Unter dem Titel «Cardiology. Quo vadis?—The future of Imaging» unternimmt der Autor einen interessanten «Tour d’horizon» über aktuelle und mögliche zukünftige Paradigmen im Gesundheitswesen mit speziellem Blick auf deren Auswirkungen auf die Kardiologie [
1]. Während einige Parameter wie z.B. der steigende Kostendruck nicht neu und leider absehbar ist, müssen andere Variablen wie der erwähnte erwartete kardiologische Wissenszuwachs der Ungewissheit der Zukunft überlassen bleiben. Dennoch scheint sich auch in der Kardiologie abzuzeichnen, dass eine verstärkte Prävention sowohl Lebenszeit als auch Lebensqualität zu steigern vermag, und dies erst noch kosteneffizient. Denn es ist sehr plausibel, dass pathologische Prozesse nachhaltiger beeinflussbar sind, solange sie noch reversibel sind, und irreversible Beeinträchtigungen vermieden werden können. Sicherlich wird die rasante Entwicklung der kardialen Diagnostik, momentan vorwiegend im Bereich nicht-invasive Diagnostik, einen wesentlichen Teil dazu beitragen. Dabei wird die Problematik immer bestehen bleiben, Daten von Studien und Registries so zu interpretieren, dass wir der individuellen Situation des vor uns sitzenden Patienten gerecht werden können. Vielleicht können verbesserte bildgebende Verfahren dieses sogenannte «fine tuning» der Risikobeurteilung tatsächlich verbessern helfen, indem subklinische Parameter wie präklinische Atherosklerose, endotheliale Dysfunktion usw. erfasst werden können. In grossen Kollektiven erhobene Trends können zwar, müssen aber keineswegs in jedem Fall, für den Einzelnen wegeweisend sein. Kleine Studien bergen jedoch erst recht die Gefahr der unrepräsentativen Patientenselektion, insbesondere wenn sie in immer kleinere Subgruppen zerstückelt werden. So beinhaltet z.B. der im Artikel erwähnte grösste Trial zum Vergleich der Wertigkeit von Herz-MR versus Szintigraphie lediglich 170 Patienten, die erst noch in 4 verschiedenen Protokollen untersucht wur
den. Kommt dazu, dass die Patienten von 18 verschiedenen Zentren rekrutiert wurden, also weniger als 10 Patienten pro Zentrum, trotz Einschlussdauer über 12 Monate. Vermutlich haben u.a. solche Einschränkungen die Autoren dazu bewogen in der offiziellen—deutlich weniger euphorischen Version—festzuhalten, beide Methoden zeigten eine «equal performance in the head-to-head comparison» [
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. Sicher können aber auch im Bereich von Herz-MR in Zukunft Fortschritte erwartet werden, die zu einer etwas breiteren klinischen Anwendung führen dürften. Ob es für bildgebende oder andere Verfahren tatsächlich wichtig sein wird, dass sie wiederholt eingesetzt ein Therapiemonitoring wie z.B. beim Bludruckmessen ermöglichen, ist jedoch weniger klar, da hier ja nicht Messungen vorgenommen, sondern Faktoren beurteilt werden, die eine dichotome Entscheidung für oder gegen eine nachhaltige Therapie erlauben sollten. Aber auch beim einmaligen Einsatz einer Methode darf der potentielle Schaden den Nutzen keinesfalls überwiegen. Ein kurzer Kommentar zum Thema Strahlenbelastung und Krebsrisiko bei der CT-Koronarangiographie scheint daher angebracht. Der Grossteil der Daten zum Thema «strahleninduziertes Krebsrisiko» stammt aus Untersuchungen an den Überlebenden der Atombombenexplosionen im Zweiten Weltkrieg [
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. Die Daten lassen auf eine lineare Zunahme des Malignomrisikos bei Exposition von ca. 5–150 mSv schliessen [
4]
, was auch bei niedriger kontinuierlicher Exposition in der Atomindustrie bestätigt werden konnte. Daraus lässt sich bei einem 45-jährigen Mann eine Erhöhung des Krebsrisikos aufgrund eines CT mit 12 mSv von theoretisch 0,08% errechnen [
4]
. Als Beispiel für die rasante Entwicklung der Technologien sei aber erwähnt, dass es mit der Anfang 2008 von uns eingeführten Technik des prospektiven EKGTriggering gelungen ist, die Strahlenbelastung der CT-Koronarangiographie massiv zu reduzieren; in unserer Klinik liegt sie derzeit bei durchschnittlich ca. 2 mSv [
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. Es besteht aber kein Zweifel, dass dem Herz-MR hier die Zukunft gehört, sollte es damit einst möglich sein, die Koronararterien so zuverlässig und standardisiert darzustellen wie heutzutage mit der CT.
Sicherlich stellt das molekulare Imaging eine grosse Herausforderung dar, insbesondere wenn gar eine Beinflussung der Krankheitsentstehung angestrebt wird. Bei allem Enthusiasmus betreffend kardialer Bildgebung sollte an dieser Stelle erstens vor übertriebenen Erwartungen gewarnt und zweitens darauf hingewiesen werden, dass effektive Fortschritte der Bildgebung auch zur Verfälschung der Überlebensstatistiken führen können. Dies ist ein in der onkologischen Diagnostik alt bekanntes Phänomen und wird dort als sogenannter «Will Rogers»-Effekt bezeichnet [
6], nach dem Spruch des gleichnamigen Schauspielers mit dem Inhalt «When the Okies left Oklahoma and moved to California, they raised the average intelligence level in both states». Damit wird auf den anscheinend paradoxen Effekt hingewiesen, dass bei Verschiebung eines Elementes von Gruppe A zu Gruppe B der Mittelwert in beiden Gruppen steigen kann. Feinstein et al. haben diesen Begriff in die Medizin übernommen im Zusammenhang mit der sogenannten «stage migration», also der Veränderung im Tumorstadium die auftritt, wenn man eine bessere Diagnostik einführt. Sehr eindrücklich erfolgte dies bei der Einführung der onkologischen PET-Diagnostik [
7]: Aufgrund der massiv verbesserten Früherkennung von Metastasen entstand eine sogenannte «medical stage migration», wobei Patienten im Kollektiv mit vermeintlichem Frühstadium nun in ein fortgeschritteneres Stadium eingeteilt werden. Die Prognose des Kollektivs mit Früh
stadium wird dadurch verbessert, weil sich die Selektion verbessert. Paradoxerweise verbessert sich aber auch die Prognose im fortgeschritteneren Stadium, weil dort Patienten sind, die bereits mit der älteren Technologie als kränker galten. Aufgrund der verbesserten Diagnostik kann sich also eine vermeintliche global Erhöhung der Lebenserwartung ergeben. Eine Fehlinterpretation dieses Dominoeffektes könnte z.B. darin liegen, das verbesserte Outcome fälschlicherweise dem anscheinend durchschlagenden Erfolg einer neuen Therapiestrategie zuzuschreiben. Erst kürzlich wurde auf die Ähnlichkeit der Problematik bei der Bestimmung der relativen Lebenserwartung zwischen Onkologie und Kardiologie hingewiesen [
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). Auch das «Will Rogers»Phänomen sollte künftig in der Kardiologie vermehrt berücksichtigt werden, insbesondere bei Einführung neuer diagnostischer Technologien. Am besten schon bei deren Planung. Imagine the future.