Am 3. April 2015 ist Alfred Bollinger, ehemaliger Leiter der Angiologie am UniversitätsSpital Zürich, im Alter von 83 Jahren nach tapfer ertragener Tumorkrankheit gestorben. Er hinterlässt seine Frau Verena, zwei Töchter und vier Enkel. Mit ihm verliert die Angiologie einen der letzten frühen Pioniere des Fachgebietes.
Geboren am 23. Januar 1932 in Herisau als Sohn eines Redaktors, besuchte er das Gymnasium in St. Gallen. Das Medizinstudium absolvierte er in Genf und Zürich mit einem Semester in Rom. Es folgten Assistenzjahre in Innerer Medizin in Olten und St. Gallen, unterbrochen durch ein Jahr am Nationalen Herzinstitut in Mexiko. Zur Weiterbildung in Kardiologie bewarb er sich an der damaligen Universitätspoliklinik in Zürich bei Prof. Robert Hegglin. Dieser gliederte ihn 1964 in die kardiologische Gruppe ein, gab ihm aber bald den Auftrag, sich mit Angiologie zu befassen – was ihm damals nicht einmal dem Namen nach vertraut war. Nach Besuchen bei den etwas älteren Angiologen Leo Widmer in Basel und Arnold Kappert in Bern sowie der Ratschow-Klinik in Darmstadt entschloss er sich, die Venenverschlussplethysmographie einzuführen. Mit der Monographie «Messungen der Extremitätendurchblutung in der klinischen Angiologie» habilitierte er sich 1969 und gewann gleichzeitig den Max Ratschow-Preis. Fast zur gleichen Zeit hatte er die Druckmessung mit Doppler-Ultraschall als einer der ersten in Europa eingeführt. Das Ultraschallverfahren wurde durch ihn auch am Venensystem angewendet zur Diagnostik von Klappeninsuffizienz und Beckenvenenthrombose. Als nächstes Projekt folgte Anfang der 70er Jahre die Erforschung der Mikrozirkulation mit Video- und Fluoreszenzmikroskopie. Es wurden quantitative dynamische Messungen von Fluss und Druck nicht nur in den Nagelfalzkapillaren, sondern auch in den initialen Lymphgefässen durchgeführt.
Inzwischen war aus dem Einmannbetrieb eine universitäre Abteilung für Angiologie mit grosser internationaler Ausstrahlung geworden. Zahlreiche junge Wissenschaftler, insbesondere Stipendiaten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), bewarben sich. Es entstand um ihn eine beeindruckende angiologische Zürcher Schule. Die späteren Professoren Andreas Grüntzig, Felix Mahler, Ernst Schneider, Ernst Pilger, Kurt Jäger, Ulrich Hoffmann, Ulrich Franzeck, Iris Baumgartner und Beatrice Amann-Vesti haben ihre Weiterbildung unter seiner Obhut durchlaufen neben fast unzähligen Angiologen, die dort das klinische Handwerk erlernten. Seine Begeisterungsfähigkeit und Offenheit für Neues war ansteckend. Grüntzig entwickelte seinen Ballonkatheter zuerst zur Anwendung an peripheren Arterien, bevor er sich an die Koronarien wagte, und Bollinger war einer der wenigen, welche die Bedeutung der Kathetertherapie erkannte und sie auch gegen Anfeindungen voll unterstützte. Ebenfalls förderte er unermüdlich die Weiterentwicklung der Duplexsonographie, zu der er seine jüngeren Kollegen ermunterte.
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Alfred Bollinger war auch fachpolitisch aktiv. Als Vorstandsmitglied und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Angiologie (SGA) machte er früh wichtige Vorarbeiten zur Anerkennung der Angiologie als eigenständige Fachdisziplin. Weiter gründete er die Schweizerische Gesellschaft für Mikrozirkulation und organisierte als deren Präsident 1991 in Zürich die European Conference for Microcirculation. 1993 führte er die angiologische Dreiländertagung in Zürich durch sowie verschiedenste mehrere nationale und lokale Veranstaltungen. Zahlreiche nationale und internationale Preise und Ehrungen fielen ihm zu, natürlich auch die Ehrenmitgliedschaften der Schweizerischen und Deutschen Gesellschaften für Angiologie sowie der European und der World Society for Microcirculation. Die Beschreibung dieser brillanten beruflichen Laufbahn wird seiner Persönlichkeit aber nur zum Teil gerecht. Von seiner Herkunft her war ihm die Liebe zur Literatur gegeben. Seine breiten Interessen umfassten auch Natur und Kultur, die er beispielsweise beim Bergsteigen (insbesondere auf Vulkane) und auf weiten Reisen pflegte. Schon in Mexiko verfasste er eine Fotoreportage über Tempelausgrabungen für die Kulturzeitschrift Du – und hatte natürlich auch den Popocatepetl bestiegen. Von seiner Leichtigkeit des Schreibens zeugen das Lehrbuch Funktionelle Angiologie, zahlreiche Buchbeiträge und Herausgeberschaften sowie an die 500 Originalpublikationen aus der wissenschaftlichen Zeit. Unter anderem war er auch Herausgeber der angiologischen Zeitschrift VASA.
Er zog sich 1995 von seiner Klinik vorzeitig zurück, um sich fortan der Schriftstellerei und Fotografie zu widmen. Er publizierte drei Romane, mehrere medizingeschichtliche Artikel und Buchbeiträge. Am schönsten wird seine vielseitige Begabung in den Fotobüchern sichtbar, die er mit seiner Frau Verena mit Aufnahmen aus seiner Wohnung hoch über dem Zürichsee und von seiner Trauminsel Stromboli verfasste.
Ein letztes Wort gilt seiner Fähigkeit zur Geselligkeit, zu menschlicher Anteilnahme und langjährigen Freundschaften. Es gibt kaum einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, ärztlich oder nichtärztlich, für deren Leben und Fortkommen er sich nicht interessierte. Dazu gehörte auch «seine dritte Tochter, die Angiologie», wie er sich auszudrücken pflegte
Für viele von uns ist er zu einer eigentlichen «Standard-Referenz» im Leben und Beruf geworden. Die ihn persönlich kannten, werden ihn nie vergessen.
Felix Mahler