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Editorial

Zahlenmystik Rund Ums Herz—Und Was Daraus zu Lernen Wäre

by
Thomas F. Lüscher
1,2
1
Klinik für Kardiologie, Herzkreislaufzentrum, UniversitätsSpital Zürich, CH-8091 Zürich, Switzerland
2
Institut für Physiologie, Kardiovaskuläre Forschung, Universität Zürich, CH-8091 Zürich, Switzerland
Cardiovasc. Med. 2010, 13(12), 357; https://doi.org/10.4414/cvm.2010.01545
Submission received: 15 September 2010 / Revised: 15 October 2010 / Accepted: 15 November 2010 / Published: 15 December 2010

Die ersten Zahlen

Zahlen waren gleich zu Beginn der interventionellen Kardiologie wichtig: An seinen legendären Kursen am UniversitätsSpital Zürich Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre (Abb. 1) notierte Andreas Grüntzig auf der Wandtafel des Hörsaals Nord die Anzahl perkutaner koronarer Interventionen (PCI), welche weltweit seit seinem ersten Eingriff vorgenommen worden waren [1]. Und dies mit gutem Grund: Bei sich selber hatte er die Lernkurve erfahren müssen und sie auch mit beeindruckender Selbstkritik dokumentiert. Nach dem ersten mit Leichtigkeit durchgeführten Eingriff (Abb. 2 [2]), musste er lernen, dass die PCI – wie es seine ersten Kritiker vermutet hatten – ihre Tücken hatte, die er mit steigender Erfahrung meisterte. Die Zahlen, die Grüntzig mit Kreide an der Wandtafel festhielt, dokumentierten Zentren, die seine Methode übernommen hatten. Sie halfen der Ballondilatation zum Durchbruch, der sie zum meistdurchgeführten medizinischen Eingriff machte [3]. Weltweit werden jährlich 2–3 Millionen PCI durchgeführt, davon – wie wir in diesem Heft lesen können [4] – im Jahre 2009 19024 in der Schweiz, dem Ursprungsland der Methode. Dazu kamen Hunderte von Spezialeingriffen, die Grüntzig selbst nie erleben durfte, für die er aber die Türe öffnete: Verschlüsse von offenen Foramina ovale, von atrialen Septumdefekten und jüngst das Aortenklappenstenting und Mitralclipping – eine beeindruckende Bilanz.

Was vom Zählen zu halten ist

Zu Beginn war es wichtig, schlicht Eingriffszahlen zu dokumentieren. Ja, sie bestätigten, dass die Methode nicht nur in den Händen des Meisters anwendbar war, sondern von jedem geschickten Kardiologen mit Erfahrung erlernt werden konnte. Danach aber verlor sich das reine Zahlenspiel. Umso mehr überrascht es, dass wir 33 Jahre später nicht weiter gekommen sind: Was wir jährlich berichten – courant normal, wie es Grüntzigs wichtigster Schüler Bernhard Meier letztes Jahr nannte [5] – hat an sich jeden Wert verloren. Bleibt nur der Triumph derjenigen, die es auf die höchsten Werte bringen? Oder sagen uns solche Zahlen wirklich etwas? Was lernen wir, wenn wir beeindruckt lesen, dass ein Zentrum letztes Jahr über 1200 PCI durchführte? Gewiss, schwer gearbeitet haben diese Kollegen – und dafür gebührt ihnen unsere Hochachtung. Doch taten sie auch das Richtige und Beste? Sind vielleicht diejenigen, die sich zurückhielten und weniger Eingriffe machten, die Besten? Wir wissen es nicht. Immerhin entnehmen wir den Zahlen, dass weniger als die Hälfte der Koronarangiographien – genau nur 45,7% – zu PCI geführt haben [4]. Sicher, dazu kommen noch chirurgisch behandelte Patienten, aber dennoch bleiben viele diagnostische Untersuchungen ohne Konsequenzen.
Abbildung 1. Andreas R. Grüntzig (1939–1985), Pionier der perkutanen transluminalen koronaren Angioplastie am UniversitätsSpital Zürich, bei einem seiner berühmten Live-Kurse in Zürich.
Abbildung 1. Andreas R. Grüntzig (1939–1985), Pionier der perkutanen transluminalen koronaren Angioplastie am UniversitätsSpital Zürich, bei einem seiner berühmten Live-Kurse in Zürich.
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Abbildung 2. Adolf Bachmann (A), der erste Patient weltweit, bei welchem am 16. September 1977 am UniversitätsSpital Zürich eine perkutane transluminale Ballon-Dilatation einer Stenose des Ramus interventricularis anterior (B) durchgeführt wurde.
Abbildung 2. Adolf Bachmann (A), der erste Patient weltweit, bei welchem am 16. September 1977 am UniversitätsSpital Zürich eine perkutane transluminale Ballon-Dilatation einer Stenose des Ramus interventricularis anterior (B) durchgeführt wurde.
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Abbildung 3. Mindlines oder Denkmuster praktischer Ärzte: Die handlungsbestimmende Evidenz und ihre Herkunft ist als Stufe nach ihrer Gewichtigkeit dargestellt (nach [9]).
Abbildung 3. Mindlines oder Denkmuster praktischer Ärzte: Die handlungsbestimmende Evidenz und ihre Herkunft ist als Stufe nach ihrer Gewichtigkeit dargestellt (nach [9]).
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Abbildung 4. Metaanalyse zur Spitalsterblichkeit bei perkutanen koronaren Eingriffen in Hochvolumen- und Niedervolumenzentren. Die Odds Ratio (OR) betrug 0,87 zugunsten der Hochvolumenzentren [14].
Abbildung 4. Metaanalyse zur Spitalsterblichkeit bei perkutanen koronaren Eingriffen in Hochvolumen- und Niedervolumenzentren. Die Odds Ratio (OR) betrug 0,87 zugunsten der Hochvolumenzentren [14].
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Und in der Tat zeigen amerikanische Studien, dass ein erheblicher Teil der Patienten, welche sich einer Koronarographie unterziehen, keine dokumentierte Ischämie aufweisen [6].

Von Überzeugungen zu Richtlinien

Das bringt uns zum Nächsten: Was sind die Grundlagen ärztlicher Entscheidungen und Massnahmen? Einst war die Urteilskraft des Arztes entscheidend, er wusste, was für seine Patienten das Richtige war. Heute hat sich die Medizin zu weit entwickelt; gerade weil sie so viel kann und kostet wie niemals zuvor, kann ein Einzelner nicht entscheidend sein. So sind Richtlinien entstanden, die die Evidenz gewichten (Level A–C) und Empfehlungen (Recommendation I–III) abgeben. Die European Society of Cardiology hat dies soeben für die myokardiale Revaskularisation getan – die Grundlagen wären gegeben [7].
Lesen Ärzte solche Empfehlungen und sind sie Grundlage ihres Handelns? Die Forschung zeigt Anderes: Die meisten Ärzte lesen kaum Guidelines und schon gar nicht die Originalarbeiten, die ihnen zu Grunde liegen. Grundlage ihres Handelns sind ihre eigene Erfahrung, was sie im Studium gelernt haben, die Meinung von Kollegen und lokaler Key-opinion-Leaders (Abb. 3) [8]. Prägend für unsere Denkmuster, im Englischen «mindlines» genannt, ist zunächst unser Umfeld und nicht objektive Daten, auch wenn sie im Internet verfügbar wären. Das stimmt nachdenklich: Offensichtlich ist unser Hirn nicht wie ein Computer bestellt. Wie von unserer evolutionären Herkunft verständlich, bestimmt die Gruppe, zu der wir gehören, auch unser professionelles Verhalten. Daten werden nach der Quelle, der Person gewichtet, von der sie stammen. Zudem beeinflusst uns Bisheriges und Gewohntes mehr als Neues und Ungehörtes – kurz wir benützen «mindlines» und nicht «guidelines» [9]. Dieses kognitive Verhalten überrascht nicht, behindert aber Evidenz-basierte Medizin [10]. Gewiss, der Euro-HeartSurvey ergab, dass sich die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie weitgehend durchgesetzt haben. Bei kardialen Untersuchungen und Interventionen sind wir uns aber weniger sicher [11] – und gerade deshalb wären nationale Register bedeutsam.

Was Zahlen wirklich sagen

Zunächst sind auch reine Zahlen nicht unbedeutend: In der interventionellen Kardiologie ist die Beziehung zwischen Eingriffsvolumen und Ergebnis gut belegt. Im European Heart Journal wurde ein systematisches Review [12] mit einem Editorial von William Wijns und Philippe Kolh [13], den Chairmen der «ESC Guidelines Myocardial Revascularisation» [7], publiziert, welche beide diesen Zusammenhang bestätigen (Abb. 4). In Frankreich wurde per Gesetz das Mindestvolumen für Zentren, welche Akut-PCI durchführen wollen, auf 350 festgelegt [14]. Grundlage dazu war eine Untersuchung an 37 848 Patienten in der Region von Paris [15]. Dabei zeigte sich wie in Deutschland [16] und den USA [17,18,19], dass bei elektiven wie Notfalleingriffen Zentren mit hohem Volumen (>400–600 PCI/Jahr) im Vergleich zu solchen mit geringem Volumen (<200–400 PCI/Jahr) eine tiefere Komplikationsrate und Mortalität aufwiesen. Ähnliches lässt sich auch für die Bypass-Chirurgie zeigen [20].
Abbildung 5. Anzahl interventioneller kardiologischer Zentren und Bevölkerung pro Zentrum in Holland, Dänemark und der Schweiz.
Abbildung 5. Anzahl interventioneller kardiologischer Zentren und Bevölkerung pro Zentrum in Holland, Dänemark und der Schweiz.
Cardiovascmed 13 00357 g005
Dabei scheint das Volumen des Zentrums deutlicher als das einzelner Operateure bestimmend. Somit ist neben dem Operateur, seiner Geschicklichkeit, seinem Wissen, Urteilsvermögen und Erfahrung das Umfeld wichtig, so Kollegen, von welchen man lernt und die man bei Schwierigkeiten beiziehen kann sowie die Pflege, die bei hohen Eingriffszahlen professioneller arbeitet und zur Ergebnisqualität beiträgt.

Wie viele Zentren braucht der Patient?

Das Eingriffvolumen hängt von der Indikationsstellung und der Zentrendichte ab. So nimmt mit zunehmender Zentrendichte die Patientenzahl pro Zentrum und Operator ab und damit – nach allem, was wir wissen – die Ergebnisqualität. Die Arbeitsgruppe «Perkutane Interventionen und Akutes Koronarsyndrom» der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) bemüht sich dies zu thematisieren und zu einer Lösung zu bringen. Und in der Tat stellt sich das Problem in der Schweiz mit besonderer Schärfe: So verfügt unser Land für 7,5 Millionen Einwohner über 29–33 interventionelle Zentren (je nach dem, wie man zählt, und wer sich zusammentut, um grösser zu erscheinen …). Holland, bekannt für seine interventionellen Kardiologen, betreibt für 15 Millionen Einwohner 24 Zentren, davon 22 mit 24-Stunden-Akut-PCI-Service (Abb. 5). Somit entfallen in der Schweiz nur 280 000 Einwohner auf ein Zentrum, in Holland dagegen 682 000 und in Norwegen 750 000. Dies stimmt nachdenklich: Brauchen wir doppelt bis dreimal so viele Zentren? Warum verfügt die Schweiz über eine so hohe Zentrendichte? Unser Gesundheitssystem ist – sicher auch zum Vorteil – liberal gestaltet und kennt wenig staatliche Regelungen und insbesondere im zusatzversicherten Bereich bisher keine Bewilligungspflicht für Zentren, wie Holland und Skandinavien. Auch bestehen bei uns über den FMH-Titel hinaus keine Anforderungen für die interventionelle Kardiologie, während beispielsweise Holland mindestens 2 Jahre Weiterbildung und danach 150 PCI pro Jahr für jeden Operator fordert – davon sind wir weit entfernt.
Weiter ist unser Land kantonal strukturiert und dies wurde mit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) verstärkt. Aufgrund der kantonalen Finanzierung haben viele Kantone neue Zentren in verschiedensten Bereichen der Medizin gegründet, ausgebaut oder gefördert. Schliesslich kennt unser Gesundheitssystem – zumindest im zusatzversicherten Bereich – einen freien Markt, welcher zum Ausbau lukrativer Disziplinen wie der Kardiologie geführt hat. All dies trägt zu den hohen Gesundheitskosten in der Schweiz bei, welche 12% des Bruttosozialproduktes oder nahezu 4000 CHF pro Kopf ausmachen, ein Anteil, welcher nur von den USA (14% des Bruttosozialproduktes und 5880 CHF/Kopf) übertroffen wird, während Holland weniger als 3000 CHF pro Kopf ausgibt [21].

Was uns Zahlen sagen sollten

Man mag einwenden, dass in der Schweiz – und wir halten ja viel von unserem System und unseren Ärzten – die Lage eine ganz andere sei und auch bei geringen Zahlen die schweizerische Sorgfalt für gute Ergebnisse sorge. Die Worte hören wir wohl, allein uns fehlen die Daten: Was unserer Statistik fehlt, sind Angaben zur Indikation und zum Ergebnis unseres Tuns. Die Eingriffszahlen lassen uns im Ungewissen, ob mit guten Gründen eine Koronarangiographie durchgeführt wurde, ob jeder Intervention eine adäquate Anatomie, typische Angina pectoris oder Ischämie oder ein ACS zu Grunde lag. Schliesslich wissen wir nichts über den Verlauf der Patienten: Entsprach er dem internationalen Benchmark, war er besser oder nicht? Unsere Jahresstatistik wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet.
Stattdessen lesen wir in steigendem Masse in glanzvollen Broschüren von unseren Leistungen, sei es im Steigflug, wenn wir im Swiss Magazine uns ein Advertorial zu Gemüte führen oder beim sonntäglichen Frühstück zur Zeitung greifen. Dagegen wäre gewiss nichts einzuwenden (Klappern gehört heute ja zum Handwerk), wenn das medizinisch Bedeutsame gleichzeitig in einem Peer-reviewed-Paper zu lesen wäre. Was wir also wirklich bräuchten, wäre eine objektive Outcome-Statistik mit überprüften Daten, wie sie Schweden mit dem SCAAR-Register schuf.
Gewiss, es gibt auch bei uns Register, so das AMISPlus, welches unter dem Patronat der SGK, der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin und der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin seit 1997 von inzwischen 76 Spitälern klinische Daten von über 30 000 Patienten mit ACS erfasst hat. So liess sich zeigen, dass sich die Hospitalisationsdauer seit 1997 von über 12 auf 6 Tage verkürzt und die Spitalsterblichkeit von 12,5 auf 6,1% verringert hat [22] – das sind gewichtige Daten, die den interventionellen Aufwand bei ACS medizinisch und politisch rechtfertigen. Dabei war die unkorrigierte Mortalität in kleineren Spitälern höher als in grösseren, doch ist bei der Interpretation Vorsicht geboten, da sich die Patienten bezüglich Geschlecht, Alter und Anteil von STEMI-Infarkten unterschieden [23]. Will man nicht – wie dargestellt [24] – statistischen Artefakten unterliegen, müssten Daten komplexitätskorrigiert dargestellt und die Überweisungspraxis berücksichtigt werden. Auch wäre der Outcome nach 30 Tagen [21] oder einem Jahr aussagekräftiger als die Spitalsterblichkeit alleine. Doch immerhin: Ein erster Schritt wurde getan.
In jüngster Zeit sind einige Spitäler dazu übergegangen, ihre Behandlungsqualität öffentlich zu machen [25]. Die benutzten ICD-Codes allerdings führen, wie in der Outcome-Forschung bestens bekannt, zu teilweise erheblich falschen Zahlen. Immerhin ist Zentren, die sich einer solchen Qualitätskontrolle unterziehen, ein guter Wille zuzugestehen. Was aber diesen, wie dem AMIS-Register, fehlt, ist ein unabhängiges Monitoring. Im Staate New York dokumentieren Herzchirurgen jährlich auf Anraten der Society of Thoracic Surgeons [26] ihre Outcome-Daten und unterbreiten sie dem Duke Medical Research Center. Unabhängige Monitore prüfen die Datensätze auf Vollständigkeit und Plausibilität und machen Stichproben vor Ort. Damit ist eine optimal dokumentierte und öffentlich zugängliche Datenbank entstanden, welche es Kollegen, Laien und Patienten ermöglicht, sich ein Bild von der Behandlungsqualität von Zentren und Herzchirurgen zu machen.
Abbildung 6. Komplexitätsadjustierte 30-Tage-Mortalität bei 1243 Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Die Darstellung zeigt die Abhängigkeit der Sterblichkeit von der klinischen Präsentation und dem befallenen Gefäss (Toggweiler et al. 2010).
Abbildung 6. Komplexitätsadjustierte 30-Tage-Mortalität bei 1243 Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Die Darstellung zeigt die Abhängigkeit der Sterblichkeit von der klinischen Präsentation und dem befallenen Gefäss (Toggweiler et al. 2010).
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Das KVG und sein Anliegen

Das KVG – auf französich sinnigerweise LaMal genannt – hat sich Qualitätskontrolle auf die Fahne geschrieben. Eine angemessene Strategie, die allerdings aufgrund fehlender Mittel wenig wirksam wurde. Wie erwähnt, lassen sich Daten zu medizinischen Interventionen nicht ohne Ressourcen erheben. Wenn dem so wäre, liessen sich Medikamente zum Nulltarif einführen. Nicht desto trotz verfolgt das Bundesamt für Gesundheit gemeinsam mit H+ eine Billigstrategie, die auf der ICD-Codierung der Spitäler fusst. Was dabei herauskam, waren «lies, damn lies and statistics» [24]. Es ist verständlich, dass Zentren ihre Daten nur dann öffentlich machen wollen, wenn gesichert ist, dass alle ihre Zahlen offenlegen und die Datenqualität wie in Holland durch unabhängige Monitore gesichert ist.

Was zu tun wäre

Wie kämen wir weiter? Vorab Universitätsspitäler haben ihre Daten in Dissertationen, Publikationen, Jahresberichten und Websites publiziert. Dazu standen und stehen ihnen motivierte Assistenten und Dissertanden zu Verfügung, die sich kostenlos bemühen, Patienten-Daten zu erheben. Grundsätzlich sollte dies jedes Zentrum tun, doch fehlen vielerorts die Mittel, Zeit und vielleicht manchmal auch der Wille. Auch sind selbsterhobene Daten ohne Monitoring wenig glaubwürdig: Was wir der forschenden Industrie aufbürden, davon können wir uns selbst nicht entbinden. Doch dazu bräuchte es Mittel für eine zentrale Datenbank und Monitoring, die von den Institutionen oder wohl eher noch vom Bund stammen müssten, der die Qualitätskontrolle von Gesetzes wegen fordert. Dies umso mehr, als grobe Zahlen nicht genügen. Gerade in der Kardiologie bestimmt die Komplexität das Ergebnis: Bei ACS beispielsweise wird das Überleben vom Zustand bei Eintritt bestimmt. Ist der Patient bei Bewusstsein und ohne Kreislaufunterstützung, liegt die Mortalität in grossen Zentren bei 3%, bei intubierten Sudden-death-Survivors dagegen bei 35% (Abb. 6). Der Mittelwert eines Zentrums ist daher ungenügend, da Komplexität nicht normal verteilt ist. Entsprechendes dürfte auch für stabile Koronariker gelten. Ja, noch Schwerwiegenderes gilt es zu berücksichtigen: Wenn nur Mittelwerte berichtet werden, wird sich jeder um die einfachsten Patienten bemühen. Wie sich in den USA zeigte, leidet darunter die optimale Behandlung von Schwerstkranken wie solchen im kardiogenen Schock [27]. Auch nimmt die Hilfsbereitschaft von Kollegen, in schwierigen und vor allem gefährlichen Situationen auszuhelfen, ab, besonders wenn – wie in den USA – Komplikationen dem Helfenden zugeschrieben werden. Das öffentliche Reporting hat erhebliche Nebenwirkungen, die es zu beachten gilt.

Was wäre der Sinn von Qualitätsberichten?

Das bringt uns zur Frage, was wir mit solchen Zahlen erreichen wollen: Zunächst ginge es darum, dass jedes Zentrum selber weiss, was es leistet und Massnahmen ergreift, um sich weiter zu verbessern – das Ziel jeder Qualitätskontrolle muss konstruktiv sein. Dazu ist ein Vergleich mit anderen Zentren, welche im gleichen Gesundheitssystem arbeiten, wertvoll. Ob eine Veröffentlichung von Qualitätsdaten über den Fachkreis hinaus, ja sogar in den Medien Sinn macht, bleibt zumindest fraglich. Der Transparenzwahn entspricht zwar dem Zeitgeist; ob der einfache Bürger Solches zu interpretieren weiss, ist doch sehr ungewiss. Auch ist das Problem des Risk-avoidance-Creep zu beachten [28], das Vermeiden schwieriger Interventionen im öffentlichen Raum. Dass wir aber mehr brauchen als nur Eingriffszahlen, lässt sich nicht bestreiten. Die SGK und ihre Mitglieder wären gefordert.

Conflicts of Interest

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag hat.

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Lüscher, T.F. Zahlenmystik Rund Ums Herz—Und Was Daraus zu Lernen Wäre. Cardiovasc. Med. 2010, 13, 357. https://doi.org/10.4414/cvm.2010.01545

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