Einer der bekanntesten Schweizer Kardiologen der letzten 30 Jahre ist am 13. Juli 2005 im Alter von 76 Jahren verstorben.
Paul Lichtlen wurde am 23. August 1929 in Zürich geboren, wo er auch seine Schul- und Studienzeit absolvierte und 1957 an der Universität Zürich promovierte. 1958 arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Assistent im biologischen Labor bei der damaligen Ciba Geigy in Basel, wechselte danach aber rasch als Assistent an die Medizinische Klinik des UniversitätsSpitals Zürich unter Prof. Paul Rossier. 1962 erhielt er ein Forschungsstipendium, um sich an der John’s Hopkins Universität in Baltimore in der Kardiologie weiterzubilden. Nach seinem dreijährigen USA-Aufenthalt kehrte er 1965 als Leiter des Herzkatheterlabors an die Medizinische Klinik des UniversitätsSpitals Zürich zurück. Paul Lichtlen hatte dank seinem Kontakt zu F. Mason Sones, welcher damals an der Cleveland Clinic in den USA die Herzkatheteruntersuchung in die Klinik eingeführt hatte, Gelegenheit, als einer der ersten in Europa regelmässig Koronarangiographien durchzuführen. Mit der Berufung von Åke Senning auf den Lehrstuhl der Herz- und Gefässchirurgie am UniversitätsSpital Zürich gewann dieses Verfahren zunehmend an Bedeutung und verhalf Zürich zu einer führenden Rolle auf dem Gebiet. 1972 wurde Paul Lichtlen zum Leiter der neu gegründeten Kardiologischen Abteilung der Medizinischen Klinik ernannt; schon ein Jahr später ereilte ihn jedoch ein Ruf der Medizinischen Hochschule Hannover auf den Lehrstuhl für Kardiologie. Von 1973 bis zu seiner Emeritierung 1996 arbeitete Paul Lichtlen 23 Jahre lang als Direktor der Kardiologischen Abteilung an der Medizinischen Hochschule in Hannover in Deutschland, baute die invasive Diagnostik an seiner Institution auf und entwickelte eine breit gefächerte wissenschaftliche Aktivität vor allem im Bereich der koronaren Herzkrankheit. Seine Forschungsschwerpunkte waren die myokardiale Ischämie, die Koronarreserve und die medikamentöse Behandlung der koronaren Herzkrankheit, insbesondere die Möglichkeiten einer pharmakologischen Hemmung der Arteriosklerose. Die Ergebnisse seiner Forschungsgruppe fanden nationale und internationale Anerkennung, so erstmals auch an der American Heart Association 1975 und in der Folge an zahlreichen internationalen Kongressen. 1983–84 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. und bald auch Herausgeber der Zeitschrift für Kardiologie. Paul Lichtlen konzipierte und leitete zahlreiche multizentrische Studien, welche grosses Interesse fanden. Besondere Beachtung fand die INTACT-Studie zur Wirkung von Kalzium-Antagonisten bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit [
1]. Für seine Arbeiten wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so mit dem Arthur Weber-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie 1971, den Max-Ratschoff-Preis der Deutschen Gesellschaft für Angiologie 1972 sowie mit der Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im Jahr 2002. Paul Lichtlen wurde wegen seines amerikanischen Team-Stils mit weiter Streuung von Verantwortung für klinische Bereiche und eigenen Forschungslabors bei seinen engeren Mitarbeitern sehr geachtet.
Paul Lichtlen organisierte zahllose wissenschaftliche Tagungen und Kongresse. Einer der wichtigsten war der 1975 zusammen mit Bertram Pitt aus Ann Arbor gegründete «Postgraduate Course on Myocardial Infarction and Angina Pectoris» in Davos, welcher sich seit 1997 als Cardiology Update zu einem der bekanntesten internationalen postgradualen Kurse in der kardiovaskulären Medizin entwickelt hat. Als Vorbild galten die damals gut etablierten praktischen Kurse in Radiologie und Osteosynthese. Paul Lichtlen hatte die Vision, für die Kardiologie eine ebenbürtige Fortbildungswoche aufzubauen. Was als kleine familiäre Veranstaltung, aber ein von Anfang an hochkarätiges Programm mit Vorträgen und praktischen, fallbezogenen
Seminaren begann, wuchs über die Jahre zu einem internationalen Kongress mit grossem Bekanntheitsgrad und rund 700 Teilnehmern. Die Dozenten vom «Cardiology Update» gehören ganz im Sinne von Paul Lichtlen zu den weltbesten auf ihrem Gebiet, und sie vermitteln den Teilnehmern in einem zweijährlich stattfindenden Turnus die neuesten Erkenntnisse über Diagnose, Prävention und Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen.
Mit Paul Lichtlen verliert die Schweizer Kardiologie einen ihrer prominentesten Vertreter, welcher – weil damals an der Universität Zürich kein Ordinariat für Kardiologie verfügbar war – leider seine Karriere nicht in der Schweiz entfalten konnte. Als einer der Gründerväter der modernen deutschen Kardiologie verhalf er mit seiner erfolgreichen Tätigkeit der Schweizer Kardiologie auch im Ausland zu Ansehen und Anerkennung.