Fallbeschreibung
Ein 64jähriger Hypertoniker konsultiert seinen Hausarzt wegen akuter Dyspnoe. Dieser stellt beim kreislaufstabilen Patienten neu eine Schmalkomplextachykardie mit einer Frequenz von 150/min fest, welche sich durch Gabe von Adenosin (6 und 12 mg i.v.), Verapamil 5 mg i.v. und anschliessend Amiodaron 150 mg i.v. in der Praxis nicht konvertieren lässt (
Figure 1). Daraufhin weist er den Patienten notfallmässig ins Spital ein. Im Eintritts-EKG zeigt sich ein tachykardes Vorhofflattern mit 2:1-Überleitung (QTc 430 ms). Bei hämodynamisch stabilem Patienten wird ein medikamentöser Konversionsversuch mit Ibutilid (Corvert
®, fraktioniert 0,87 mg i.v.) durchgeführt, worunter der Patient prompt in einen normokarden Sinusrhythmus (
Figure 2) mit gehäuften Extrasystolen konvertiert. Im Laufe der nächsten 15 Minuten treten eine QT-Verlängerung bis 670 ms sowie 3 selbstlimitierte, asymptomatische Torsades de pointes auf (
Figure 3), die nach Gabe von Magnesium (2 g als Kurzinfusion) sistieren. Echokardiographisch zeigt sich eine linksventrikuläre Hypertrophie bei erhaltener systolischer LVFunktion mit Hinweisen auf eine diastolische Funktionsstörung. Eine Lungenembolie und eine Schilddrüsenfunktionsstörung werden ausgeschlossen. Der Patient wird nach Ausbau der antihypertensiven Therapie (Nebivolol, Valsartan, Hydrochlorothiazid, Amlodipin) im wiederhergestellten Sinusrhythmus mit leicht verlängertem QTc (460 ms,
Figure 4) nach Hause entlassen; eine ambulante Myokard-Perfusionsszintigraphie zeigt weder eine Ischämie noch Narben.
Diskussion
Bei symptomatischer Schmalkomplextachykardie können in unklaren Fällen eine Vagus-Stimulation oder die Adenosin-Gabe helfen, die zugrunde liegende Rhythmusstörung zu demaskieren. Sie sind aber in klaren Fällen von Vorhofflattern aufgrund des Nebenwirkungspotentials nicht indiziert. Bei offensichtlich neu aufgetretenem (<48 Stunden) Vorhofflattern darf eine immediate elektrische oder medikamentöse Konversion ins Auge gefasst werden. Da die Konversionsrate nach intravenöser Gabe von Digoxin, Verapamil oder auch Amiodaron relativ tief ist, wird modernerweise Ibutilid (Corvert
®) gegeben, das in Head-to-head-Studien höhere Konversionsraten erreicht [
1].
Die wichtigste Nebenwirkung des Ibutilids ist die
proarrhythmische Wirkung. Meist äussert sich die gestörte Repolarisation mit akzentuierten T-Wellen, polymorphen Salven und ventrikulären ES mit kurzfristig sich ändernder und verlängerter QT-Zeit. Zu den typischen Vorboten einer Torsade de pointes gehört das sogenannte «Long-short-Cycle»-Phänomen [
1], bei welchem ein langes vorausgehendes RR-Intervall die Repolarisation des folgenden Normalschlags verzögert. In dieser verlängerten vulnerablen Phase der Repolarisation kann eine «R auf T»-Extrasystole aus einem noch nicht wiederhergestellten Ruhemembranpotential heraus die Kammertachykardie initiieren. Im EKG ist typischerweise ein Verlust der isoelektrischen Linie zu verzeichnen.
Bei unserem Patienten zeigt sich der oben beschriebene «Long-short-Cycle»-Effekt, nachdem der Patient mittels Ibutilid vom tachykarden Vorhofflattern in einen normokarden Sinusrhythmus konvertierte. Als Alarmzeichen traten wiederholt Extrasystolen mit Verlust der isoelektrischen Linie (
Figure 2) und QT-VES-Verlängerungen von 580–670 ms auf, gefolgt von den Torsades de pointes. Nach Magnesium-Gabe verschwanden die Torsades de pointes trotz persistierend verlängerter QTc-Zeit und gehäufter ventrikulärer Extrasystolen.
Das Auftreten von Torsades de pointes wird durch verschiedene Faktoren begünstigt: Zusätzlich zum langen QT, bei welchem genetische und medikamentöse Faktoren häufig zusammenspielen, sind als Trigger u.a. eine verminderte intrazelluläre Kalium-Konzentration und/oder eine erhöhte Kalzium-Konzentration dokumentiert. Magnesium hat auch unabhängig von einer Hypomagnesiämie eine Zellmembranpotential-stabilisierende Wirkung, was dessen Verwendung als Therapie der ersten Wahl in der Akutbehandlung der Torsades de pointes unterstützt.
Ibutilid (Corvert®) ist ein neueres Antiarrhythmikum der Klasse III. Wie bei Amiodaron ist die negativ-inotrope Wirkung gering, die akute Konversionsrate eines Vorhofflimmerns oder besonders eines Vorhofflatterns aber höher. Allerdings ist auch das Risiko einer Induktion einer Torsade de pointes mit ca. 5% deutlich höher als bei Amiodaron. Bei einer Halbwertszeit von 2–12 Stunden kann diese proarrhythmische Situation über viele Stunden anhalten und Interaktionen mit anderen QT-verlängernden oder das Cytochrom-P-450-3A4-beeinflussenden Medikamenten sind möglich.
Beim genannten Patienten sind am ehesten die Kombination multipler Antiarrhythmika zusammen mit einem Kalium-Wert im unteren Normbereich (3.7 mmol/l) für die QT-Verlängerung und Auslösung der Torsades de pointes verantwortlich. Allerdings gilt die Kombination von Amiodaron mit Ibutilid als relativ sicher (Torsades de pointes bei 1 von 70 Patienten [
2]). Ebenfalls könnte die hypertensive Kardiomyopathie aufgrund Hypertrophie-bedingter Repolarisationsstörung und potentieller QT-Verlängerung eine Rolle gespielt haben. Möglicherweise liegt auch eine genetische Prädisposition vor. Man geht heute davon aus, dass bei gewissen Patienten mit scheinbar «medikamentös-induziertem» langem QT eine genetische Prädisposition vorliegen könnte (reduzierte Repolarisationsreserve), welche erst durch Gabe von QT-verlängernden Medikamenten demaskiert wird. Um dies besser erfassen zu können, gewinnt eine genaue persönliche und Familienanamnese diesbezüglich und zukünftig auch die Rücksprache mit einem kardiovaskulären Genetiker zwecks Abfragen und Erstellen von Datenbanken immer mehr an Wichtigkeit [
3]. Die Patienten sollten über die Meidung QTverlängernder Medikamente und Medikamenten-Interaktionen aufgeklärt werden, um das Risiko medikamentös-induzierter Torsades de pointes zu minimieren. Die geläufigsten QTverlängernden Medikamente sind unter der Website:
http://www.torsades.org aufgeführt. Als weiterführende Literatur empfehlen wir die klinisch relevante Publikation von Al-Khatib et al. [
4].
Konklusion
Die medikamentöse Konversion eines akuten tachykarden Vorhofflimmerns ist kein risikofreies Unterfangen, da die meisten verwendeten Medikamente relevante proarrhythmische Nebenwirkungen haben können. Auch bei ambulant durchgeführter Konversion ist eine adäquate Rhythmus-Monitorisierung sowie die Möglichkeit, eine Defibrillation und eine kardiopulmonale Reanimation durchzuführen, obligat. Die Rhythmusüberwachung muss während mindestens 4 Stunden nach Ibutilid-Gabe gewährleistet sein, länger, falls intermittierende tachykarde Rhythmusstörungen auftreten oder falls das QTc-Intervall relevant verlängert bleibt. Ibutilid ist zwar zur medikamentösen Konversion eines Vorhofflimmerns/-flatterns häufig effektiv, scheint aber, wie das Beispiel zeigt, aufgrund der nicht seltenen Induktion von Torsades de pointes für die ambulante Konversion in der Arztpraxis nicht geeignet.