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Cardiovascular Medicine is published by MDPI from Volume 28 Issue 1 (2025). Previous articles were published by another publisher in Open Access under a CC-BY (or CC-BY-NC-ND) licence, and they are hosted by MDPI on mdpi.com as a courtesy and upon agreement with Editores Medicorum Helveticorum (EMH).
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Editorial

Von den Kardiovaskulären Risikofaktoren zum Global Risk Assessment: Confused at a Higher Level Oder Wirklicher Fortschritt?

by
Thomas F. Lüscher
* and
Jens P. Hellermann
HerzKreislaufzentrum, Kardiologie, UniversitätsSpital Zürich, CH-8091 Zurich, Switzerland
*
Author to whom correspondence should be addressed.
Cardiovasc. Med. 2005, 8(5), 167; https://doi.org/10.4414/cvm.2005.01102
Submission received: 27 February 2005 / Revised: 27 March 2005 / Accepted: 27 April 2005 / Published: 27 May 2005
Kardiovaskuläre Risikofaktoren wie die arterielle Hypertonie, das Cholesterin, die Zuckerkrankheit u.a.m. hatten sich in den 1960er und 1970er Jahren langsam zur Bestimmung der Prognose durchgesetzt. Zahllose epidemiologische Untersuchungen haben die prognostische Aussagekraft des Blutdrucks, des Cholesterinspiegels, der Blutzuckerwerte und auch des Rauchens für das Auftreten von Herzinfarkt und Hirnschlag dokumentiert [1,2,3,4].
Zunächst allerdings entwickelten sich diese Risikofaktoren im klinischen Alltag je auf ihre eigene Weise: Der arterielle Blutdruck gewann als erster klinische Bedeutung, da durch die Entwicklung wirksamerer Antihypertensiva eine anhaltende Blutdrucksenkung möglich geworden war. Zahlreiche Studien, zunächst zu Beginn der 1970er Jahre und dann in rascher Folge bis zum heutigen Tag [5,6,7], haben gezeigt, dass sich mit einer Blutdrucknormalisierung der Hirnschlag um etwa 50% und die koronare Herzkrankheit um etwa 15–20% vermindern lässt [8]. Aufgrund der in der Frühzeit der Behandlung des hohen Blutdrucks aufgetretenen bedeutsamen Nierenschäden haben sich zunächst die Nephrologen und Endokrinologen und erst zu einem viel späteren Zeitpunkt die Internisten und Kardiologen für dieses Problem zu interessieren begonnen.
Die Hypercholesterinämie hatte deutlich mehr Mühe, die praktisch tätigen Ärzte von ihrer Bedeutung zu überzeugen: Zwar hatten verschiedene epidemiologische Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen Cholesterinspiegel und klinischem Verlauf ebenfalls aufgezeigt, aber die ersten randomisierten Studien mit Cholesterin-senkenden Medikamenten, wie den Fibraten, zeigten wenig überzeugende Ergebnisse [9, 10]. Ja, prominente Vertreter der medizinischen Wissenschaft waren sogar längere Zeit der Auffassung, dass die Cholesterinsenkung mit einer erhöhten Inzidenz von Depressionen, Selbstmord und Unfällen assoziiert sein könnte. Angiographische Studien in den 1980er Jahren zeigten zudem relativ geringe Veränderungen der Koronaranatomie unter einer Cholesterin-senkenden Therapie. Erst mit dem 4S-Trial [11], welcher mit Simvastatin bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine über 30prozentige Reduktion der klinischen Ereignisse innerhalb von 41/2 Jahren nachwies, konnte sich die Cholesterin-Hypothese endlich vollends durchsetzen. Seither sind vor allem die Statine, welche die Cholesterin-Produktion in der Leber hemmen, eine Standardbehandlung bei Patienten mit Hypercholesterinämie und/oder kardiovaskulären Erkrankungen. Auch hier waren es vor allem Lipidomiologen und Endokrinologen, welche zunächst Patienten mit diesen Stoffwechselproblemen betreuten und erst in einem weiteren Schritt kamen Internisten, Kardiologen und andere Fachärzte mehr dazu.
Diese unterschiedliche historische Entwicklung und fachliche Verwurzelung der Hypertonie und der Hypercholesterinämie haben lange Zeit dazu geführt, dass sie wie zwei verschiedene Erkrankungen behandelt wurden. Epidemiologisch war es allerdings schon längst klar, dass alle bekannten Risikofaktoren gemeinsam die Prognose eines individuellen Patienten bestimmen. Entsprechend ist die in den letzten Jahren zunehmend propagierte Methode des sogenannten Global Risk Assessments eine längst überfällige und wichtige Entwicklung in der klinischen Medizin. Das Global Risk Assessment geht davon aus, dass neben Alter, Geschlecht und Rauchen, die Blutdruckwerte sowie Cholesterinwerte bzw. die Werte ihrer Unterfraktionen sowie das Bestehen eines Diabetes für die Risikoberechnung des Patienten von entscheidender Bedeutung sind. Obschon Ärzte häufig intuitive diese Faktoren zu einer Schätzung des Langzeitrisikos eines Patienten bereits heute verwenden, ist diese Beurteilung immer noch sehr ungenau.
In der Tat haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass Ärzte in der Regel das Risiko ihrer Patienten stark unterschätzen [12]. Daher ist die quantitative Bestimmung des globalen Risikos eines Patienten ein klinisches Bedürfnis. Verschiedene Gesellschaften haben nun sogenannte «Scores» entwickelt, um das Langzeitrisiko in der Regel über 10 Jahre zu bestimmen.
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Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat die sogenannte «score card» entwikkelt, welche als einfache Farbtabelle verfügbar ist (Abb. 1, 2) und es dem behandelnden Arzt innerhalb von wenigen Sekunden erlaubt, aufgrund weniger Angaben das 10-Jahres-Risiko zu berechnen, an einem Herzinfarkt und/oder Hirnschlag zu versterben. Der Vorteil dieser Methode ist ihre Einfachheit und Praktikabilität. Der Nachteil liegt darin, dass nur tödliche, nicht aber nicht-tödliche Ereignisse mitberücksichtigt werden. Dies wurde durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie deshalb so gemacht, da nicht-tödliche Ereignisse häufig weniger sicher bestimmt werden können und die Definition des akuten Myokardinfarkts vor einigen Jahren durch die Einführung des Troponins stark verändert wurde, so dass die epidemiologischen Daten der Vergangenheit in diesem Zusammenhang weniger hilfreich schienen. Tödliche Ereignisse sind dem gegenüber harte Endpunkte und entsprechend in ihrer Aussagekraft zuverlässig. Die International Atherosclerosis Society (IAS) hat einen eigenen, vorwiegend auf dem «PROCAM score» [4] basierenden Risk Calculator auf dem Internet zur Verfügung gestellt (http://www.chd-taskforce.com) und auch in verschiedenen Ländern Kartenversionen dieses «scores» den Ärzten zur Verfügung gestellt. Die Berechnung dieses «scores» ist komplizierter, da mehrere Faktoren Berücksichtigung finden (Table 1). Der Vorteil ist daher, die etwas feinere Einbeziehung verschiedenster Risikofaktoren und auch der Unterfraktionen des Cholesterins wie dem LDL-Cholesterin und den Triglyzeriden, welche im «ESC score» keine Berücksichtigung fanden. Ein ebenfalls sehr wichtiger Unterschied zum «ESC score» besteht darin, dass der «PROCAM score» tödliche und nicht-tödliche koronare Ereignisse über 10 Jahre berücksichtigt. Die Hirnschläge, welche einen geringeren Anteil der kardiovaskulären Ereignisse ausmachen, werden hier nicht berücksichtigt, ebenso wird das Geschlecht des Patienten nur summarisch miteinbezogen (durch einen Korrekturfaktor).
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Obschon die Entwicklung von «score cards» sehr zu begrüssen ist, ist die Verfügbarkeit verschiedener Berechnungssysteme für den praktisch tätigen Arzt sicher verwirrend. In der Tat ist es so, dass beispielsweise ein nach der «ESC score card» berechtes Risiko von 5% in 10 Jahren an einem Herzinfarkt oder Hirnschlag zu versterben im «PROCAM score» einem etwa 10prozentigen Risiko, an einem tödlichen oder nicht-tödlichen koronaren Ereignis zu versterben, entspricht. Das ist nicht weiter überraschend, da ja glücklicherweise nur ein Teil der Herzinfarkte und Hirnschläge tödlich verlaufen und entsprechend die Wahrscheinlichkeit ein Ereignis zu haben, deutlich höher liegt, wenn tödliche und nichttödliche Infarkte mit in die Rechnung einfliessen.
Leider ist diese Situation im Moment nicht zu ändern, da verschiedene internationale Gesellschaften mit nicht völlig gleichen Interessen dahinter stehen. Positiv zu vermerken ist, dass das Prinzip als solches sehr zu begrüssen ist und es vielleicht für den praktisch tätigen Arzt weniger wichtig ist, welches System benutzt wird, sondern, dass überhaupt ein entsprechender «score» Verwendung findet, um das Risiko eines zu behandelnden Patienten besser als nur mit der klinischen Einschätzung beurteilen zu können. Gewiss, sind wir damit «confused at a higher level», doch es ist ein Schritt nach vorne, den alle klinisch tätigen Ärzte begrüssen sollten.

References

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MDPI and ACS Style

Lüscher, T.F.; Hellermann, J.P. Von den Kardiovaskulären Risikofaktoren zum Global Risk Assessment: Confused at a Higher Level Oder Wirklicher Fortschritt? Cardiovasc. Med. 2005, 8, 167. https://doi.org/10.4414/cvm.2005.01102

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Lüscher TF, Hellermann JP. Von den Kardiovaskulären Risikofaktoren zum Global Risk Assessment: Confused at a Higher Level Oder Wirklicher Fortschritt? Cardiovascular Medicine. 2005; 8(5):167. https://doi.org/10.4414/cvm.2005.01102

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Lüscher, Thomas F., and Jens P. Hellermann. 2005. "Von den Kardiovaskulären Risikofaktoren zum Global Risk Assessment: Confused at a Higher Level Oder Wirklicher Fortschritt?" Cardiovascular Medicine 8, no. 5: 167. https://doi.org/10.4414/cvm.2005.01102

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Lüscher, T. F., & Hellermann, J. P. (2005). Von den Kardiovaskulären Risikofaktoren zum Global Risk Assessment: Confused at a Higher Level Oder Wirklicher Fortschritt? Cardiovascular Medicine, 8(5), 167. https://doi.org/10.4414/cvm.2005.01102

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