Fall 1
Es handelt sich um einen 45-jährigen Patienten, der seit einer Woche über ein retrosternales Klemmen bei Kälte und körperlicher Anstrengung klagte. Das Klemmen verschwand jeweils nach circa 5 Minuten Ruhe oder Wärme. Nachdem es zu einem erneuten Ereignis mit einem retrosternalem Druckgefühl gekommen war, das sich nach 15 Minuten nicht besserte, erfolgte die Zuweisung mit dem Rettungsdienst in unser Spi- tal. In der Folge kam es zu einer raschen Entwicklung eines Lungenödems mit Ruhedyspnoe und Orthopnoe.
Die persönliche Anamnese ergab eine arterielle Hypertonie, eine Echokardiographie 7 Monate vor dem Ereignis hatte eine normale linksventrikuläre Auswurffraktion gezeigt. Zwei Wochen vor dem Ereignis bestand eine Pneumonie, die antibiotisch behandelt wurde.
Abbildung 1 zeigt das EKG bei Eintritt.
Fall 2
Beim zweiten Fall handelt es sich um eine 87-jährige Patientin, die seit 14 Tagen über retrosternale Schmerzen bei leichtester Anstrengung, aber zum Teil auch in Ruhe klagte. Da die Ruheschmerzen progredient waren, wurde sie vom Hausarzt stationär zugewiesen. Die persönliche Anamnese war bis auf eine substituierte Hypothyreose unauffällig. Bei Eintritt bestanden leichte Thoraxschmerzen, Abbildung 2 zeigt das EKG bei Eintritt.
Verlauf Fall 1
Echokardiographisch zeigte sich eine antero-apikale Hypokinesie mit einer eingeschränkten Pumpfunktion (LV-EF = 40%). Es wurde eine notfallmässige Koronar- angiographie durchgeführt, die eine isolierte Haupt- stammstenose zeigte (Abb. 3). Nach Einlage einer intraaortalen Ballonpumpe wurde eine notfallmässige aortokoronare Bypass-Operation mit Implantation der linken Arte- ria mammaria zum Ramus inter- ventricularis anterior (RIVA) und eines Venengraftes zum Mar- ginalast der Arteria circumflexa (RCX) durchgeführt.
Verlauf Fall 2
Auch bei dieser Patientin wurde eine notfallmässige Koronarangiographie durchgeführt. Diese zeigte eine koronare Drei-Ast-Erkrankung mit einer instabilen Hauptstammstenose. Die linksventrikuläre Auswurf- fraktion war erhalten. Auch bei dieser Patientin wurde eine notfallmässige Bypass-Operation durchgeführt (Arteria mammaria zum RIVA, Venengraft auf Arteria coronaria dextra (RCA) und Venengraft auf RCX).
Kommentar
Eine hochgradige Stenose des linken Hauptstammes kann zu einer Ischämie sowohl im Versorgungsgebiet des RIVA als auch der RCX führen. Die 3-Jahres-Mor- talität einer Hauptstammstenose beträgt bei medika- mentöser Therapie etwa 50% [
1]. Eine ST-Strecken- Hebung in der Ableitung aVR ist ein sensitives, aber nicht spezifisches Zeichen einer Hauptstammstenose [
2,
3]. Diese sieht man in Abbildung 1 und 2. Bei beiden Patienten wurde eine hochgradige Hauptstammstenose mittels Koronarangiographie diagnostiziert und notfallmässig chirurgisch revaskularisiert. Eine signifikante Stenose des linken Hauptstammes führt zu einer extensiven subendokardialen Ischämie des anterolateralen linken Ventrikels mit resultierender ST-Strecken-Senkungen in V3 bis V6. Die Ableitung aVR zeigt dann das Spiegelbild im Sinne einer ST-Strecken-Hebung. Häufig entsteht bei einem Hauptstammverschluss auch ein Rechtsschenkelblock, da die Blutzufuhr zum subnodal gelegenen Reizleitungssystem unterbrochen wird.
Diese zwei Beispiele sollen zeigen, dass diese relativ unauffälligen EKG-Veränderungen auf die gefährlichste Manifestation der Arteriosklerose an den Koronarien, die Hauptstammstenose, hinweisen können.
Abbildung 1.
EKG eines 45-jährigen Patienten mit Angina pectoris CCS III bis IV und Lungenödem. Es zeigt sich eine ST-Hebung in aVR und ST-Strecken-Senkungen in I, II sowie V4 bis V6.
Abbildung 1.
EKG eines 45-jährigen Patienten mit Angina pectoris CCS III bis IV und Lungenödem. Es zeigt sich eine ST-Hebung in aVR und ST-Strecken-Senkungen in I, II sowie V4 bis V6.
Abbildung 2.
EKG einer 87-jährigen Patientin mit Angina pectoris CCS III bis IV. Es zeigt sich eine ST-Hebung in aVR und ST-Strecken-Senkungen in I, II sowie V3 bis V6.
Abbildung 2.
EKG einer 87-jährigen Patientin mit Angina pectoris CCS III bis IV. Es zeigt sich eine ST-Hebung in aVR und ST-Strecken-Senkungen in I, II sowie V3 bis V6.
Abbildung 3.
Koronarangiographie der linken Kranzarterie des Patienten mit EKG 1 (Abb. 1): Es zeigt sich eine isolierte, hochgradige Hauptstammstenose (Stern). HS = Hauptstamm; RIVA = Ramus interventricularis anterior; RCX = Ramus circumflexus.
Abbildung 3.
Koronarangiographie der linken Kranzarterie des Patienten mit EKG 1 (Abb. 1): Es zeigt sich eine isolierte, hochgradige Hauptstammstenose (Stern). HS = Hauptstamm; RIVA = Ramus interventricularis anterior; RCX = Ramus circumflexus.
Abbildung 4.
Koronarangiographie der linken Kranzarterie der Patientin mit EKG 2 (Abb. 2): Es zeigt sich eine hochgradige Hauptstammstenose (Stern). HS = Hauptstamm; RIVA = Ramus interventricularis anterior; RCX = Ramus circumflexus.
Abbildung 4.
Koronarangiographie der linken Kranzarterie der Patientin mit EKG 2 (Abb. 2): Es zeigt sich eine hochgradige Hauptstammstenose (Stern). HS = Hauptstamm; RIVA = Ramus interventricularis anterior; RCX = Ramus circumflexus.