Fallbeschreibung
Ein 19-jähriger Patient stellte sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag aufgrund akuter Thoraxschmerzen selbständig auf unserer Notfallstation vor. Rund eine Stunde zuvor habe er Ketamin oral sowie Marihuana inhalativ konsumiert. In der Folge seien starke retrosternale Thoraxschmerzen mit einem ausgeprägten Engegefühl und Atemnot aufgetreten. Die weitere Anamnese ist bis auf gelegentliche Kopfschmerzen mit jeweils Einnahme von Paracetamol unauffällig, ein regelmässiger Substanzmissbrauch wurde verneint. Klinisch präsentierte sich der Patient in schmerzbedingt deutlich reduziertem und ängstlichem Allgemeinzustand, jedoch kardiopulmonal stabil (Blutdruck 147/81 mm Hg und Herzfrequenz 72/min). In der körperlichen Untersuchung waren keine Auffälligkeiten feststellbar. Die kardialen Biomarker high-sensitive Troponin T und Kreatinkinase waren nicht erhöht. Welche EKG-Veränderungen (Abb. 1) bestehen und wie kommen diese zustande?
  
    
  
  
    Abbildung 1.
      EKG bei Eintritt.
  
 
   Abbildung 1.
      EKG bei Eintritt.
  
 
  Diskussion
Die vorliegende initiale Elektrokardiographie (EKG) (Abb. 1) zeigt eine deszendierende ST-Senkung sowie eine T-Inversion in den inferioren Ableitungen III und aVF.
Im Verlaufs-EKG (Abb. 2), welches nach vier Stunden unauffälliger klinischer Überwachung aufgezeichnet wurde, zeigt sich eine Aufrichtung der T-Welle insbesondere in Ableitung aVF, zudem ist die ST-Senkung in den Ableitungen III und aVF nur noch angedeutet zu erkennen. Nach einer initialen Verabreichung von Lorazepam war der Patient im Verlauf stets beschwerdefrei. Das klinische Bild, die EKG-Veränderungen und die rasche Regredienz aller Befunde interpretierten wir im Rahmen einer Ketamin-Intoxikation.
Ketamin ist ein Anästhetikum mit guter analgetischer Wirkung, fehlender kardiorespiratorischer Beeinträchtigung, jedoch mit unerwünschten psychotropen Wirkungen (dissoziative Anästhesie). Genau aufgrund dieser Nebeneffekte wird Ketamin gelegentlich missbräuchlich eingesetzt. Ketamin weist dosisabhängig kardiotoxische Nebenwirkungen auf, insbesondere lokal über eine via sympathisches Nervensystem vermittelte massive synaptische Noradrenalin-Exkretion mit verminderter Wiederaufnahme sowie systemisch über eine Freisetzung von Adrenalin aus den Nebennieren. Dieser «Katecholamin-Sturm» führt zur kardiotoxischen Wirkung über eine herabgesetzte Toleranz der Kardiomyozyten gegenüber einer cAMP-vermittelten Kalziumüberladung sowie Sauerstoffbedingten freien Radikalen. Zusätzlich führen exzessive Katecholamin-Konzentrationen zu systemischer arterieller Hypertonie, erhöhtem myokardialem Sauerstoffbedarf sowie potentiell signifikantem Vasospasmus. Diese pathophysiologischen Vorgänge resultieren in subendokardialer Ischämie, Mikroblutungen und fokalen Nekrosen des Myokards. Elektrokardiographisch lassen sich typischerweise transiente ST-Streckenhebungen und / oder diffuse T-Inversionen nachweisen. Liegt eine relevante linksventrikuläre Dysfunktion vor, spricht man von einer Stress-Kardiomyopathie. Dies umfasst auch Entitäten wie die Takotsubo-Kardiomyopathie oder die neurogene Stress-Kardiomyopathie im Rahmen einer akuten neurologischen Erkrankung, namentlich einer Subarachnoidalblutung.
  
    
  
  
    Abbildung 2.
      EKG im Verlauf (nach 4 Stunden).
  
 
   Abbildung 2.
      EKG im Verlauf (nach 4 Stunden).
  
 
Die durch eine Ketamin-Intoxikation verursachten kardiovaskulären Symptome und Befunde (in Klammern deren Häufigkeit gemäss einer aktuellen Untersuchung von Ng et al.) sind innert weniger Stunden regredient und umfassen insbesondere arterielle Hypertonie (40%), Tachykardie (39%), Dyspnoe (7%), Thoraxschmerzen (6%) und Palpitationen (5%).
Schwerwiegende Verläufe wurden bei reinem Ketamin-Konsum in oben genannter Untersuchung nicht beobachtet. Oral verabreichtes Ketamin erreicht aufgrund eines hohen First-pass-Effekts nur zu ca. 17% den systemischen Kreislauf. Neben einer Limitation durch die gastrointestinale Absorbtion scheint hauptsächlich die hepatische Metabolisierung zum ebenfalls aktiven Metaboliten Norketamin hierfür verantwortlich zu sein. Die maximale Plasmakonzentration von oral verabreichtem Ketamin wird nach 30 Minuten erreicht bei einer Halbwertszeit von 174 Minuten.
Ketamin wird – missbräuchlich – auch abseits der Anästhesie eingesetzt, insbesondere als Party-Droge. Die Kenntnis von kardialen Nebenwirkungen ist im klinischen Alltag wichtig, insbesondere beim Dienst auf einer Notfallstation. Die durch Ketamin ausgelösten kardiostimulierenden Effekte können durch den Einsatz von Benzodiazepinen, Opiaten oder Beta-Antagonisten therapiert werden.