Thomas M. Suter, Bern
Mit Zytostatika behandelte Krebspatienten haben ein wesentliches Risiko, kardiovaskuläre Nebenwirkungen dieser Therapie zu erleiden. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkungen nimmt zu, da (1.) die onkologischen Therapien zunehmend erfolgreich sind und Krebspatienten auch mit fortgeschrittener Erkrankung länger überleben, (2.) hämatologische Nebenwirkungen der Zytostatika, die früher therapielimitierend waren, mit modernen Medikamenten besser kontrolliert werden und somit höhere Dosen von Zytostatika verabreicht werden können und (3.) die Patienten zunehmend älter werden und somit häufiger kardiovaskuläre Vorerkrankungen haben, die wiederum das Risiko einer Zytostatika-induzierten, kardialen Nebenwirkung erhöhen.
Die typischen kardiovaskulären Nebenwir-kungen von Zytostatika sind (1.) Störungen der myokardialen Kontraktilität mit diastolischer und systolischer Dysfunktion und allenfalls konsekutiver Herzinsuffizienz, (2.) Arrhythmien, die aber häufig nur in der Frühphase einer zytostatischen Behandlung auftreten und gut behandelbar sind, (3.) Vasokonstriktion von kleinen und mittleren Gefässen, die zu Angina pectoris und Myokardinfarkten führen kann und (4.) selten eine hämorrhagische Myokarditis. Die meisten dieser Nebenwirkungen sind Zytostatika-spezifisch und treten nur bei Verwendung der entsprechenden Chemotherapeutika auf.
Prognostisch am wichtigsten ist heute die Anthrazyklin-Kardiotoxizität. Die in der Schweiz am meisten verwendeten Anthrazykline sind Doxorubizin und Epirubizin, die dosisabhängig neben Arrhythmien und Perimyokarditis zu der klinisch wichtigen Herzinsuffizienz auch noch Jahre nach der Zytostatika-Behandlung führen können. Neuere Daten zeigen, dass das Risiko von Doxorubizin-induzierter Kardiomyopathie unterschätzt wurde. Ist man vor einigen Jahren noch davon ausgegangen, dass die kumulative Dosis von 550 mg/m2 Doxorubizin bei 5% der Patienten zu einer Kardiomyopathie führt, zeigen neuere Daten, dass bereits 400 mg/m2 ein entsprechendes Risiko beinhalten und die kumulativen Dosis von 550 mg/m2 bei einem Viertel der Patienten eine Kardiomyopathie verursacht. Neuere galenische Formen (liposomales Doxorubizin, Caelyx®) oder Chelatoren (Dexrazoxan) können die Kardiotoxizität von Anthrazyklinen bei gleicher Effektivität vermindern, sind aber teuer oder in der Schweiz nicht zugelassen. Frühes Erkennen der Anthrazyklin-induzierten Kardiotoxizität ist wichtig, weil diese Patienten verglichen zu Kardiomyopathien anderer Ätiologie eine ungünstigere Prognose haben. Verschiedene Parameter wie Troponin- oder BNP-Anstieg wurden für die Frühdiagnostik vorgeschlagen, sind aber noch nicht etabliert. Die Abnahme der systolischen Funktion (Abnahme LVEF >20% oder >10% bei LVEF <50%) wird häufig als Zeichen der beginnenden Anthrazylin-Kardiotoxizität akzeptiert. Patienten mit Anthrazyklin-induzierter systolischer Dysfunktion sollten aus prognostischen Gründen aggressiv mit ACE-Hemmern und Betablockern behandelt werden, auch wenn die Evidenz hierfür nur begrenzt ist.
Trastuzumab (Herceptin®) ist eine Antikörper-Therapie, die seit einigen Jahren bei der Behandlung von HER2-positiven, metastasierenden Mammakarzinomen mit Erfolg eingesetzt wird. Im Frühsommer 2005 präsentierte Daten zeigen zudem, dass diese Therapie auch adjuvant beim HER2-positiven Mammakarzinom sehr gute Erfolge hat und es ist davon auszugehen, dass diese Therapie in naher Zukunft stark zunehmen wird. Herceptin® alleine hat wahrscheinlich keine wesentlichen kardiovaskulären Nebenwirkungen, wird aber meist nach einer Behandlung mit Anthrazyklinen oder in Kombination mit Taxanen (Placlitaxel, Taxol® und Docetaxel, Taxoter®) verwendet. Dabei kann es zu einer Herceptin®-induzierten schweren systolischen Dysfunktion kommen, die vereinzelt auch zu Todesfällen geführt hat. Risikofaktoren für eine Herceptin®-induzierte Kardiomyopathie scheinen die Dosis einer vorangegangenen Anthrazyklin-Therapie, das Alter und bereits bestehende, kardiovaskuläre Erkrankungen zu sein. Wahrscheinlich ist die Herceptin®-induzierte Kardiomyopathie nach Absetzen der Medikation oder möglicherweise bereits bei gleichzeitigem Verwenden von ACE-Hemmern und Betablockern reversibel oder mindestens nicht progressiv.
Weitere potenziell kardiotoxische Zytostatika sind Fluorouracil (5-FU, Efudix®), Taxane (Placlitaxel, Taxol® und Docetaxel, Taxoter®) und Cyclophosphamid (Endoxan®). 5-FU kann bei Verabreichung zu einer Vasokonstriktion mit Myokardischämie bis hin zum Myokardinfarkt führen, hat aber abgesehen von diesem Akuteffekt keine Langzeit-Kardiotoxizität. Die Taxane wurden früher mit (bradykarden) Rhythmusstörungen in Zusammenhang gebracht, scheinen aber aufgrund neuerer Daten bei Kombination mit Herceptin® auch einen negativen Effekt auf die myokardiale Kontraktilität zu haben (vgl. oben). Cyclophosphamid kann zu einer akuten hämorrhagischen Myokarditis führen, scheint aber abgesehen davon ebenfalls keine weiteren kardiovaskulären Langzeit-Nebenwirkungen zu haben. Bei den neueren monoklonalen Antikörpern wie Alemtuzumab (MabCampath®), die zur Behandlung von Leukämien eingesetzt werden, wurden vereinzelt ebenfalls kardiotoxische Effekte beschrieben.
Neuere, sich in Entwicklung befindende Zytostatika dürften vor allem dann kardiotoxische Nebenwirkungen haben, wenn diese die gleichen Signalwege wie Herceptin® inhibieren. Diese Zytostatika umfassen monoklonale Antikörper oder Tyrosinkinase-Inhibitoren gegen den HER2/erbB2-Rezeptor und Inhibitoren des RAS/RAF/MAPK-Signalweges. Diese neuen, molekularen Zytostatika-Therapien sind für die Bekämpfung von malignen Zellen erfolgversprechend und werden eine neue Ära in der onkologischen Therapie einläuten. Sie inhibieren aber genau diese Signalwege, die in im Myokard einen protektiven Effekt zu haben scheinen.