liegen, mit einem erhöhten Gefässrisiko assoziiert sind. Es wurde postuliert, dass das relative Risiko von HomocysteinSpiegeln zwischen 10 und 15 µmol/l nach Korrektur für andere kardiovaskuläre Risikofaktoren demjenigen von Cholesterin-Werten zwischen 4,9 und 7,1 mmol/l entspricht. Aus klinischer Sicht würde dies bedeuten, dass die Homocystein-Spiegel auf Werte von 10 µmol/l oder darunter gesenkt werden sollten.
Entsprechende Endpunktstudien stehen indessen noch aus.

Therapeutisches Vorgehen

Die Verabreichung von Folsäure-Dosen zwischen 0,4 mg und 10 mg täglich, in einigen Studien in Kombination mit Vitamin B6 und/oder Vitamin B12, führt je nach AusgangsHomocystein-Spiegel und initialem Folsäureund Vitamin-B12-Status zu einem Rückgang der Werte um 16–39% [30]. Derzeit werden eine Reihe von Interventionsstudien durchgeführt, um den Einfluss von Folsäure mit oder ohne Vitamin B6 und B12 auf das Gefässrisiko zu bestimmen. Die Ergebnisse dieser Studien werden im Jahr 2005—6 erwartet; bis dahin stützt sich der Nutzen einer Folsäure-Intervention auf Indizien. Nach Koronarangioplastie führte allerdings eine Senkung von Homocystein-Werten nach Folsäure-, Vitamin-B12und Vitamin-B6-Therapie zu verminderten Restenose-Raten und Revaskularisationen [31].

Empfehlungen bei erhöhten Homocystein-Werten

Leichte Hyperhomocysteinämie

Als «leicht erhöht» gelten Plasma-tHcy-Werte von 15–30 µmol/l (beachte: manche Autoren empfehlen eine Behandlung von HomocysteinWerten über 10 µmol/l). Bei leichter Hyperhomocysteinämie kann in der Sekundärprävention eine Therapie erwogen werden.
Vor Aufnahme einer Therapie ist zu prüfen, ob die Blutprobe korrekt entnommen und verarbeitet wurde, der erhöhte HomocysteinWert durch eine zweite Bestimmung bestätigt und ein Vitamin-B12-Mangel ausgeschlossen werden konnte.
Wenn diese drei Fragen mit «ja» beantwortet werden können, kann die orale Verabreichung von 1 mg Folsäure plus 40 mg Vitamin B6 plus 30 µg Cyanocobalamin täglich erwogen werden, gefolgt von einer Wiederholung der tHcy-Bestimmung nach einem Monat. Wenn der Homocystein-Wert innerhalb des Normalbereichs (oder unter 10 µmol/l) liegt, sollte die Therapie fortgesetzt werden.

Bei mittlerer (30–100 µmol/l) oder schwerer (>100 µmol/l) Hyperhomocysteinämie

Bei aussergewöhnlich hohen HomocysteinWerten oder bei Nicht-Ansprechen auf die Therapie sollten die Patienten an ein Speziallabor überwiesen werden, in dem die Ursache untersucht wird.
Bei Patienten mit bestätigter Hyperhomocysteinämie sind Familienuntersuchungen einschliesslich der Testung von Kindern angezeigt.

Mutationsanalyse

Eine Analyse der mit dem Homocystein-Stoffwechsel-assoziierten Polymorphismen wird nicht empfohlen. Zwischen dem 677C/T-Polymorphismus der MTHR selber und Gefässerkrankungen besteht lediglich eine schwache Assoziation. Überdies werden nach und nach weitere genetische Polymorphismen entdeckt, die direkt oder indirekt mit dem Homocystein-Stoffwechsel assoziiert sind. Aus diesem Grunde werden Analysen von Mutationen, die mit leichten Hyperhomocysteinämien assoziiert sind, derzeit ausschliesslich zu Forschungszwecken durchgeführt.

Wirtschaftlichkeit von Diagnostik und Therapie

Es liegen Schätzungen vor, wonach in den USA jährlich 35 000 Todesfälle wegen koronarer Herzkrankheit verhindert werden könnten, wenn bei Männern mit tHcy-Werten über 15 µmol/l der Spiegel um 5 µmol/l gesenkt würde. Obwohl Vitamin-Behandlungen kostengünstig sind, kann die Auffassung vertreten werden, dass Screening plus Therapie eine kosteneffizientere Strategie darstellt als eine generelle Behandlung.

Weitere Richtlinien und Gültigkeitsdauer der Richtlinien

Sobald Ergebnisse aus Interventionsstudien publiziert werden, sollten diese Richtlinien überprüft werden. (vgl. oben)

References

  1. Boushey, C.J.; Beresford, S.A.A.; Omenn, G.S.; Motulsky, A.G. A quantitative assessment of plasma homocysteine as a risk factor for vascular disease: probable benefits of increasing folic acid intakes. JAMA 1995, 274, 1049–1057. [Google Scholar] [CrossRef]
  2. Graham, I.M.; Daly, L.E.; Refsum, H.M.; Robinson, K.; Brattstrom, L.E.; Ueland, P.M.; et al. Plasma homocysteine as a risk factor for vascular disease: the European concerted action project. JAMA 1997, 277, 1775–1781. [Google Scholar] [CrossRef]
  3. Fowler, B. Disorders of homocysteine metabolism. J Inherit Metab Dis 1997, 20, 270–285. [Google Scholar] [CrossRef]
  4. Brattstrom, L.; Wilcken, D.E. Homocysteine and cardiovascular disease: cause or effect? Am J Clin Nutr 2000, 72, 315–323. [Google Scholar] [CrossRef]
  5. Ueland, P.M.; Refsum, H.; Beresford, S.A.; Vollset, S.E. The controversy over homocysteine and cardiovascular risk. Am J Clin Nutr 2000, 72, 324–332. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  6. Eberhardt, R.T.; Forgione, M.A.; Cap, A.; Leopold, J.A.; Rudd, M.A.; Trolliet, M.; et al. Endothelial dysfunction in a murine model of mild hyperhomocyst(e)inemia. J Clin Invest 2000, 106, 483–491. [Google Scholar] [CrossRef]
  7. Genest, J.J.; McNamara, J.R.; Upson, B.; Salem, D.N.; Ordovas, J.M.; Schaefer, E.J.; et al. Prevalence of familial hyperhomocyst(e)inemia in men with premature coronary artery disease. Arterioscler Thromb 1991, 11, 1129–1136. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  8. Kang, S.S.; Wong, P.W.K. Homocysteinemia due to folate deficiency. Metabolism 1987, 36, 458–462. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  9. Brattström, L.; Israelsson, B.; Lindgarde, F.; Hultberg, B. Higher total plasma homocysteine in vitamin B12 deficiency than in heterozygosity for homocystinuria due to cystathionine b-synthase deficiency. Metabolism 1988, 37, 175–178. [Google Scholar] [CrossRef]
  10. Ubbink, J.B.; Vandermerwe, A.; Delport, R.; Allen, R.H.; Stabler, S.P.; Riezler, R.; et al. The effect of a subnormal vitamin B6 status on homocysteine metabolism. J Clin Invest 1996, 98, 177–184. [Google Scholar] [CrossRef]
  11. Kang, S.S.; Wong, P.W.K.; Susmano, A.; Sora, J.; Norusis, M.; Ruggie, N. Thermolabile methylenetetrahydrofolate reductase: an inherited risk factor for coronary artery disease. Am J Hum Genet 1991, 48, 536–545. [Google Scholar]
  12. Frosst, P.; Blom, H.J.; Milos, R.; Goyette, P.; Sheppard, C.A.; Matthews, R.G.; et al. A candidate genetic risk factor for vascular disease: a common mutation in methylenetetrahydrofolate reductase. Nature Genetics 1995, 10, 111–113. [Google Scholar] [CrossRef]
  13. Todesco, L.; Angst, C.; Litynski Loehrer, F.; Fowler, B.; Haefeli, W.E. Methylenetetrahydrofolate reductase polymorphism, plasma homocysteine and age. Eur J Clin Invest 1999, 29, 1003–1009. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  14. Kluijtmans, L.A.J.; Kastelein, J.J.P.; Lindemans, J.; Boers, G.H.J.; Heil, S.G.; Bruschke, A.V.G. Thermolabile methylenetetrahydrofolate reductase in coronary artery disease. Circulation 1997, 96, 2573–2577. [Google Scholar] [CrossRef]
  15. Wilcken, D.E.L.; Wang, X.L.; Sim, A.S.; Mccredie, R.M. Distribution in healthy and coronary populations of the methylenetetrahydrofolate reductase (MTHFR) C677T mutation. Arterioscler Thromb Vasc Biol 1996, 16, 878–882. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  16. Reinhardt, D.; Sigusch, H.H.; Vogt, S.F.; Farker, K.; Muller, S.; Hoffmann, A. Absence of association between a common mutation in the methylenetetrahydrofolate reductase gene and the risk of coronary artery disease. Eur J Clin Invest 1998, 28, 20–23. [Google Scholar] [CrossRef]
  17. Tonstad S, Refsum H, Ose L, Ueland PM, The C677T mutation in the methylenetetrahydrofolate reductase gene predisposes to hyperhomocysteinemia in children with familial hypercholesterolemia treated with cholestyramine. J Pediatr 1998, 132, 365–368. [CrossRef]
  18. Gudnason, V.; Stansbie, D.; Scott, J.; Bowron, A.; Nicaud, V.; Humphries, S. C677T (thermolabile alanine/valine) polymorphism in methylenetetrahydrofolate reductase (MTHFR): its frequency and impact on plasma homocysteine concentration in different European populations. Atherosclerosis 1998, 36, 347–354. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  19. Jacques, P.F.; Bostom, A.G.; Williams, R.R.; Ellison, R.C.; Eckfeldt, J.H.; Rosenberg, I.C.H.; et al. Relation between folate status, a common mutation in methylenetetrahydrofolate reductase, and plasma homocysteine concentrations. Circulation 1996, 93, 7–9. [Google Scholar] [CrossRef]
  20. Hol, F.A.; van der Put, N.M.J.; Geurds, M.P.A.; Heil, S.G.; Trijbels, F.J.M.; Hamel, B.C.J.; et al. Molecular genetic analysis of the gene encoding the trifunctional enzyme MTHFD (methylenetetrahydrofolate-dehydrogenase, methenyltetrahydrofolate-cyclohydrolase, formyltetrahydrofolate synthetase) in patients with neural tube defects. Clin Genet 1998, 53, 119–125. [Google Scholar] [CrossRef]
  21. Akar, N.; Akar, E. Methylenetetrahydrofolate-dehydrogenase 1958 G-A (R653 Q) polymorphism in Turkish patients with venous thromboembolism. Acta Haematol 1999, 102, 199–200. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  22. van der Put, N.M.J.; Gabreels, F.; Stevens, E.M.B.; Smeitink, J.A.M.; Trijbels, F.J.M.; Eskes, T.K.A.B. , et al. A second mutation in the methylenetetrahydrofolate reductase gene: an additional risk factor for neural-tube defects? Am J Hum Genet 1998, 62, 1044–1051. [Google Scholar] [CrossRef]
  23. Devlin, A.M.; Ling, E.; Peerson, J.M.; Fernando, S.; Clarke, R.; Smith, A.D.; et al. Glutamate carboxypeptidase II: a polymorphism associated with lower levels of serum folate and hyperhomocysteinemia. Hum Molec Genet 2000, 9, 2837–2844. [Google Scholar] [CrossRef]
  24. Christensen, B.; Arbour, L.; Tran, P.; Leclerc, D.; Sabbaghian, N.; Platt, R.; et al. Genetic polymorphisms in methylenetetrahydrofolate reductase and methionine synthase, folate levels in red blood cells, and risk of neural tube defects. Am J Med Genet 1999, 84, 151–157. [Google Scholar] [CrossRef]
  25. Wilson, A.; Platt, R.; Wu, Q.; Leclerc, D.; Christensen, B.; Yang, H.; et al. A common variant in methionine synthase reductase combined with low cobalamin (vitamin B12) increases risk for spina bifida. Molec Genet Metab 1999, 67, 317–323. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  26. Chango, A.; Emery-Fillon, N.; de Courcy, G.P.; Lambert, D.; Pfister, M.; Rosenblatt, D.S.; et al. A polymorphism (80G->A) in the reduced folate carrier gene and its associations with folate status and homocysteinemia. Mol Genet Metab 2000, 70, 310–315. [Google Scholar] [CrossRef]
  27. Graham, I.M.; Daly, L.E.; Refsum, H.M.; Robinson, K.; Brattstrom, L.E.; Ueland, P.M.; et al. Plasma homocysteine as a risk factor for vascular disease: the European concerted action project. JAMA 1997, 277, 1775–1781. [Google Scholar] [CrossRef]
  28. Löhrer, F.M.T.; Angst, C.P.; Brown, G.; Frick, G.; Haefeli, W.E.; Fowler, B. The effect of methionine loading on 5-methyltetrahydrofolate, S-adenosylmethionine and S-adenosylhomocysteine in plasma of healthy humans. Clin Sci 1996, 91, 79–86. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
  29. Rasmussen, K.; Mвller, J. Total homocysteine measurement in clinical practice. Ann Clin Biochem 2000, 37, 627–648. [Google Scholar] [CrossRef]
  30. Collaboration, H.L.T. Lowering blood homocysteine with folic acid based supplements: meta-analysis of randomised trials. BMJ 1998, 316, 894–898. [Google Scholar] [CrossRef]
  31. Schnyder, G.; Roffi, M.; Pin, R.; Flammer, Y.; Lange, H.; Eberli, F.R.; et al. Decreased rate of coronary restenosis after lowering of plasma homocysteine levels. N Engl J Med 2001, 345, 1593–1600. [Google Scholar] [CrossRef] [PubMed]
Abbildung 1. Im Körper entsteht Homocystein aus der Aminosäure Methionin. Ausserhalb der Zellen liegt Homocystein in den dargestellten unterschiedlichen Formen vor.
Abbildung 1. Im Körper entsteht Homocystein aus der Aminosäure Methionin. Ausserhalb der Zellen liegt Homocystein in den dargestellten unterschiedlichen Formen vor.
Cardiovascmed 07 00071 g001
Abbildung 2. Situationen, die mit unterschiedlich stark erhöhten Homocystein-Werten assoziiert sein können.
Abbildung 2. Situationen, die mit unterschiedlich stark erhöhten Homocystein-Werten assoziiert sein können.
Cardiovascmed 07 00071 g002

Share and Cite

MDPI and ACS Style

Fowler, B.; Battegay, E.; Darioli, R.; Graf, C.; Miserez, A.R.; Riesen, W.; Saner, B.; Schulthess, G. Homocystein als Kardiovaskulärer Risikofaktor. Cardiovasc. Med. 2004, 7, 71. https://doi.org/10.4414/cvm.2004.01010

AMA Style

Fowler B, Battegay E, Darioli R, Graf C, Miserez AR, Riesen W, Saner B, Schulthess G. Homocystein als Kardiovaskulärer Risikofaktor. Cardiovascular Medicine. 2004; 7(2):71. https://doi.org/10.4414/cvm.2004.01010

Chicago/Turabian Style

Fowler, Brian, Edouard Battegay, Roger Darioli, Christian Graf, André R. Miserez, Walter Riesen, Brigitte Saner, and Georg Schulthess. 2004. "Homocystein als Kardiovaskulärer Risikofaktor" Cardiovascular Medicine 7, no. 2: 71. https://doi.org/10.4414/cvm.2004.01010

APA Style

Fowler, B., Battegay, E., Darioli, R., Graf, C., Miserez, A. R., Riesen, W., Saner, B., & Schulthess, G. (2004). Homocystein als Kardiovaskulärer Risikofaktor. Cardiovascular Medicine, 7(2), 71. https://doi.org/10.4414/cvm.2004.01010

Article Metrics

Back to TopTop