Fall
Der 70-jährige Patient stellte sich 2020 bei uns infolge Pensionierung des behandelnden Kardiologen vor. Er klagte über eine kardiale Leistungseinbusse und ausserdem über Probleme mit dem Bewegungsapparat. In der Anamnese fand sich eine Spinalkanalstenose und eine Polyneuropathie.
Vorgeschichte
Der Patient war über Jahre in kardiologischer Behandlung wegen einer hypertensiven Herzerkrankung, er hatte eine Myokardwandver dickung und entwickelte 2016 ein Vorhof flimmern. In der Vergangenheit erlitt er einen Herzinfarkt. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren bestanden eine arterielle Hypertonie und eine Hypercholesterinämie, wogegen er entsprechend antihypertensiv behandelt wurde.
Spinalkanalstenose, Polyneuropathie und Karpaltunnelsyndrom beidseits waren weitere Diagnosen im Verlauf der Zeit.
Weg zur Diagnose
Wie viele Jahre sind zwischen den ersten Symptomen und der Diagnose vergangen?
Seit der erstmaligen Diagnose von Vorhofflimmern sind mindestens 5 Jahre vergangen.
Was waren die auslösenden Ereignisse dafür, dass eine kardiale Transthyretin-Amyloidose diagnostiziert worden ist?
Bei der Echokardiografie
(Abbildung 1) zeigte sich eine linksventrikuläre Wandverdickung und das Bild eines Blasbalgventrikels. In der Strain-Analyse war die fehlende Verkürzung im Bereich der Herzbasis anhand der Farbverteilung gut sichtbar (typisches «Apical Sparing»-Muster
(Abbildung 2). Zusammen mit der Anamnese (v.a. Status nach Bizepssehnenruptur beidseits und des Vorhofflimmerns im EKG) (
Abbildung 3a and
Abbildung 3b) erhärtete sich der Verdacht auf eine kardiale Amyloidose. Es wurde daher eine Skelettszintigrafie durchgeführt, die klar diagnostisch war. Es bestätigte sich das Bild einer bereits deutlich fortgeschrittenen kardialen Amyloidose (Perugini-Score 3). Zum Ausschluss einer Leichtketten-Amyloidose wurde ein Bluttest durchgeführt, dieser war negativ, womit die Diagnose der kardialen Transthyretin-Amyloidose (ATTR-CM) gestellt werden konnte.
Welche medizinischen Untersuchungen wurden über die Jahre durchgeführt?
Zur Bewertung der Leistungseinschränkung wurde zusätzlich ein 6-Minuten-Gehtest durchgeführt. Dieser fiel vor allem wegen der Spinalkanalstenose und der Polyneuropathie schlecht aus (190 Meter), die Dyspnoeschwelle wurde wegen dieser Einschränkungen gar nie erreicht.
In regelmässigen Abständen wird ein 24-Stunden-EKG durchgeführt, um eventuelle Arrhythmien/Blockbilder festzustellen und um im positiven Fall über die Notwendigkeit eines Schrittmachers zu entscheiden. Die kardialen Biomarker (Troponin und NT-proBNP) sowie die Nierenwerte (Kreatinin, Glomeruläre Filtrationsrate) werden halbjährlich bestimmt
(Abbildung 3). Diese Werte sind für die Klassifikation des Krankheitsstadiums wichtig.
Um welche Form von kardialer Transthyretin-Amyloidose handelt es sich?
Dieser Patient leidet an einer Wildtyp-ATTR (wtATTR), was die häufigste Form ist und bei Menschen ab 70 Jahren auftreten kann. Bei der hereditären Form (vATTR) empfiehlt sich der Einbezug und die genetische Abklärung der Familie, weil sich diese Erkrankungsform schon in früherem Lebensalter manifestieren kann. Häufig beginnt eine vATTR mit einer Polyneuropathie in jüngeren Jahren (ab 50 Jahren) und erfordert eine andere Therapie.
Gab es über die Jahre sogenannte Red Flags, welche übersehen worden sind, bzw. welche bereits auf eine kardiale Transthyretin-Amyloidose hätten hindeuten können (auch wenn unspezifisch)?
Karpaltunnelsyndrom und Bizepssehnenruptur (10 Jahre vor der ATTR-Diagnose), Spinalkanalstenose (7 Jahre vor der ATTR-Diagnose), Vorhofflimmern (5 Jahre vor der ATTR-Diagnose), Myokardwandverdickung, Polyneuropathie.
Therapie
Welche Therapie wurde für den Patienten gewählt?
Seit August 2021 erhält der Patient Tafamidis 61 mg/Tag. Er ist seither stabil und benötigte in dieser Zeit keine Spitalpflege. Die Therapie verträgt er gut. Sie bremst die Krankheitspro- gression durch Stabilisierung von Transthyretin (TTR) und dadurch der Bildung von neuem Amyloid. Weil bereits abgelagertes Amyloid nicht abgebaut werden kann, ist es wichtig, die Patienten möglichst früh zu diagnostizieren und einer Therapie zuzuführen. Die Überlebensprognose verbesserte sich damit gegenüber keiner Therapie gemäss Studienlage nach einer Therapiedauer von 18 Monaten [
1].
Fazit und Empfehlungen für die Praxis
Worauf sollen Kardiologen achten?
Eine kardiale Amyloidose ist viel häufiger als bisher vermutet. Wenn man danach sucht, findet man sie nicht selten. Bei älteren Männern ab 70 Jahren sollte man auch an diese Erkrankung denken, wenn sich in der Echokardio grafie Ventrikelwandverdickungen zeigen. Dann sollte die Verdachtsdiagnose Amyloidose gestellt werden, insbesondere wenn in der Ana- mnese weitere Hinweise wie Vorhofflimmern oder extrakardiale Manifestationen wie Karpaltunnelsyndrom, Spinalkanalstenose, Polyneuropathie, Restless-Legs-Syndrom, Bizeps sehnen-Ruptur vorliegen. Nach Ausschluss einer AL sollte der Patient zur (Szintigrafie)
(Abbildung 5) zur Abklärung einer TTR-Amyloidose angemeldet werden. Diese ist beweisend.
Patienten mit einer ATTR-CM haben oder entwickeln häufig ein Vorhofflimmern. Daher sollte in regelmässigen Abständen ein 24-Stunden-EKG durchgeführt werden, um über die Notwendigkeit einer Blutverdünnung zu entscheiden.
Was wären die Empfehlungen, um die korrekte Diagnose von ATTR-CM zu beschleunigen?
Bei einem Verdacht auf eine Amyloidose aufgrund einer Echokardiografie, sollte niederschwellig eine Szintigrafie inklusive Leichtkettenanalyse durchgeführt werden. Erstere ist weder belastend noch aufwendig für den Patienten und kann frühzeitig Klarheit bringen.
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Prof. Dr. med. Otmar Pfister |
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