Eine Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Industrie besteht seit der industriellen Herstellung von Heilmitteln und hat mit dem Fortschritt in den Bereichen Diagnostik und Therapie an Bedeutung stetig zugenommen. Fortschritte in der Medizin können nicht gemacht werden ohne die Mithilfe der Industrie; Forschung und Innovation kommen letztlich erst Patienten zugute, wenn die Industrie die nötige Produktion von Medikamenten, Implantaten usw. an die Hand nimmt. Die sich konkurrenzierenden Industrien ihrerseits brauchen die Ärzte, um ihre Produkte verkaufen zu können. Es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit, eine «Liaison dangereuse». Die Gefahr besteht, dass ein Patient nicht die für ihn adäquateste Behandlung bekommt, sondern eine durch verschiedene Faktoren, auch monetärer Art, beeinflusste Therapie.
Seit Jahren hat hier ein Handlungsbedarf bestanden, weshalb die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) im Jahr 2002 erstmals «Empfehlungen zur Zusammenarbeit der Ärzteschaft—Industrie» publizierte. Diese wurden nun überarbeitet und ergänzt und im November 2005 als «Richtlinien» in Kraft gesetzt. Sie sind seither von der FMH in die Standesordnung aufgenommen worden und haben somit schweizweite Verbindlichkeit erreicht.
Die Richtlinien behandeln in einem ersten Teil die klinische Forschung. Es werden gleichsam die 10 Gebote einer sauberen klinischen Forschung aufgestellt:
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Klinische Versuche werden nach «Good Clinical Practice» durchgeführt.
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Institutionen, die klinische Forschung betreiben, evaluieren regelmässig deren Qualität.
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Alle klinischen Versuche werden in einem zentralen Register erfasst.
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Der verantwortliche Prüfer und seine Mitarbeiter haben kein finanzielles Interesse am Versuch oder dessen Ergebnis.
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Die Durchführung und Finanzierung von Versuchen werden vertraglich geregelt.
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Die Bezahlung der Versuche geht an institutionelle Drittmittelkonten.
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Die Durchführung klinischer Versuche und der Einkauf von Produkten des Sponsors sind voneinander unabhängig.
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Bei der Publikation und Präsentation von Ergebnissen eines Versuchs ist dessen Finanzierung offen zu legen.
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Die Interpretation der Ergebnisse eines Versuchs muss von den Interessen des Sponsors unabhängig sein.
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Forscher wirken nicht mit beim Marketing von Produkten, an deren Prüfung sie beteiligt waren.
Viele dieser Forderungen, wie «Good Clinical Practice», sind heute weitgehend etabliert und deren Erfüllung ist eine Voraussetzung, damit eine Arbeit überhaupt in einer namhaften «Peer-reviewed»-Zeitschrift zur Publikation angenommen werden kann. Im Kleinen gibt es sicher da und dort immer noch Verbesserungsmöglichkeiten, z.B. bei der Verpflichtung, (auch negative) Studienergebnisse zu veröffentlichen (Artikel 5), oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis möglichst objektiv darzustellen (Artikel 9). Auch gibt es noch kein zentrales Register zur lückenlosen Erfassung aller in der Schweiz stattfindenden klinischen Studien (Artikel 3) und es ist auch nicht klar, wer ein solches Register in Zukunft führen wird.
Im zweiten Teil finden sich Richtlinien für die Aus-, Weiter- und Fortbildung. Der weitaus grösste Teil der Fortbildungsveranstaltungen wird heute von der Industrie finanziell unterstützt («gesponsert»). Dies ist für die Ärzte nachgerade zu einer Selbstverständlichkeit geworden, was aber auch unbemerkt zu Abhängigkeiten und Interessenkonflikten führen kann. Eine Fortbildungsveranstaltung soll nun nur noch von den zuständigen Fachgesellschaften anerkannt werden, wenn folgende sieben Punkte erfüllt sind:
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Den Antrag auf Anerkennung einer Fortbildungsveranstaltung stellen die veranstalteten Ärzte bzw. die ärztlichen Fachgremien.
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Inhalt und Ablauf werden vollumfänglich durch Ärzte bzw. ärztliche Fachgremien bestimmt.
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Die Möglichkeiten der Prävention, Diagnose und Therapie werden soweit möglich nach Kriterien der Evidenz-basierten Medizin und unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftlichkeit dargestellt.
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Stehen mehrere Arzneimittel, Medizinprodukte oder Verfahren zur Verfügung, so ist ein möglichst objektiver Vergleich anzustreben.
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Finanzielle Mittel aus dem Sponsoring werden auf ein dafür bestimmtes Konto verbucht und einzig für die Organisation der Fortbildungsveranstaltungen, Honorierung der Referenten und deren Spesen verwendet.
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Die Zuhörer an Fortbildungsveranstaltungen (Dauer länger als ein halber Tag) leisten eine angemessene Kostenbeteiligung.
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Referenten und Organisatoren legen Interessenkonflikte offen.
Dieser Teil der Richtlinien ist wahrscheinlich am meisten gewöhnungsbedürftig. Die SAMW ist sich bewusst, dass dies bei den jahrelang gehandhabten Praktiken nicht einfach ist und der Teufel bekanntlich im Detail steckt. Aus diesem Grund wird die SAMW im Sommer 2007 eine Beratungsstelle im Sekretariat in Basel und eine beratende Kommission einsetzen, die allen Ratsuchenden bei der Umsetzung behilflich sein kann und fortgesetzte Missachtungen an die entsprechenden Fachgesellschaften bzw. Standeskommission weiterleitet.
Der dritte Teil der Richtlinien hat die Annahme von Geld und Naturalleistungen zum Thema. Es handelt sich um Umsetzungshilfen gesetzlicher Bestimmungen, vor allem Artikel 33 des Heilmittelgesetzes (Versprechen und Annahme geldwerter Vorteile). Die Richtlinien bleiben hier eher vage und sprechen von «Geld und Naturalleistungen, die das Mass finanziell unbedeutender kleiner Anerkennungen übersteigen». Wo ist hier die Grenze? Bei den Naturalleistungen gilt für Regierungsmitglieder offenbar, nur so viel wie man selber an einem Tag verzehren kann, d.h. zum Beispiel eine Flasche Wein und nicht eine Kiste. Es haben sich aber auch ganz kleine Naturalleistungen und unbedeutende Anerkennungen eingeschlichen. Wenn ich mit dem «Pfizer»-Schreiber etwas auf das Post-it-Zettelchen «Sortis» schreibe und das an meine «Novartis»-Agenda anhefte, dann kann man vielleicht argumentieren, dass diese Vielfalt sich gegenseitig neutralisiert, aber man muss sich eigentlich schon fragen, ob man all den Werbekleinkram nicht ein für alle Mal entsorgen und keinen neuen mehr annehmen sollte.
Was wollen und können diese Richtlinien erreichen? Es sind Richt-Linien, Wegweiser im Dschungel oder Sumpf der komplexen Vernetzungen im Gesundheitswesen. Sie sollen aufzeigen, was die Gesellschaft von uns Ärzten erwarten darf. Sie sollen Forschern eine Stütze bei ihrer Arbeit sein und den Fachgesellschaften eine Richtschnur für die Anerkennung von Fortbildungen. Sie sollen aber auch jede und jeden von uns animieren, seine Zusammenarbeit mit der Industrie zu überdenken und, wenn nötig, zu lenken.
Die SAMW will letztlich damit beitragen, dass die Ärzteschaft von innen heraus ihre oft heikle Beziehung zur (Gesundheits-)Industrie selbst regelt und nicht von aussen dazu gezwungen werden muss.