Sehr geehrter Herr Kollege ...
So will man nicht jeden nennen—ja, die Anrede ist eine Auszeichnung: Collega, lateinisch für Amtsgenosse oder Mitabgeortneter, wie der Duden weiss [
1], bezeichnet einen Weggefährten. Der Begriff «collega» leitet sich von «lex», lateinisch für Gesetz ab. «Legare» meint denn auch, jemanden aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung zu etwas zu bestimmen. Kurz: Kollegen sind in einer gemeinsamen Mission unterwegs.
Einst waren nicht nur Mediziner gemeint, sondern vielmehr die im gleichen Beruf Tätigen, Männer zudem (denn zu jener Zeit waren es Vertreter des starken Geschlechts), die Stellung und Bildung ausweisen konnten. Bildung und Wissen waren seit dem Mittelalter damit verbunden: «Collegium» stand für die Zusammenkunh Gleichgesinnter. Kollegen warendie Wissenden, die—wie man selbst, wenn man die Anrede gebrauchte—über hohe Bildung verfügten, mit denen man sich auf gleicher Augenhöhe und in gleicher Sprache—damals dem Lateinischen—austauschen und den Nachwuchs ausbilden konnte (Abb. 1). Collegae waren vom Ideal des Humanismus beseelt, das Bildung in den Künsten und Wissenschaften zur Menschwerdung erhob. Humanität war ihnen nicht angeboren, Menschlichkeit war zwar in der Anlage vorhanden, musste aber von jedem erworben werden—erst der Gebildete war wirklich Mensch.
Kollegialität
Das Adjektiv «kollegial», lateinisch collegialis, das sich im 17. Jahrhundert verbreitete, stand für amtsbrüderlich, einträchtig und hilfsbereit—Tugenden, die man von Gleichgesinnten erwartet. Kollegial war ein Verhalten, das humanistisch Gebildete auszeichnete: Loyalität zur Sache, Respekt vor dem Gegenüber und eine Diskussionskultur, die auf einem vernünhigen Diskurs Gleichberechtigter beruhte. Diese Haltung wurde nicht nur an Universitäten gepflegt, auch niedergelassene Kollegen fühlten sich ihr verpflichtet: Der 1832 gegründete Ärzteverein St. Gallen hielt in seiner Gründungsurkunde fest [
2], dass es Sinn und Zweck dieser Gemeinschah sei, dass «jeder seine Meinung frei und ohne Scheu aussprechen dürfe und zugleich kollegialische Harmonie gefördert werde.»
Kollegialität ist dem Geist der AuRlärung verpflich tet. Ja, mit Jürgen Habermas’ kommunikativem Handeln [
3] kam sie in der Moderne zu ihrem Recht: Die kommunikative Vernunh machte den respektvollen Diskurs rational Denkender zum Kern der Erkenntnis, die sich durch das bessere Argument und nicht durch Macht oder Gehabe legitimierte. Die Wissensgemeinschah, wie wir in der flachen Welt [
4] das «Collegium» nennen, hat damit viel erreicht: In den letzten 500 Jahren konnten wir mehr Wissen schaffen als in Tausenden Jahren zuvor; technische Errungenschahen und die Entstehung der wissenschahlichen Medizin, die dem rationalen Dialog unter Kollegen verpflichtet ist, haben unser Leben erleichtert und verlängert.
Abbildung 1.
Mittelalterliches Collegium: Vorlesung an einer mittelalterlichen Universität im 14. Jahrhundert. (Laurentius de Voltolina, Henricus de Alemannia con i suoi studenti, aus: Liber ethicorum des Henricus de Alemannia. Quelle: Wikimedia Commons.).
Abbildung 1.
Mittelalterliches Collegium: Vorlesung an einer mittelalterlichen Universität im 14. Jahrhundert. (Laurentius de Voltolina, Henricus de Alemannia con i suoi studenti, aus: Liber ethicorum des Henricus de Alemannia. Quelle: Wikimedia Commons.).
Ungeliebte Kollegen
Die beschworene Kollegialität hielt allen Bemühungen zum Trotz nicht lange vor. Gewiss, noch heute begrüssen sich Ärzte mit «Herr Kollege», mehr noch wird die ergraute Anrede in der Korrespondenz verwendet—der Ausdruck hat die Zeiten überlebt. Doch seinen Anspruch hat er nicht eingelöst: Über Jahrhunderte haben sich Ärzte nicht nur geachtet und befruchtet, sondern auch auf das Wüsteste beschimph. Vielleicht ging es in anderen Berufen ebenso hehig zu wie unter unfehlbaren Heilern, doch hängt am ärztlichen Beruf etwas Absolutes. Ärztliches Handeln scheint, zumal unter Kardiologen und Chirurgen, fest an ein starkes Selbstwertgefühl geknüph: Wer rettet und heilt, hat gerne Recht—dass ein anderer Gleiches, vielleicht gar Besseres tut, wird schnell zum Affront. Mancher, der einen Patienten zur Zweitmeinung sieht oder von einem schwierigen Fall vernimmt, weiss es gerne besser. Der Anspruch auf Überlegenheit, der sich—falls nötig—durch Entwertung von Kollegen erschaffi, scheint zum Arzttum zu gehören—Neid und Ressentiment sind das Spiegelbild solcher Umgangsformen ([
5], S. 149–162).
Das Helfersyndrom [
6] kann Kollegen zu grossen Ärzten, charismatischen Chefs und bedeutenden Mentoren, aber auch unleidlich, ja gefährlich machen, wenn sich ein verletzter Narzissmus dazugesellt [
7]. Die narzisstische Erhöhung bei Erfolg kann umgekehrt bei Niederlagen, durch wirkliche oder empfundene Zurücksetzungen oder Ungerechtigkeiten in bitteres Ressentiment umschlagen. Dieser heimliche Groll kann sich—wie Nietzsche [
8] erkannte—zur Selbstvergihung auswachsen und in Entwertung, Zynismus oder Heimtücke entladen—das «Reward Deficiency Syndrome» ist toxisch.
Geschichtlich waren es die Innovativen, die zur Bedrohung der Etablierten wurden: Ovids Spruch «Bene qui latuit, bene vixit» war einer der Wahlsprüche von René Descartes, zu einer Zeit, als die Inquisition jeden verfolgte, der die Grenzen des Erlaubten überschritt [
9]. Wer sich gut verborgen gehalten hat, der hat gut gelebt.
In der Medizin war es nicht anders: Andreas Vesalius floh 1536 aus dem umtriebigen Paris in das beschauliche Padua, denn in der französischen Metropole drohten ihm Verzeigungen durch missgünstige Kollegen und Vertreter der Kirche, für die eine Sektion ein Vergehen war ([
5], 41–42). Seinem Zeitgenossen Leonardo da Vinci, der mit in im Dunkel der Nacht vorgenommenen Sektionen die Herzklappen mit stupender Genauigkeit gezeichnet hatte (Abb. 2), kostete im Florenz der Renaissance eine anonyme Anzeige fast Ruf und Leben [
10]. Pierre Louis, der erste Epidemiologe, wurde noch im 19. Jahrhundert von seinen Kollegen in Paris verlacht [
11], das Stethoskop von René Laennec in der Académie de Médicine verspottet [
12], ja Werner Forssmann für seinen heroischen Selbstversuch von Ferdinand Sauerbruch entlassen ([
5], S. 47)—neues Denken und Entdeckungen fand unter Kollegen nicht immer Freunde.
Dann sind es auch Lebensenttäuschungen in einem hierarchischen System, wie es sich in der Medizin findet: Nicht alle erklimmen die Stufen, von denen sie träumen. Entsprechend sind Vorgesetzte bei jeder Beförderung Konflikten ausgesetzt: Was immer man entscheidet, und will man noch so gerecht sein, es endet mit Beglückten und Enttäuschten. Auch der Rivale, mit dem man sich um Erfolg, Anerkennung und Ruhm streitet, kann zum ungeliebten Kollegen werden, wenn er vom Glück bevorzugt wird.
Abbildung 2.
Herz und Blutgefässe, aus den anatomischen Skizzenbüchern von Leonardo da Vinci.
Abbildung 2.
Herz und Blutgefässe, aus den anatomischen Skizzenbüchern von Leonardo da Vinci.
Einkehr der Vernunft
Dann setzte sich—zumindest auf sachlicher Ebene—die AuRlärung scheinbar durch: Konstruktive Kritik an falschen Theorien brachte die Medizin weiter—wir gelangten von der eminenzbasierten zur evidenzbasierten Medizin. Seither sind vernünhige Einwände, unvereinbare Befunde das treibende Element der Falsifikation, das Wissenschah über den Aberglauben erhebt und Erkenntnis schaffi. Entscheidend wurde eine neue Sachlichkeit, die sich Konzepte und Theorien und nicht die Person zum Inhalt macht. Damit wurde die Diskussion vernünhig: Mit der evidenzbasierten Medizin schwor man sich auf Fakten ein—wahr ist seither, was im Popperschen Sinne [
13] den Test der Zeit besteht. Dabei wurden die Hürden immer höher: Die Patientenzahlen in randomisierten Trials wuchsen in die Hunderte und Tausende, Monitoring und Verblindung wurden entscheidend. Daraus ergaben sich Guidelines [
14], die sich an das Erkannte halten. Nun wusste man, woran man war; ja, heute kennen wir die Wirksamkeit und Sicherheit vieler Behandlungen.
Irren ist ärztlich
Was wir damit lernten, war, dass jeder sich irren kann: Die Ergebnisse klinischer Trials sind nicht voraussehbar. Die scheinbare Königsweg gegen den plötzlichen Herztod, die Behandlung von Extrasystolen mit Antiarrhythmika, erwies sich als Todesfalle [
15]. Die Stimulierung schwacher Herzen mit Inotropika brachte frühzeitigen Tod [
16]. Als wirksam erwiesen sich entgegen den Erwartungen Defibrillatoren [
17], Betablocker [
18,
19] und Vasodilatatoren [
20]. Das Umdenken durch Tatsachen wurde zur Regel, Unerwartetes erwies sich als wirksam und Gewohntes als überholt [
18].
Outcome Research schliesslich ergab, dass jeder Arzt, besonders aber Operateure, Erfolge und auch Komplikationen hat—nobody is perfect. Jede Massnahme und Intervention bringt auch in besten Händen nicht nur Segen—Grund genug für eine neue Bescheidenheit.
Neue Gräben
Dieser Erkenntnis zum Trotz kehrte die Emotion zurück. Mit der Ökonomisierung der Medizin wurde das Geld eine Quelle unkollegialen Verhaltens: Wer wie der Schreibende als Präsident einer medizinischen Gesellschah während der Tarmed Verhandlungen der 90er Jahre den E mail Verkehr verfolgen durhe, weiss, dass sich hier jeder Respekt verliert—die Angst um das eigene Einkommen macht uns zu Tieren.
Mit der medizinischen Überversorgung [
21,
22], wie wir sie in grossen Städten kennen, hat sich das Problem verschärh. So verfügt die Schweiz beispielsweise in der Herzmedizin über viermal mehr Zentren als Holland und fünfmal mehr als Norwegen [
21]. Damitkam es zu neuen Fronten zwischen Allgemeinärzten und Spezialisten, zwischen Grossverdienern und weniger Betuchten, zwischen Machern und Nachdenklichen, zwischen Ideologen und Pragmatikern, und besonders zwischen Privaten und Öffentlichen—hier geht es um Marktanteile und um Geld [
18].
Der kollegiale Dialog kann dadurch bei Einigen aus den Fugen geraten; kippt die Respektlosigkeit in Missgunst und Hass, bewirtschahen die Medien auf Anfrage mit Lust jedes Ressentiment: Nur was erregt, interessiert [
23]. Dass wir uns Ärzte damit vielleicht um die letzte Chance bringen, unseren Stand glaubwürdig zu vertreten, ist das Betrüblichste. Die gesellschahliche Entwertung des Arztberufs [
24,
25] wird dadurch weiter beschleunigt.
Medien als Waffe
Und gewiss, seit anonyme Informanten mit Hilfe gewinnorientierter Medien ihre Macht entdeckten, sind sie kaum zu halten. Deep Throat, der Whistleblower des Watergate Skandals—wir wissen, dass es sich um Mark Felt, den zweiten Mann im Federal Bureau of Investigation (FBI) handelte—war ein solcher Informant [
26]. Sachlich im Recht erfahren wir Beunruhigendes aus seinem Leben: Kurz vor dem Einbruch im demokratischen Hauptquartier in Watergate, am 2. Mai 1972, war Edgar Hoover, der allmächtige Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI), verstorben. Felt sah sich als natürlichen Nachfolger [
23]. Einen Tag nach Hoovers Tod ernannte Präsident Nixon Patrick Gray, einen erprobten Wahlkämpfer, zum Direktor des FBI—Felt war am Boden zerstört.
Es ist dieser verletzte Narzissmus [
8], der Informanten zum Intriganten macht. Bei Shakespeare ist es Jago, der von Othello Zurückversetzte. Er kann es nicht verwinden, dass an seiner Stelle Cassio zum Leutnant gemacht wurde [
27]. Dass er bei der Beförderung übergangen wurde, verfehlte ihre Wirkung nicht; schon beim ersten Auhritt zeigt Jago seine Heimtücke, gesteht er Roderigo, dass er Othello nur zum Schein dienen werde. In der Medizin ist es nicht anders: Kein Chef, schon gar nicht das Leben, kann alle glücklich machen—das Ressentiment wird zum Kreuz der Enttäuschten.
Gewiss, wir sind zivilisierter geworden: Was früher Dolche oder Folter waren, sind nun die Medien:
«In the old days we had the rack, now we have the press», kommentierte Oscar Wilde [
28]. In Zentren mit landesweiten Zeitungen wie Zürich kann dies zum ungehemmten Gebrauch medialer Macht für eigene Zwecke führen.
Unter Intriganten aus der eigenen Zunft
Als der Schreibende am 18. Januar 2013 seine Post sichtete, fand sich ein auffälliger Brief: Nicht nur, dass er ohne Absender daherkam, auch sein Inhalt war sonderbar: In holprigem Deutsch, ob absichtlich oder nicht1, verlautete der Unbekannte in drohendem Ton:
«Lieber Tom! Ich gebe dir als langjähriger (…) Weggefährte einen Wink, wie du (…) die nächste Gefahr eindämmen kannst. Dr. (…) heisst diese! lch gebe dir eine Chance bis Ende Februar (…), wenn bis dann in Bezug auf seine Anstellung nichts passiert, werde ich die Presse informieren.»—die Entlassung eines Mitarbeiters auf Erpressung hin kam nicht in Frage. Allen Befürchtungen zum Trotz verstrich die Drohung unbemerkt—selbst für die heutige Medienwelt war dies zu offensichtlich Ausfluss ungezügelten Neids.
«
When sorrows come, they come not single spies, but in batallions.» Was William Shakepeare [
29] notierte, kann man auch heute erleben: Es folgte, als sei alles orchestriert, eine anonyme Anklage an die Universität (und um sicher zu gehen gleich auch an die Presse), dann ein unverhüllter Antrag auf eine Untersuchung einer Drittautorschah an einem Kapitel eines in hoher Auflage erschienenen Lehrbuchs.
Die Kommission verneinte den Vorwurf, hielt aber die Autorennennungen für ungenügend (obgleich frühere Auflagen gleich gehandhabt wurden)—war dies Grund genug, um einen medialen Shitstorm im Inund Ausland zu entfachen?
Ja, dies schien nicht zu genügen: An einem lauen Oktobertag des gleichen Jahres ging abermals ein Schreiben ein; diesmal mit Absender—der Staatsanwalt liess grüssen. In der Beilage ein anonymer Brief (mit—wie später zu erfahren war—breit verteilter Kopie an die Presse): Die Beschuldigung lautete nun auf Sorgfaltspflichtverletzung, ja versuchten Totschlag. Dass ein kurzes Kammerflimmern während einer Live Übertragung durch das involvierte Team fachgerecht gemeistert wurde, wollte der versteckte Kläger nicht gelten lassen. Kantonale und ausserkantonale Gutachter entlasteten den Beklagten, der Staatsanwalt verneinte jeden Verdacht, sprach gar von einer haltlosen, wenn nicht missbräuchlichen Anzeige und verfügte die Nichtanhandnahme. Doch dies befriedigte die besorgten Kollegen nicht: Erneut wurden umgehend die Medien informiert. Ja, die anonymen Experten wussten zweifelsfrei, wie sie der Presse kompetent zu versichern wussten, dass solches nur dem Beschuldigten und gewiss nie ihnen selbst hätte passieren können.
Dass das Resultat des Eingriffs angiographisch und aufgrund der Optical Coherence Tomography, die zuedukativen Zwecken Verwendung fand, hervorragend war, die beschwerdefreie Patientin bei normaler Herzfunktion altersentsprechend leistete, ja eine Positron Emmissions Tomographie eine normale Durchblutung belegte, war bekannt, erschien aber nicht beachtenswert—nur so liessen sich Ressentiments medial abführen und die Ansehen des Beklagten wirksam schädigen.
Homo Homini Lupus?
Das Zitat des Römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus (250 v. Chr.—184 v. Chr.) [
32], das Thomas Hobbes seinem Leviathan [
31] voranstellte, mag nach diesen Erfahrungen treffend erscheinen; es verkürzt den Menschen aber in fataler Weise. Hobbes Theorie vom Krieg aller gegen alle als Urzustand der Menschheit ist biologisch unplausibel. Ja, unsere Vorfahren, wie auch die Primaten, waren und sind soziale Wesen, die in Gruppen lebten—anders hätten diese schwachen Säuger nicht überlebt.
Und gewiss, die Mehrheit der Kollegen sind kollegial—Garcins Wort in Sartres Huis Clos [
32] ist nur die halbe Wahrheit.2 Viele, wie auch der Schreibende, durhen in ihrer Berufstätigkeit erleben, wie erhebend und befruchtend medizinische Teams sind, wie entscheidend die Zusammenarbeit Einzelner für den Erfolg des Ganzen ist, dass nur der respektvolle Dialog mit Kollegen neue Erkenntnis schaffi und wie erfüllend es sein kann, den Nachwuchs wachsen und blühen zu sehen. Ja, weder in der Klinik noch in der Forschung lässt sich heute alleine etwas erreichen. Und wenn man das Glück hatte, die Medizin mitzugestalten, dann war dies nur in kollegialen Arbeitsgruppen, Abteilungen und Kliniken möglich. Viele wissen auch ihre besten Freunde unter Kollegen. Nach Jahren blickt man schliesslich dankbar auf die Mentoren zurück, die einem ermutigt und gefördert haben und ohne die wohl wenig erreicht worden wäre.
Um so mehr überrascht es, dass sich eine verschworene Gemeinschah wie die Mediziner, die über Jahrhunderte freies Denken, den wissenschahlichen Fortschritt gegen Widerstände Ewiggestriger, der Kirche und nicht zuletzt der Politik verfocht, unter Mithilfe medialer Macht auch in übelster Weise zu diffamieren pflegt—und die Schweiz, ein Land, das gerne alle auf gleicher Höhe weiss, hat sich hier gerade in der Kardiologie, sei es Zufall oder nicht, wiederholt besonders hervorgetan. Gewiss, es sind nur wenige, aber die Aufmerksamkeit, die ihnen zukommt, und den Schaden, den sie anrichten, muss uns nachdenklich stimmen.
Kulturelle Veränderungen mögen dazu beigetragen haben: Grundsätze gelten heute wenig; was man einst unschicklich fand, wird im Namen eigener Interessen zur Chance, was man vor Zeiten unter seiner Würde sah, wird im Schatten medialer Vertraulichkeit zur Lust. Die narzisstische Gesellschah [
33,
34] gewichtet den eigenen Vorteil gerne vor allem anderen—und das globale Netz und skandalsüchtige Medien eröffneten dazu ungeahnte Möglichkeiten. Die Ökonomisierung der Medizin verstärkte diese Entwicklung: Wo zu viele um den gleichen Markt kämpfen, wird das Klima vergihet, wo zu viel Konkurrenz herrscht, diffamiert man gerne Mitbewerber.
Doch findet sich des Pudels Kern in den Tiefen unseres Seins: Mitgefühl, Empathie und Loyalität beschränken sich bereits bei Urvölkern [
35] auf die eigene Gruppe:
us and them [
36]. Wer nicht (oder nicht mehr) dazu gehört, ist allem ausgeliefert. In der Medizin hat sich das Standesdenken einiger verengt auf die eigene Spezialität, das eigene Netzwerk und das Spital, das einen nährt, oder auf die eigene Praxis—in dieser Kultur lässt sich Kollegialität nur schwerlich leben. Deshalb gilt: Cavete Collegae!
Zurück zum Wir
Es wäre der Medizin, insbesondere unserem Fach, der Kardiologie, zu wünschen, dass wir aus dieser Untugend wieder zu einer echten Kollegialität zurückfänden, in welcher Unstimmigkeiten lösungsorientiert, mit Respekt und offenem Visier untereinander geklärt werden, auf dass man sich weiterhin in die Augen zu schauen und gemeinsam am gleichen Strick zu ziehen vermag. Der Schreibende jedenfallsist trotz dem Erlebten dazu bereit, denn wie schon Nietzsche aus der Kriegsschule des Lebens schloss: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker [
37]. Und es gibt auch kaum einen anderen zielführenden Weg.
Nachtrag zu den Ereignissen
Der Autor erreichte mit dem von wohlmeinenden Kollegen fehlgeleiteten Magazin eine einvernehmliche Einigung, gemäss derer aufgrund der Sachlage zahlreiche Berichtigungen, vor allem an Reputationsschädigenden Äusserungen, vorgenommen wurden: Ebenso wurden Zusätze zu den Artikeln plaziert, wie eine Richtigstellung «In eigener Sache» durch die verantwortliche Redaktion und die «Nichtanhandnahme» des Staatsanwaltes, in welcher jede Sorgfaltsverletzung verneint und die anonyme Anzeige eines Kollegen als haltlos, wenn nicht missbräuchlich bezeichnet wird. In einem Interview wurde schliesslich vieles richtiggestellt und die Leistungen der Klinik für Kardiologie hervorgehoben wie auch Themen des Fachgebietes allgemein besprochen und vereinbart, auf eine weitere Berichterstattung zu diesen Themen zu verzichten. Aufgrund dieser einvernehmlichen Einigun wurde die Klage beim Handelsgericht Zürich zurückgezogen