Summary
Drugs to prevent ischaemic stroke
Stroke is the third leading cause of death, the second most common cause of dementia and the leading reason for long-term disability in most industrialised populations. A healthy lifestyle (no smoking, regular physical activity, diet for normal body weight) and treatment of vascular risk factors can prevent a substantial number of strokes. Some groups of the population are at especially high risk to suffer a first or recurrent stroke. Stroke victims or persons after a TIA represent such a high risk population (20 to 40% recurrent stroke risk during the first 5 years) and need special attention: in patients with noncardioembolic stroke antiplatelet agents such as aspirin, aspirin plus dipyridamole or clopidogrel are recommended. In case of recurrent stroke, aspirin intolerance or multiple vascular risk factors we prefer clopidogrel. In patients with cardioembolic stroke (e.g. atrial fibrillation, cardiac clot formation), extracranial carotid or vertebral artery dissection, cerebral sinus venous thrombosis or hypercoagulability, anticoagulation is indicated. Treatment of arterial hypertension significantly reduces the risk of both first and recurrent cerebrovascular events. Antihypertensive agents are of paramount importance in both primary and secondary stroke prevention. The role of statins is also fairly well established after stroke. They reduce recurrent stroke and other types of vascular events overall. In diabetic patients strict treatment of elevated blood pressure (>130/80 mm Hg) and dyslipidaemia should be attempted in order to minimise stroke risk. Control of hyperglycaemia is important to avoid microangiopathy.
Zusammenfassung
In Industrienationen ist der Hirnschlag Hauptverursacher von Invalidität, zweithäufigste Ursache einer Demenz und die dritthäufigste Todesursache. Das Hirnschlag-Risiko kann durch Änderung der Lebensgewohnheiten (Nikotin-Abstinenz, Ernährung, körperliche Aktivität) und durch Behandlung der vaskulären Risikofaktoren deutlich reduziert werden. Etwa ein Drittel aller Hirnschläge betreffen Personen, die bereits früher einen Hirnschlag erlitten haben. Diese stellen somit eine besonders gefährdete Risikopopulation dar und bedürfen einer gezielten und konsequenten Sekundärprophylaxe. Die spezifische Pathogenese des Hirnschlags und die klinischen Manifestationen entscheiden über die Art der medikamentösen Behandlung und Prävention: Bei nicht kardioembolischen Insulten ist der Einsatz eines Thrombozytenaggregationshemmers indiziert. In der Regel wird Aspirin oder die Kombination von Aspirin und Dipyridamol verschrieben. Clopidogrel ist bei Ischämie-Rezidiven unter Aspirin, Aspirin-Unverträglichkeit und bei Hochrisikopatienten indiziert. Nach kardioembolischen Insulten (Vorhofflimmern, kardiale Thromben, initial bei offenem Foramen ovale), bei extrakranieller Karotis- oder Vertebralis-Dissektion, bei einer Sinusvenenthrombose und bei gewissen Formen von Hyperkoagulabilität ist eine orale Antikoagulation angezeigt. Liegt eine arterielle Hypertonie vor und sogar bei normalen Blutdruckwerten vermag der Einsatz von Antihypertensiva die Hirnschlag-Rezidivrate wesentlich zu senken, wobei der Stellenwert der einzelnen Antihypertensiva noch in weiteren Studien geklärt werden muss. Statine können nach einem Hirnschlag ebenfalls als Sekundärprophylaxe eingesetzt werden. Sie reduzieren neben weiteren Hirnschlägen auch die Inzidenz anderer vaskulärer Ereignisse. Eine adäquate Blutdruck-kontrolle (<130/80 mm Hg) und die Behandlung einer allfälligen Dyslipidämie ist bei Diabetikern zur Hirninfarkt-Prophylaxe besonders wichtig.
Einleitung
In der Schweiz und in Deutschland erleiden jährlich ca. 150 Personen pro 100000 Einwohner einen Hirnschlag und 600–800 pro 100000 Einwohner haben einen Hirnschlag überlebt. In Industrienationen ist der Hirnschlag Hauptverursacher von Invalidität, zweithäufigste Ursache einer Demenz und dritthäufigste Todesursache. Etwa jeder dritte Betroffene stirbt an direkten oder indirekten Folgen eines Hirnschlags, ein Drittel bleibt zeitlebens auf fremde Hilfe angewiesen oder pflegebedürftig, und nur ein Drittel erholt sich mehr oder weniger vollständig [
1].
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts sind Häufigkeit und Schwere des Hirnschlags stetig zurückgegangen. Dieser Trend kam jedoch in den letzten beiden Jahrzehnten in den meisten Ländern zum Stillstand. Das Risikoverhalten der Bevölkerung spielt dabei eine wichtige Rolle: Heute wissen wir, dass vor allem Leute mit hohem Blutdruck, eingeengten Hirngefässen, Raucher, Übergewichtige mit Fettstoffwechselstörungen, Herzkranke mit Herzrhythmusstörungen oder Diabetiker und auch Leute mit Bewegungsmangel und falscher Ernährung gefährdet sind, ein zerebrovaskuläres Ereignis zu erleiden.
Mit einer konsequenten Prävention, das heisst beim Durchschnittsbürger mit einem gesunden Lebensstil und einer Modifikation bzw. Behandlung aller Risikofaktoren, kann in grösserem Umfang und weit wirksamer als mit jeder Akuttherapie ein schlechtes Schicksal abgewendet werden. Ein Drittel bis mehr als die Hälfte der Hirnschläge könnten dadurch vermieden oder ihr erstmaliges Auftreten in ein höheres Lebensalter verschoben werden.
Bei ausgewählten Personen ist zur Primärprävention auch eine Behandlung mit Medikamenten indiziert (siehe unten). Dazu gehören die Behandlung einer arteriellen Hypertonie und der Hyperlipidämie, eine optimale Blutzuckerkontrolle bzw. Einstellung eines Diabetes mellitus sowie gegebenenfalls eine antithrombotische Behandlung bei Vorhofflimmern.
Etwa ein Drittel aller Hirnschläge betreffen Personen, die bereits früher einen solchen erlitten haben. Das Rezidivrisiko beträgt in den ersten fünf Jahren 20–40%. Diese Patienten stellen somit eine besonders gefährdete Risikopopulation dar und bedürfen einer gezielten und konsequenten Sekundärprophylaxe. Die spezifische Pathogenese des Hirnschlags und die klinischen Manifestationen entscheiden über die Art der medikamentösen Behandlung und Prävention.
Der Behandlung vaskulärer Risikofaktoren kommt sowohl in der Primär- wie Sekundärprophylaxe eine grosse Bedeutung zu. Dazu ist der Einsatz von Medikamenten oft unumgänglich.
Antihypertensiva
Epidemiologische Studien haben nachgewiesen, dass die arterielle Hypertonie ein wichtiger zerebrovaskulärer Risikofaktor ist [
2]. Pathogenetisch sind dabei die zerebrale Mikro- und Makroangiopathie, die eingeschränkte zerebrale Autoregulation bei Hypertonikern sowie Herzkrankheiten, die sekundär zu Hirnschlägen führen, von Bedeutung. Eine Hypertonie erhöht das Hirnschlag-Risiko um einen Faktor 4–8. Durch jede Erhöhung des diastolischen Blutdrucks um 7,5 mm Hg wird das Risiko ungefähr verdoppelt. Andererseits soll eine Senkung des systolischen Blutdrucks um 9 mm Hg oder des diastolischen Blutdrucks um 5 mm Hg das Insultrisiko um 30–40% verringern.
Primärprävention
Die meisten Hypertonietherapie-Studien sind in bezug auf den Hirnschlag Primärpräventionsstudien. Eine 2001 veröffentlichte Metaanalyse von neun randomisierten Studien mit insgesamt >60000 Hypertonikern verglich die Wirksamkeit von «älteren» Medikamenten (Diuretika und Betablockern) mit Kalziumkanal-Antagonisten und ACE-Hemmern. Insgesamt waren alle Antihypertensiva ähnlich wirksam und sicher [
3]. Auch weitere Hirnschlag-Primärpräventionsstudien (LIFE [
4], ALLHAT [
5] und ANBP-2 [
6]) ergaben keine eindeutigen Hinweise, dass ein spezifischer Blutdrucksenker oder eine Klasse von Antihypertensiva besonders für die Verhinderung von Hirninfarkten geeignet wäre. Mit Ausnahme von Alphablockern, die weniger wirksam sind, unterscheiden sich die einzelnen Antihypertensiva in ihrer Hirnschlag-präventiven Wirkung nur geringfügig. Einzig die Studie LIFE ergab, dass Losartan trotz gleicher Blutdrucksenkung Hirnschläge und andere vaskuläre Ereignisse etwas häufiger verhinderte als Atenolol. Deshalb sollte die Wahl des blutdrucksenkenden Medikamentes in erster Linie den individuellen Charakteristika und Bedürfnissen des Patienten angepasst werden.
Bei Diabetikern ist es besonders wichtig, auf eine adäquate Blutdruckkontrolle zu achten. Es wird eine medikamentöse Blutdrucksenkung bereits bei Werten >130/80 mm Hg empfohlen, wobei ACE-Hemmer hier besonders indiziert sind. In der HOPE-Studie vermochte die Zugabe des ACE-Hemmers Ramipril zur üblichen Medikation bei Diabetikern das Risiko, einen Hirnschlag zu erleiden, um zusätzliche 33% (95% CI: 10–50%) zu senken [
7].
Sekundärprävention
Die grosse randomisierte PROGRESS-Studie (Protection Against Recurrent Stroke Study) konnte die Wirksamkeit von Antihypertensiva auch in der Hirnschlag-Sekundärprävention belegen. Die Kombination des ACE-Hemmers und Diuretikums Perindopril und Indapamid (4/2,5 mg/d) vermochte die Zahl der Hirnschlag-Rezidive signifikant zu reduzieren. Die relative Risikoreduktion verglichen mit Plazebo war 43% (95% CI: 30–54%), die absolute 5,9% [
8]. Bemerkenswert ist, dass selbst bei Normotonikern die Kombination Perindopril und Indapamid das Risiko weiterer Ereignisse zu senken vermochte.
Die erst an Kongressen präsentierte MOSES-Studie zeigte bei Hypertonikern eine Überlegenheit des Angiotensin-II-Antagonisten (AIIA) Eprosartan gegenüber dem Kalziumantagonisten Nitrendipin in der Sekundärprävention nach einem Hirnschlag. Während einer Beobachtungszeit von 4 Jahren betrug die relative Risikoreduktion 25% (p = 0,02).
Bei Hirnschlag-Patienten tendieren wir daher dazu, einen ACE-Hemmer oder AIIAmit einem Diuretikum als erste antihypertensive Medikation zu geben.
Antidiabetika
Das Vorliegen eines Diabetes mellitus erhöht das Risiko, einen ischämischen Hirnschlag zu erleiden, 2- bis 6fach. Nach einem Insult zeigen Diabetiker eine höhere Mortalität (RR 2,8, 95% CI: 2,0–3,7) und insgesamt eine schlechtere Prognose als Nicht-Diabetiker [
9]. Als mögliche Mechanismen kommen ein Einfluss der Hyperglykämie auf die Blutgefässe und das Gerinnungssystem, eine gestörte Blutdruckregulation, Veränderungen im Lipid-Metabolismus, in der Endothelfunktion, in der Proliferation der glatten Muskulatur sowie entzündliche Gefässveränderungen in Frage. Bei Diabetikern ist eine adäquate Blutdruckeinstellung (<130/80 mm Hg) und die Behandlung einer allfälligen Dyslipidämie besonders wichtig, um das ohnehin erhöhte Insultrisiko möglichst gering zu halten. Möglicherweise kann durch eine konsequente medikamentöse Einstellung des Blutzuckers eine Mikroangiopathie vermieden werden, auch wenn der Beweis eines präventiven Effektes durch Sekundärpräventionsstudien bisher aussteht [
10]. In einer kürzlich publizierten Follow-up-Studie von 13999 Patienten mit vorbestehender Atherosklerose (insbesondere bei koronarer Herzkrankheit) konnte eine J-förmige Beziehung zwischen der Nüchtern-Glukose und dem Auftreten von zerebrovaskulären Ischämien gezeigt werden [
11]: die Inzidenz zerebrovaskulärer Ereignisse war bei Nüchtern-Glukose-Werten >100 mg/dl (5,6 mmol/l) und <80 mg/dl (4,4 mmol/l) erhöht. Dies zeigt, dass bei der Diabetes-Einstellung sowohl auf Hypoals auch auf Hyperglykämien geachtet werden muss. Es wird angenommen, dass rasche Plasmaglukose-Schwankungen zur Ausschüttung von Nebennierenrindenhormonen führen und mit Vasospasmen, Aggregation von Thrombozyten und konsekutiv mit Ischämie einhergehen können.
Lipidsenker
In den letzten 10 Jahren konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass eine Cholesterin-Senkung mittels Statinen (HMG-CoA-Reduktase-Hemmer) vaskuläre Ereignisse bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit sowohl in der Primär- wie Sekundärprävention signifikant zu reduzieren vermag. Das unerwartete Ergebnis einer verminderten Inzidenz an Hirnschlägen in den ersten grossen Statin-Studien weckte die Hoffnung, dieses Medikament auch zur Prävention bei zerebrovaskulären Patienten einsetzen zu können. In der «Heart-Protection»-Studie wurden 20536 Hochrisikopatienten bei einem Serumcholesterin-Wert von ≥3,5 mmol/l mit 40 mg Simvastatin oder Plazebo behandelt. Eine kombinierte Analyse der Hirnschlag-Primär- und -Sekundärprävention zeigte in der Verum-Gruppe während einer Beobachtungszeit von 5 Jahren weniger zerebrovaskuläre Ereignisse als in der Plazebo-Gruppe (4,3 vs. 5,7%; ARR 1,4%, RRR 25%, p <0,0001) [
12]. In der Sekundärprävention alleine, das heisst in der Patientengruppe mit bereits erlittenem zerebrovaskulärem Ereignis (n = 3280), konnten mit einer Statin-Behandlung wohl vaskuläre Ereignisse generell, jedoch nicht die Hirnschlag-Rate gesenkt werden (10,3 vs. 10,4%) [
13].
Ein kürzlich veröffentlichtes systematisches Review mit einer Metaanalyse aller bis August 2003 publizierten randomisierten Statin-Studien bestätigte frühere Ergebnisse. Bei den >90000 randomisierten Patienten konnte mit einer Statin-Behandlung insgesamt eine signifikante Reduktion aller Hirnschläge erzielt werden (RRR 21%; 95% CI: 15–27%, p <0,0001), ohne dass es zu einer Zunahme der Hirnblutungen kam. Die Anzahl Todesfälle infolge eines Hirnschlags konnte jedoch nicht signifikant beeinflusst werden (p = 0,37). Zur Wirkung der Statine in der Sekundärprävention nach zerebrovaskulärem Ereignis äussern sich die Autoren zurückhaltend, da diesbezüglich abgesehen von der «Heart-Protection»-Studie kaum Daten vorliegen. In dieser Metaanalyse konnte als sekundärer Endpunkt ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausmass der LDL-Cholesterin-Senkung und dem Risiko, einen Hirnschlag zu erleiden, nachgewiesen werden, sogar bei Patienten mit normalem Ausgangs-LDL-Cholesterin-Wert. Jede LDL-Cholesterin-Senkung um 10% reduzierte das Hirnschlag-Risiko um 15,6% (95% CI: 6,7–23,6%, p = 0,002). Mit dem Ausmass dieser Senkung konnten 30–80% der Variabilität in der Risikoreduktion erklärt werden. Eine Statin-bedingte Reduktion der Inzidenz von Hirnschlägen ist somit möglicherweise in erster Linie auf die Cholesterin-Senkung zurückzuführen. Allerdings konnte in epidemiologischen Studien bisher keine klare Assoziation zwischen Cholesterin-Spiegel und Hirnschlag generell gezeigt werden, einen Zusammenhang kennt man lediglich für ischämische Hirnschläge [14, 15]. Mögliche weitere Wirkmechanismen der Statine sind eine Reduktion kardioembolischer Hirninfarkte durch eine positive Beeinflussung der Myokardinfarkt-Häufigkeit, eine leichtgradig blutdrucksenkende Wirkung sowie ein Effekt auf Entzündungsreaktionen und Plaque-Stabilität [16, 17]. In einer sekundären Analyse zeigte sich auch eine direkte Korrelation zwischen der Wanddicke (Intima media) der A. carotis und dem LDL-Cholesterin im Serum: Jede LDLCholesterin-Senkung um 10% führte zu einer Abnahme der Wanddicke um 0,73% pro Jahr (95% CI: 0,27–1,19%, p = 0,004) [
18].
Gemäss aktuellen Leitlinien (Website
www.agla.ch) wird die medikamentöse Lipid-Senkung vom Lipid-Status und dem individuellen Risikoprofil abhängig gemacht. In der Sekundärprävention bei manifester Atherosklerose sowie bei Patienten mit Diabetes mellitus wird eine medikamentöse Behandlung empfohlen, falls 2 der 3 folgenden Lipid-Kriterien aus Tabelle 1 erfüllt sind.
Für die Primärprävention gelten bei fehlenden zusätzlichen Risikofaktoren folgende Lipid-Kriterien, wovon 2 von 3 erfüllt sein müssen (Tab. 2).
Tabelle 1.
Lipid-Kriterien in der Sekundärprävention, wovon 2 von 3 erfüllt sein müssen.
Tabelle 1.
Lipid-Kriterien in der Sekundärprävention, wovon 2 von 3 erfüllt sein müssen.
Tabelle 2.
Lipid-Kriterien in der Primärprävention, wovon 2 von 3 erfüllt sein müssen.
Tabelle 2.
Lipid-Kriterien in der Primärprävention, wovon 2 von 3 erfüllt sein müssen.
Tabelle 3.
Medikamentöse Behandlung: Zusammenfassung.
Tabelle 3.
Medikamentöse Behandlung: Zusammenfassung.
Thrombozytenaggregationshemmer
Eine Primärprophylaxe mit Aspirin ist aus neurovaskulärer Sicht bei Männern kontraindiziert. Die «Physician’s Health Study» [
19] beispielsweise zeigte zwar eine verminderte Anzahl an Herzinfarkten unter Aspirin, jedoch einen Überschuss an Hirnschlägen, insbesondere an Hirnblutungen. Bei Frauen dürfte sich eine Primärprophylaxe mit Aspirin positiv auf die Insultrate auswirken, ohne jedoch einen Effekt auf das Myokardinfarktrisiko zu haben [
19]. Das absolute Hirnschlag-Risiko bei Personen ohne vaskuläre Risikofaktoren ist jedoch derart klein, dass sich eine Gabe von Aspirin primärprophylaktisch erst bei Vorhandensein einer Arteriosklerose oder mehrerer Risikofaktoren lohnt. Warum zwischen Frauen und Männern ein Unterschied besteht, ist unklar.
In einer systematischen Übersichtsarbeit der Antithrombotic Trialist’s Collaboration mit total >140000 Patienten mit akutem bzw. Zustand nach Herzinfarkt, Hirnschlag oder erhöhtem Risiko für atherothrombotische Komplikationen konnte eine ca. 25prozentige Reduktion der Odds Ratio für vaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, ischämischer bzw. hämorrhagischer Hirnschlag oder vaskulär bedingter Tod) unter einer Sekundärprophylaxe mit einem Thrombozytenaggregationshemmer nachgewiesen werden [
20]. Verschiedene Patientengruppen (jüngere und ältere, Männer und Frauen, Diabetiker und Nicht-Diabetiker, Hypertoniker und Normotoniker) profitierten in gleicher Weise von einer solchen Therapie, während Patienten mit einem zerebrovaskulären Primärereignis eine kleinere Risikoreduktion zeigten als solche mit einer kardialen Ischämie.
Aspirin ist der am häufigsten verordnete Thrombozytenaggregationshemmer in der Sekundärprävention nach zerebrovaskulärem Ereignis [21, 22]. Aspirin vermindert die Plättchenaggregation durch Hemmung der Cyclooxygenase der Thrombozyten mit konsekutiver Reduktion der Thromboxan-Synthese. Die «European Stroke Prevention II» zeigt unter einer Therapie mit Aspirin eine Risikoreduktion für Rezidiv-Hirnschläge von 18% verglichen mit Plazebo (p = 0,013) [
23]. Das residuelle Risiko für vaskuläre Ereignisse bleibt jedoch trotz Aspirin-Therapie hoch: in der oben erwähnten Studie kam es während einer Beobachtungszeit von 24 Monaten in 12,9% der Patienten unter Aspirin zu einem erneuten Hirnschlag. Bei 30–40% der Patienten mit wiederholten zerebrovaskulären Ereignissen unter Aspirin-Therapie wurde eine Aspirin-Resistenz nachgewiesen [
24]. Aus diesem Grunde wurden zusätzliche Plättchenhemmer mit einem anderen Wirkmechanismus entwikkelt. Dazu gehören Dipyridamol und Clopidogrel. Ticlopidin, aus der selben Wirkstoffgruppe wie Clopidogrel, wird wegen gehäuftem Auftreten von Neutropenie und thrombotischer thrombozytopenischer Purpura im klinischen Alltag in der Schweiz nicht mehr eingesetzt.
Clopidogrel entwickelt seine Hemmung der Thrombozytenaggregation via Blockierung des ADP-Rezeptors auf den Thrombozyten. In einer Metaanalyse wurden Thienopyridine (Clopidogrel/Ticlopidin) in der Sekundärprävention von vaskulären Erkrankungen mit Aspirin verglichen [
25]. Die Grosszahl der Patienten stammt aus der CAPRIE-Studie. Bei total 22656 eingeschlossenen Patienten konnte eine mässige, jedoch signifikante Risikoreduktion bezüglich relevanten vaskulären Ereignissen unter Therapie mit Clopidogrel bzw. Ticlopidin im Vergleich zu Aspirin nachgewiesen werden (Odds Ratio 0,91, 95% CI: 0,84–0,98). Das bedeutet, dass bei zweijähriger Therapie 11 relevante vaskuläre Ereignisse pro 1000 Patienten verhindert werden können. Die Subgruppe mit vorbestehender zerebrovaskulärer Erkrankung zeigte eine ähnliche Reduktion des Risikos, einen weiteren Hirnschlag zu erleiden (Odds Ratio 0,86, 95% CI: 0,75–0,97). Aufgrund des höheren Risikos eines Rezidivs in dieser Subgruppe ist der absolute Nutzen hier noch grösser. Er entspricht 16 vermiedenen Hirnschlägen pro 1000 Patienten während 2 Jahren Behandlung. Verglichen mit Aspirin kam es unter Thienopyridinen zu einer signifikanten Reduktion von gastrointestinalen Blutungen, jedoch zu einer Zunahme von Hautausschlägen und Diarrhoe, wobei diese Nebenwirkungen bei Ticlopidin häufiger auftraten als bei Clopidogrel.
Dipyridamol ist ein Phosphodiesterasehemmer. Seine aggregationshemmende Wirkung erfolgt über eine Inhibition der Adenosin-Wiederaufnahme in die Thrombozyten. Die Wirkung bezüglich Reduktion der Hirnschlag-Rate entspricht ungefähr derjenigen von Aspirin (16 vs. 18% verglichen mit Plazebo). Unter Therapie mit Dipyridamol traten häufiger Kopfschmerzen auf als unter Aspirin. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse zeigt, dass die Kombinationstherapie mit Dipyridamol und Aspirin verglichen mit einer Aspirin-Monotherapie bei Patienten mit bereits durchgemachtem zerebrovaskulärem Ereignis das Risiko, einen erneuten Hirnschlag zu erleiden, um 22% (95% CI: 7–35%) reduziert [
26]. Die Wirkung der beiden Thrombozytenaggregationshemmer scheint sich in Kombination zu addieren.
Als gemeinsame Endstrecke der Plättchenaggregation wird eine Aktivation des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors durch einen Agonisten wie ADP, Kollagen oder Thrombin mit anschliessender Quervernetzung durch Fibrinogen-Moleküle angenommen. Inhibitoren dieses Rezeptors sind daher vielversprechend. 1997 lagen 15 Studien zu
Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten vor. Nach intravenöser Verabreichung dieses Medikamentes zusätzlich zu Aspirin fiel insbesondere bei Patienten mit Koronarangiographie eine hochsignifikante 19prozentige Reduktion von relevanten vaskulären Ereignissen auf. Dies bedeutet, dass 20 Ereignisse pro 1000 Patienten in einem Monat vermieden werden konnten. Dieser Nutzen wurde jedoch durch ein zusätzliches Auftreten von 23 wesentlichen extrakraniellen Blutungen pro 1000 Patienten wieder zunichte gemacht [
22]. Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten haben somit vorerst keine Bedeutung in der Sekundärprävention des Hirnschlags.
Im klinischen Alltag werden primär Aspirin, Clopidogrel oder die Kombination von Aspirin und Dipyridamol eingesetzt. Clopidogrel soll vor allem bei Ischämie-Rezidiven unter Aspirin, bei Aspirin-Unverträglichkeit oder bei Hochrisikopatienten eingesetzt werden, dies vor allem aus pharma-ökonomischen Überlegungen. Aufgrund der Daten der MATCH-Studie kann die Kombination von Aspirin und Clopidogrel bei zerebrovaskulären Hochrisikopatienten nicht empfohlen werden. Der kleine Vorteil der Kombinationstherapie (wesentliche vaskuläre Ereignisse während der Beobachtungszeit von 18 Monaten: 15,7 vs. 16,7%) wird durch eine erhöhte Rate an Blutungskomplikationen (2,6 vs. 1,3%) verglichen mit einer Clopidogrel-Monotherapie wieder zunichte gemacht [
27].
Antikoagulation
Bei nichtkardiogenen Insulten waren in der WARS-Studie eine orale Antikoagulation mit Warfarin (INR 1,4–2,8) und Aspirin (325 mg/d) in der Sekundärprävention gleich wirksam ohne eine signifikant unterschiedliche Rate wesentlicher Blutungskomplikationen [
28]. Da im klinischen Alltag Komplikationen unter Antikoagulation wahrscheinlich häufiger sind als unter Studienbedingungen, werden bei nicht-kardioembolisch bedingten Insulten weiterhin primär Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt. Auch bei Patienten mit Stenosen der zerebralen Arterien bringt die Antikoagulation keinen Vorteil gegenüber einer Thrombozytenaggregationshemmung (WASID-Studie) [
29].
Bei Patienten mit nicht-rheumatischem Vorhofflimmern liegt das jährliche Hirnschlag-Risiko abhängig von zusätzlichen Risikofaktoren zwischen 1,5 und 12%. In einer Metaanalyse von 16 Studien mit total 9874 Patienten wurde gezeigt, dass sowohl Aspirin wie eine Antikoagulation mit Warfarin dieses Risiko zu senken vermögen, wobei die Antikoagulation wesentlich wirksamer war als Aspirin (62% RRR [95% CI: 48–72%] vs. 22% [95% CI: 2–38%]). Das absolute Risiko einer relevanten Blutungskomplikation war unter Warfarin um 0,3% pro Jahr erhöht, was jedoch weit kleiner als der Nutzen der Therapie ist [
30]. Bei Patienten mit Vorhofflimmern ist daher in der Regel bereits primärprophylaktisch eine Antikoagulation mit einem Ziel-INR von 2–3 angezeigt [
31]. Einzig, wenn ein sogenanntes «lone atrial fibrillation» eines Patienten, der jünger als 65jährig ist, vorliegt, kann auf eine antithrombotische Therapie verzichtet werden. Bei asymptomatischen Patienten mit Vorhofflimmern, die älter als 65jährig sind, keine vaskulären Risikofaktoren haben und ein strukturell normales Herz aufweisen, ist das Risiko zerebraler Embolien klein, so dass alternativ zur Antikoagulation auch Aspirin 300 mg/d (75–325 mg) gegeben werden kann [
32] Die Mehrzahl der Patienten mit Vorhofflimmern erfüllt diese Kriterien jedoch nicht und eine Antikoagulation, wie oben erwähnt, ist angezeigt. Ähnliche Resultate bezüglich Senkung des Hirnschlag-Risikos durch eine Antikoagulation ergaben sich auch bei Patienten mit Vorhofflimmern, die bereits ein zerebrovaskuläres Ereignis hatten. In der Sekundärprävention ist die Antikoagulation einer Therapie mit Aspirin eindeutig überlegen (RRR 51%, 95% CI: 28–67%). Es kam bei dieser Population unter Antikoagulantien (INR 2,0–4,0) trotz insgesamt leicht erhöhten Blutungskomplikationen auch nicht zu einer signifikanten Zunahme der intrakraniellen Blutungen [
33].
Patienten mit stark eingeschränkter linksventrikulärer Funktion oder mit kardialen Thromben werden in der Regel ebenfalls antikoaguliert (INR 2,0–3,0). Bei mechanischen Herzklappen der ersten Generation ist eine orale Antikoagulation meist mit INR 3,0– 4,0 indiziert, bei Klappenprothesen der jüngeren Generation gelten tiefere Ziel-INR-Werte (2,5–3,5).
Das Vorliegen eines Antiphospholipid-Antikörper-Syndroms, welches bereits zu einer arteriellen und / oder venösen Thrombose geführt hat, ist ebenfalls eine Indikation für eine orale Antikoagulation [
34]. Der alleinige Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern bei ischämischem Hirnschlag, ohne dass das klinische Bild des Antiphospholipid-Antikörper-Syndroms voll ausgeprägt ist, stellt jedoch kein erhöhtes Risiko und damit auch keine Indikation für eine Antikoagulation dar [
35]. Der optimale Zeitpunkt, um nach einem Hirnschlag in oben erwähnten Situationen eine Antikoagulation zu beginnen, hängt von der Grösse des infarzierten Hirngewebes ab. Zur Verringerung des Risikos einer sekundären Einblutung wird in der Regel eine Latenz von 7–10 Tagen eingehalten.
Bei Hirnvenenthrombosen ist bereits in der Akutphase eine Vollheparinisierung indiziert [
36]. Anschliessend werden Patienten während 6–12 Monaten oral antikoaguliert (INR 2,0–3,0).
Da bei extrakranieller Karotis- oder Vertebralis-Dissektion Hirnschläge in über 90% thromboembolisch bedingt sind, wird in dieser Situation ebenfalls eine Antikoagulation schon in der Akutphase empfohlen und mit einem Ziel-INR von 2,0–3,0 in der Regel während 6–12 Monaten fortgesetzt [
37].
Bei Patienten mit kryptogenem Hirnschlag fand sich eine erhöhte Prävalenz eines offenen Foramen ovale (PFO). Die «Patent Foramen Ovale in Cryptogenic Stroke Study» (PICSS) befasste sich mit der medikamentösen Sekundärprävention bei kryptogenem Hirnschlag: Was das Rezidivrisiko und die Mortalität während der Verlaufsbeobachtung von 2 Jahren anbelangt, gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne PFO. Die Rezidivrate eines Hirnschlags unterschied sich bei PFO-Patienten nicht signifikant zwischen der Gruppe, die Aspirin (325 mg/d) und derjenigen, die Antikoagulantien (durchschnittlicher INR = 2,04) erhielt [
38].