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Cardiovascular Medicine is published by MDPI from Volume 28 Issue 1 (2025). Previous articles were published by another publisher in Open Access under a CC-BY (or CC-BY-NC-ND) licence, and they are hosted by MDPI on mdpi.com as a courtesy and upon agreement with Editores Medicorum Helveticorum (EMH).
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Revidierte Schweizerische Richtlinien für Die Endokarditis-Prophylaxe †

by
Ursula Flückiger
1,2,* and
Andres Jaussi
1,2,*
1
Gesellschaft für Kardiologie, CH-1011 Lausanne, Switzerland
2
Gesellschaft für Infektiologie, CH-4031 Basel, Switzerland
Korrigierte Version 12.3.2009
Cardiovasc. Med. 2008, 11(12), 392; https://doi.org/10.4414/cvm.2008.01375
Submission received: 23 September 2008 / Revised: 23 October 2008 / Accepted: 23 November 2008 / Published: 23 December 2008

Hintergrund

Medizinische Eingriffe an Schleimhäuten erzeugen kurz dauernde Bakteriämien, die zur bakteriellen Endokarditis führen können. In vielen Ländern existieren deshalb Richtlinien, die festlegen, wann – d.h. bei welchen Eingriffen und bei welchen Herzklappenerkrankungen – eine Antibiotika-Prophylaxe zur Verhinderung der Endokarditis durchgeführt werden soll. Die «American Heart Association» (AHA) hat ihre Richtlinien erstmals 1955 publiziert und regelmässig revidiert, letztmals 2007 [1]. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat in Kooperation mit den Schweizerischen Gesellschaften für Infektiologie und Kardiologie sowie den Österreichischen Gesellschaften für Infektionskrankheiten, antimikrobielle Chemotherapie und Kardiologie 2007 ihre revidierten Leitlinien zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis herausgegeben [2]. Gemäss diesen zwei revidierten Leitlinien wurden nun auch die letztmals im Jahr 2000 [3] publizierten schweizerischen Richtlinien revidiert. Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Änderungen ein und stellen die neuen Indikationen und Antibiotika-Schemata (Tab. 1) vor.
Die Grundlagen für eine Antibiotika-Prophylaxe der Endokarditis sind
  • Die Endokarditis ist zwar selten, jedoch eine lebensbedrohende Infektion und die kurze medikamentöse Prävention ist der lang dauernden Therapie einer Infektion vorzuziehen.
  • Gewisse Herzkrankheiten prädisponieren für einen infektiösen Herzklappenbefall.
  • Gewisse Bakterien, die eine bakterielle Endokarditis hervorrufen können, gehören zur Flora im Mundbereich, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt und können im Zusammenhang mit invasiven Eingriffen in die Blutbahn gelangen.
  • Im experimentellen Tiermodell konnte gezeigt werden, dass eine Antibiotika-Prophylaxe die Infektion erfolgreich verhindern kann.
  • Es wird angenommen, dass durch eine Antibiotika-Prophylaxe auch beim Menschen eine Endokarditis, die mit Zahneingriffen oder Interventionen im Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt verbunden ist, verhindert werden kann.
Während die ersten 4 Punkte allgemein anerkannt sind, wird der 5. Punkt in der Literatur und unter Fachleuten kontrovers diskutiert. Obwohl zahlreiche Fallbeispiele einen Zusammenhang zwischen Zahneingriff und bakterieller Endokarditis beschreiben, zeigen Fallkontrollstudien keine direkte Verbindung zwischen Endokarditis und Zahnbehandlungen, obwohl in jeder Studie Personen mit Herzklappenerkrankungen ein erhöhtes Risiko haben (zusammengestellt in [1]). Man weiss auch, dass nicht nur bei Eingriffen an Schleimhäuten, sondern auch beim Kauen und Zähneputzen Bakteriämien entstehen, die eine Endokarditis auslösen können. Eine plazebokontrollierte randomisierte Studie könnte zwar das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Antibiotika-Prophylaxe aufzeigen, doch wird eine solche Studie wahrscheinlich nie durchgeführt werden, da die Anzahl der nötigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu hoch wäre und weil ethische Überlegungen dagegensprechen.
Aufgrund dieser Kontroversen und den stark vereinfachten neuen amerikanischen Richtlinien haben wir uns entschlossen, auch die schweizerischen Richtlinien zu vereinfachen und anzupassen. Im Folgenden stellen wir die neuen Richtlinien und den Text der neuen Endokarditis-Ausweise vor. Für weitere Details und die Pathogenese verweisen wir auf die amerikanischen und deutschen Richtlinien [1,2].
Folgende Punkte sind die Grundlage der neuen Richtlinien (adaptiert aus [1])
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Bakteriämien bei täglichen Aktivitäten wie Kauen oder Zähneputzen verursachen eher eine infektiöse Endokarditis als eine Bakteriämie, die mit einem zahnärztlichen Eingriff assoziiert ist.
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Selbst wenn die Prophylaxe zu 100% effizient wäre, liesse sich nur eine kleine Anzahl infektiöser Endokarditiden verhindern.
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Bisher wurde eine Antibiotika-Prophylaxe bei Herzleiden mit einem erhöhten Risiko für eine infektiöse Endokarditis empfohlen. Neu wird eine Prophylaxe nur noch bei Herzleiden mit dem grössten Risiko und mit hoher Wahrscheinlichkeit eines schlechten bzw. fatalen Verlaufes empfohlen.
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Die Liste der zugrunde liegenden Herzleiden, die eine Endokarditis-Prophylaxe brauchen, wurde eingeschränkt, insbesondere fallen Klappenvitien, wie Aortenklappenstenose, Aorteninsuffizienz, Mitralstenose und Mitralinsuffizienz weg.
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Verglichen mit den amerikanischen Richtlinien wurden in den schweizerischen Richtlinien weitere angeborene Herzleiden, die eine Endokarditis-Prophylaxe benötigen, hinzugefügt.
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EineAntibiotika-Prophylaxe bei Zahnarzteingriffen und Eingriffen im Magendarmund Urogenitaltrakt sollte nur bei Patienten mit einem Herzleiden, das mit einem hohen Risiko für einen ungünstigen Verlauf einer infektiösen Endokarditis vergesellschaftet ist, durchgeführt werden.
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EineAntibiotika-Prophylaxe, allein um die infektiöse Endokarditis zu verhindern, istbeim Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt nicht empfohlen.
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Die Nebenwirkungen der Antibiotika und die Kosten sind zu bedenken.
Patienten, die nach den bisherigen Empfehlungen eine Prophylaxe ohne Probleme oder unerwünschte Nebenwirkungen eingenommen haben, können in Absprache mit ihrem behandelnden Arzt diese fortführen (optionale Prophylaxe). Wichtig ist, dass der Patient über den fehlenden Nachweis der Effektivität und der Effizienz dieser Massnahme unterrichtet wird.

Kardiale Risikosituationen

In den im Jahr 2000 publizierten schweizerischen Richtlinien wird unterschieden zwischen Personen mit einem hohen Risiko (roter Endokarditispass für Erwachsene und gelb für Kinder) und Personen mit einem mässigen Risiko (grüner Endokarditispass für Erwachsene und blau für Kinder) [3]. Ziel dieser früheren schweizerischen und auch der alten amerikanischen Richtlinien war es, bei allen Personen mit einem möglicherweise erhöhten Risiko die Entstehung einer infektiösen Endokarditis im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen zu verhindern. Die neuen amerikanischen Richtlinien basieren auf der Ansicht, dass sich Empfehlungen zur Endokarditis-Prophylaxe an der Frage orientieren sollten, welche Individuen mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer medikamentösen Prophylaxe profitieren können [1].
Herzleiden, die eine Prophylaxe benötigen (für Erwachsene: orange Karte; für Kinder und Jugendliche: dunkelgelbe Karte)
Der Kreis der Personen, bei denen eine Prophylaxe unbedingt durchgeführt werden sollte, wird in den neuen schweizerischen Richtlinien eingeengt, ist jedoch auf Grund von Einwänden der pädiatrischen Kardiologen verglichen mit jenen in den amerikanischen Richtlinien etwas breiter. Da nach der ersten Auflage der neuen Ausweise bei den Herzleiden Unklarheiten bestanden, wird hier eine leicht veränderte und klarere Einteilung publiziert, die dann in der zweiten Auflage berücksichtigt werden wird (Tab. 2).
Sehr kontrovers werden unter Spezialisten insbesondere die Herzleiden mit turbulentem Blutfluss diskutiert. Dementsprechend gibt es auch bei den Richtlinien der Briten, Franzosen, Amerikaner und Deutschen Unterschiede [1,2,4,5]. Die amerikanischen Richtlinien empfehlen keine Endokarditis-Prophylaxe bei diesen Patienten. Dies ist ein grosser Unterschied zur früheren Empfehlung, bei denen bei allen Herzleiden mit einem erhöhten Risiko eine Prophylaxe empfohlen wurde. Die amerikanischen Kollegen basieren ihre Empfehlung auf der Evidenz publizierter Studien, die keinen direkten Zusammenhang zwischen Eingriff und Endokarditis zeigen, und dem Lebenszeitrisiko, an einer bakteriellen Endokarditis zu erkranken. Entsprechend den amerikanischen Richtlinien empfehlen wir ebenfalls keine generelle Prophylaxe bei Herzvitien mit turbulentem Fluss (z.B. bikuspide Aortenklappe, Mitralklappenprolaps mit Insuffizienz, schwere Aortenstenose). Eine Indikation für eine Prophylaxe bleibt der Ventrikelseptumdefekt (VSD) und der persistierende Ductus arteriosus (PDA oder offener Ductus Botalli). Optional bleibt eine Prophylaxe bei anderen nicht zyanotischen Vitien mit turbulentem Fluss, falls dies der behandelnde Arzt und der Patient nach Abwägen des Risikos für sinnvoll erachten.
Patienten mit angeborenen zyanotischen Herzfehlern, die operativ nicht oder nur mit einem systemisch pulmonalen Shunt versorgt wurden, weisen ein hohes Lebenszeitrisiko für eine infektiöse Endokarditis mit einem schweren bzw. letalen Verlauf auf. Gleiches gilt für angeborene Herzfehler, bei denen Conduits oder sonstiges prothetisches Material verwendet wurden und postoperativ ein turbulenter Blutfluss besteht. Wenn keine Turbulenzen durch residuelle Defekte vorhanden sind und das prothetische Material nach 6 Monaten vollständig reepithelialisiert ist, ist nicht mehr von einem erhöhten Endokarditis-Risiko auszugehen.

Durchführung der Endokarditis-Prophylaxe

Wichtig ist, dass die Antibiotika einmalig gegeben werden und bei der Einmaldosis keine Anpassung an die Nierenfunktion notwendig ist. Bereits am Tage vorher zu beginnen oder die antibiotische Prophylaxe länger als 6–8 Std. nach dem Eingriff auszudehnen, ist nicht empfohlen. Werden die Antibiotika als Therapie bei Infektion gegeben, muss beachtet werden, dass die angegebenen Antibiotikadosierungen (Tab. 1) nur für normale Nieren- und Leberfunktion gelten.
Zähne oder Kiefer
Eine gute Mundhygiene ist in allen Fällen sehr viel wichtiger als ein Antibiotikum zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben, da eine Bakteriämie täglich auch beim Kauen und Zähneputzen vorkommt.
Es gilt für Zahnbehandlungen ein Grundsatz, der alle bei den bisherigen schweizerischen Richtlinien [3] aufgeführten Eingriffe ersetzt.
Grundsatz: Eine antibiotische Endokarditis-Prophylaxe ist empfohlen bei Manipulationen des gingivalen Sulcus oder der periapikalen Region der Zähne oder bei der Perforation der oralen Schleimhaut bei Patienten mit einem der neuen Ausweise (Erwachsene [orange] oder Kinder [dunkelgelb]).
Auf eine solide Zahnsanierung und auf eine gute und regelmässig überwachte Mundhygiene ist unbedingt zu achten. Dadurch wird die Gesunderhaltung von Zähnen und Parodont angestrebt. Die Erkenntnis, dass bakterielle Endokarditiden häufiger spontan auftreten als bei zahnärztlichen Eingriffen, zeigt die Wichtigkeit einer gesunden Bakterienflora in der Mundhöhle. Zusätzliche, das übliche Mass von 2 Konsultationen pro Jahr überschreitende Prophylaxe-Massnahmen werden aus diesem Grunde auch gemäss KLV Art. 19 als KVG-Zahnarztleistungen anerkannt.
Vor dem Einsetzen einer künstlichen Herzklappe soll eine sorgfältige zahnärztliche Abklärung bzw. Sanierung erfolgen. Man postuliert, dass mindestens zwei Wochen vor Herzklappenersatz alle zahnärztlichen Eingriffe abgeschlossen sein sollen, damit eine Heilung der Schleimhaut sichergestellt ist.
Ob bei einer Zahnbehandlung bei einem bestimmten Patienten mit einem definierten Herzleiden eine Prophylaxe gegeben werden sollte, bleibt dem behandelnden Zahnarzt nach Rücksprache mit dem Arzt nach Abwägen der Vor- und Nachteile überlassen. Der Entscheid zur Endokarditis-Prophylaxe sollte sich an der Frage orientieren, welche Patienten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Antibiotika-Prophylaxe profitieren werden, und nicht an der Frage, ob durch die Antibiotika-Prophylaxe das «juristische Gewissen» des Zahnarztes oder Arztes beruhigt wird. Eine akute parodontale Läsion kann die Entscheidung zugunsten einer Antibiotika-Prophylaxe beeinflussen. Vorhandene lokale Entzündungen sollen dann gleichzeitig zur Zahnbehandlung therapiert werden. Die Reduktion der oralen Keime durch Chlorhexidin als Vorbereitung vor einem zahnärztlichen Eingriff wird wie bei jedem Patienten durchgeführt. In Analogie zum Einsatz bei Zahnextraktionen kann z.B. lokal vor einer Nahtentfernung mit einer PVP-Jod-Lösung die Gegend der Naht vor deren Entfernung desinfiziert werden.
Entzündungsfreie Verhältnisse in der Mundhöhle reduzieren auf jeden Fall das Lebenszeitrisiko für eine infektiöse Endokarditis (Tab. 3 und Tab. 4).
Respirationstrakt (ORL)
Beispiele für eine Endokarditis-Prophylaxe im Respirationstrakt wären: Tonsillektomie oder Adenektomie sowie Inzision der Mukosa oder Biopsieentnahme.
Erreger und Antibiotikawahl
Orale Viridans-Streptokokken sind die häufigsten Endokarditis-Erreger nach Eingriffen im Nasen-Mund-Bereich und oberen Gastrointestinaltrakt. Entsprechend sind Penicilline, bzw. Amoxicillin, die Antibiotika der ersten Wahl. Amoxicillin wird besser resorbiert und erreicht höhere Serumspiegel (v.a. bei Erwachsenen) als orales Phenoxymethylpenicillin. Zum Zeitpunkt des Eingriffs sollte die Antibiotikakonzentration hoch sein und während rund 6 Stunden nach dem Eingriff über der minimalen Hemmkonzentration liegen. Da Amoxicillin früher in der Schweiz nur als Tabletten zu 750 mg erhältlich war, wurde in den schweizerischen Richtlinien eine Dosis von 2,25 g vor und nochmals eine Dosis zu 750 mg 6 Stunden nach dem Eingriff vorgeschlagen. In den neuen Richtlinien werden analog zu den amerikanischen nur noch 2 g Amoxicillin vor dem Eingriff empfohlen. Diese Einmaldosierung wurde der Einfachheit halber übernommen.
Bei einer Penicillin-Allergie vom Spättyp (Exanthem) kann das Cephalosporin Cefuroxim in einer Dosis von 1 g per os eine Stunde vor der Intervention gegeben werden, bei Penicillin-Allergie vom Soforttyp (Urtikaria, Angioödem, Bronchospasmus, Anaphylaxie) wird Clindamycin 600 mg per os empfohlen. Die Makrolide (Clarithromycin oder Azithromycin) 500 mg per os sind in den neuen amerikanischen Richtlinien noch aufgeführt, wurden jedoch bei den neuen schweizerischen Richtlinien aufgrund der zunehmenden Resistenzen gestrichen.
Therapie bei Infektionen im Hals-Nasen-Bereich oder Lunge
Bei Drainagen von Abszessen (z.B. parapharyngealer Abszess) oder eines Pleuraempyems soll die antibiotische Therapie der Infektion ein Antibiotikum mit Wirksamkeit gegen die wahrscheinlichsten Erreger (Streptokokken der Viridans-Gruppe, Staphylococcus aureus) enthalten. Die erste Dosis soll 30–60 Minuten vor der Intervention gegeben werden. Anschliessend erfolgt die Therapie nach der zugrunde liegenden Infektion. Eine zusätzliche Endokarditis-Prophylaxe ist nicht notwendig.
Gastrointestinaltrakt
Ein grosser Unterschied zu den früheren schweizerischen Richtlinien liegt bei den Empfehlungen für eine Endokarditis-Prophylaxe bei Eingriffen am Gastrointestinaltrakt. Da eine Assoziation zwischen Eingriffen am Gastrointestinaltrakt und einer infektiösen Endokarditis bisher nie untersucht worden ist, nur einzelne Fallbeschreibungen bestehen und es keine Studie gibt, die zeigt, dass eine antibiotische Prophylaxe eine Endokarditis verhindern kann, wurde in den neuen Richtlinien die Prophylaxe-Empfehlung für diese Eingriffe entsprechend der neuen amerikanischen Richtlinien gestrichen.
Im Vergleich zur früheren Empfehlung wurden somit die meisten Eingriffe am Gastrointestinaltrakt gestrichen, d.h., Gastroskopie und Kolonoskopie auch mit Biopsie oder Polypektomie benötigen keine antibiotische Prophylaxe mehr. Falls eine Infektion im Bereich des Eingriffes vorliegt, sollte mit einem Antibiotikum behandelt werden, dessen Wirkspektrum auch die Enterokokken einschliesst, z.B. Amoxicillin, Piperacillin/Tazobactam, oder bei Unverträglichkeit gegenüber Betalaktam-Antibiotika Vancomycin. Je nach Infektion müssten bei Amoxicillin und Vancomycin zusätzlich die gramnegativen und Anaerobier mitbehandelt werden (z.B. Amoxicillin/Clavulansäure) oder bei Vancomycin entweder ein Aminoglykosid oder Ciprofloxacin, jeweils in Kombination mit Metronidazol.
Elektive Abdominaleingriffe
Bei elektiven chirurgischenAbdominaleingriffen (z.B. Cholezystektomie, Sigmaresektion, Appendektomie) ist empfohlen, die chirurgische Prophylaxe mit Amoxicillin/Clavulansäure 2,2 g 30–60 Minuten vor der Intervention bei Patienten mit entsprechenden Herzleiden zu verabreichen. Liegt eine Cholezystitis mit Cholangitis vor, müsste die AntibiotikaProphylaxe dann als Therapie weitergeführt werden.
Im Gegensatz zu den früheren Richtlinien wird in den neuen Richtlinien die Kombination mit Gentamicin nicht mehr empfohlen. Penicillin oder Amoxicillin wirken jedoch nur bakteriostatisch auf die Enterokokken. Um eine bakterizide Wirkung zu erreichen, müsste Gentamicin dazugegeben werden. Leider ist die zunehmende «High-level»-Resistenz auf Gentamicin aber ein Problem bei Infektionen mit Enterokokken und zusätzlich wird zunehmend auch das Auftreten von Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) beobachtet. Deshalb wird in den USA empfohlen, die Wahl des Antibiotikums mit infektiologisch spezialisierten Fachleuten abzusprechen. In der Schweiz spielen VRE noch keine Rolle, jedoch nehmen «High-level»-Resistenzen auf Gentamicin zu. Bei der Verabreichung von Vancomycin (1 g i.v.) im Falle einer Penicillin-Allergie vom Spät- oder vom Soforttyp muss beachtet werden, dass es langsam, über 1–2 Stunden infundiert werden muss, da sonst die Gefahr des sogenannten «Red-man»-Syndroms (Mastzelldegranulation bei zu schneller intravenöser Gabe) besteht. Da Vancomycin nur gegen grampositive Bakterien wirksam ist, muss je nach Infektsituation ein Antibiotikum mit einem Spektrum gegen gramnegative Keime (z.B. Aminoglykosid oder Ciprofloxacin) und gegen Anaerobier (z.B. Metronidazol) gewählt werden.
Urogenitaltrakt
Die gleichen Überlegungen wie für den Gastrointestinaltrakt gelten auch für den Urogenitaltrakt. Operationen oder endoskopische Eingriffe sollen, wenn immer möglich, nur bei sterilem Urin vorgenommen werden. Dies bedeutet, dass bei sterilem Urin Eingriffe, die in der früheren Richtlinie aufgelistet wurden, wie z.B. Prostatachirurgie, Zystoskopie und urethrale Dilatation, keine Antibiotika-Prophylaxe mehr benötigen.
Liegt eine Infektion vor bzw. wird in einem infizierten Gewebe chirurgisch manipuliert, muss ein Antibiotikum gewählt werden, das gegen Enterokokken aktiv ist, z.B. Amoxicillin/Clavulansäure 2,2 g i.v. Die erste Antibiotikadosis muss 30–60 Minuten vor der Intervention gegeben werden. Je nach Infektsituation muss der Chirurge eventuell nach Rücksprache mit einem Infektiologen die antibiotische Therapie weiterführen (Tab. 5).
Gynäkologische Eingriffe
Auch bei den gynäkologischen Eingriffen wurde die Indikation für eine Antibiotika-Prophylaxe der früheren Empfehlung gestrichen. Hier gilt auch, falls eine Infektion bei einer Intervention vorliegt, sollte das Antibiotikum die Enterokokken abdecken. Somit gelten die gleichen antibiotischen Richtlinien wie beim Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt.
Haut und Weichteile
Staphylokokken- und Streptokokkenspezies sind die häufigsten Erreger bei Hautinfektionen und typische Endokarditiserreger. Zum Beispiel die Inzision von Furunkeln kann zu einer Bakteriämie führen, die eine Endokarditis zur Folge haben kann. Deshalb ist bei Patienten mit entsprechenden Herzleiden eine Prophylaxe sinnvoll.
Bei Eingriffen an infizierten Gewebeteilen (z.B. Abszess) ist eine Endokarditis-Prophylaxe und anschliessende Therapie erforderlich. Das gewählte Antibiotikum muss gegen S. aureus (MSSA) und Streptokokken wirksam sein.
Amoxicillin/Clavulansäure (2 g per os 1 Stunde oder 2,2 g i.v. 30 Minuten vor dem Eingriff) ist gegen Methicillin-empfindliche Staphylokokken und Streptokokken wirksam. Bei Penicillin-Allergie vom Spättyp (Exanthem) kann Cefuroxim (1 g per os) (Nachträgliche OnlineKorrektur (in der gedruckten Version stand irrtümlicherweise «2 g»)) oder Clindamycin (600 mg per os), bei einer Penicillin-Allergie vom Soforttyp (Urtikaria, Angioödem, Bronchospasmus, Anaphylaxie) Clindamycin (600 mg per os) oder Vancomycin (1 g i.v.) gegeben werden. Die weitere Behandlung ergibt sich aus dem Befund nach der Intervention und muss vom behandelnden Arzt entschieden werden.

Häufige Fehler

Die Endokarditis-Prophylaxe ist aufgrund der klinischen Datenlage nach wie vor umstritten. Deshalb ist es umso wichtiger, die Prophylaxe auf empfohlene Eingriffe mit korrekter Antibiotikadosis und -dauer zu beschränken. Bei einer Person mit einer künstlichen Herzklappe ist bei einer Hüftprothesen-Operation keine Endokarditis-Prophylaxe indiziert, sondern die «normale» Prophylaxe mit einer Einmaldosis von Cefuroxim oder Cefazolin, je nach hausinternen Richtlinien. In diesem Fall erfolgt die Inzision ja nicht durch infiziertes Gewebe, sondern durch korrekt desinfizierte intakte Haut.
Spezielle Situationen liegen bei hospitalisierten Kranken vor. Hier können liegende Venenkatheter, insbesondere Zentralvenenkatheter, eine Ursache für Bakteriämien mit Staphylokokken sein. Deshalb sollen zentrale Venenkatheter bei Personen mit künstlichen Herzklappen oder einer Endokarditis-Anamnese nur bei gut begründeter Indikation gelegt werden und so schnell wie möglich wieder entfernt werden.

Zukunft

Ob wir mit den revidierten Richtlinien mit weniger Indikationen für eine Endokarditis-Prophylaxe mehr Patienten mit einer Endokarditis nach Risikoeingriffen sehen werden, ist schwierig abzuschätzen. Erste Berichte aus den USA mit Erfahrung der neuen amerikanischen Richtlinien zeigen keine Zunahme. Da wir in der Schweiz die Endokarditisfälle nicht systematisch erfassen, werden wir keine eigenen Daten haben. Ein Register wäre sicher wünschenswert, die Einrichtung eines solchen ist jedoch erst in Diskussion.

Schlussfolgerungen

Eine bakterielle Endokarditis lässt sich nur in wenigen Fällen verhindern. Sie ist nach wie vor mit einer erheblichen Mortalität und Morbidität verbunden. Für eine Antibiotika-Prophylaxe muss die richtige Indikation gestellt und die Antibiotika müssen in der korrekten Dosierung und Dauer appliziert werden.
Die neuen amerikanischen Richtlinien sind nachvollziehbar, aber restriktiv. Eine antibiotische Endokarditis-Prophylaxe ist nur noch bei Personen mit einem hohen Risiko und hoher Wahrscheinlichkeit eines schlechten Verlaufes empfohlen. Aufgrund der neuen Richtlinien werden weniger Personen bei zahnärztlichen Eingriffen eine AntibiotikaProphylaxe erhalten. Da die Endokarditis nach Zahnbehandlungen ein seltenes Ereignis darstellt, wird es ohne Studien sehr lange dauern, bis festgestellt werden kann, ob ohne Prophylaxe mehr Endokarditiden auftreten.
Ein sanierter Zahnbestand mit einem gesunden Parodont und eine gute Mundhygiene scheinen die wichtigsten Faktoren für die Verhinderung einer Endokarditis zu sein.
Anmerkung
Die neuen Endokarditis-Ausweise können bestellt werden bei: Schweizerische Herzstiftung, Schwarztorstrasse 18, Postfach 368, 3000 Bern 14; Tel. 031 388 80 80, Fax 031 388 80 88, E-Mail: info@swissheart.ch, Website: www.swissheart.ch

Appendix

Cardiovascmed 11 00392 g007

References

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Table 1. Endokarditis-Prophylaxe: erste orale (60 Minuten) oder parenterale Dosis (30 Minuten) vor Intervention 1.
Table 1. Endokarditis-Prophylaxe: erste orale (60 Minuten) oder parenterale Dosis (30 Minuten) vor Intervention 1.
Cardiovascmed 11 00392 g001Cardiovascmed 11 00392 g002
Table 2. Bei folgenden Herzleiden wird aktuell eine antibiotische Endokarditis-Prophylaxe empfohlen.
Table 2. Bei folgenden Herzleiden wird aktuell eine antibiotische Endokarditis-Prophylaxe empfohlen.
Cardiovascmed 11 00392 g003
Table 3. Beispiele Zahnbehandlungen mit Antibiotika-Prophylaxe (nicht abschliessend).
Table 3. Beispiele Zahnbehandlungen mit Antibiotika-Prophylaxe (nicht abschliessend).
Cardiovascmed 11 00392 g004
Table 4. Beispiele Zahnbehandlungen ohne Antibiotika-Prophylaxe (nicht abschliessend).
Table 4. Beispiele Zahnbehandlungen ohne Antibiotika-Prophylaxe (nicht abschliessend).
Cardiovascmed 11 00392 g005
Table 5. Antibiotikaspektrum (Magendarmtrakt, Urogenitaltrakt).
Table 5. Antibiotikaspektrum (Magendarmtrakt, Urogenitaltrakt).
Cardiovascmed 11 00392 g006

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MDPI and ACS Style

Flückiger, U.; Jaussi, A. Revidierte Schweizerische Richtlinien für Die Endokarditis-Prophylaxe. Cardiovasc. Med. 2008, 11, 392. https://doi.org/10.4414/cvm.2008.01375

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Flückiger U, Jaussi A. Revidierte Schweizerische Richtlinien für Die Endokarditis-Prophylaxe. Cardiovascular Medicine. 2008; 11(12):392. https://doi.org/10.4414/cvm.2008.01375

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Flückiger, Ursula, and Andres Jaussi. 2008. "Revidierte Schweizerische Richtlinien für Die Endokarditis-Prophylaxe" Cardiovascular Medicine 11, no. 12: 392. https://doi.org/10.4414/cvm.2008.01375

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Flückiger, U., & Jaussi, A. (2008). Revidierte Schweizerische Richtlinien für Die Endokarditis-Prophylaxe. Cardiovascular Medicine, 11(12), 392. https://doi.org/10.4414/cvm.2008.01375

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