Historisches zu Beginn
Als Christoph Kolumbus (1451–1506) von der Idee gepackt wurde, einen direkten Weg nach Indien zu finden, machte er sich auf die Suche nach einem Sponsor. Joao I. von Portugal konnte er nicht überzeugen, zu gefährlich und unsicher erschien dem König das Vorhaben, ins Nichts des weiten Atlantiks zu segeln [
1].
Also machte sich Kolumbus nach Spanien auf, wo Isabel la Católica von Kastilien und Ferdinand von Aragon mit eiserner Hand herrschten. Im Frühjahr 1492 hatte Isabella die letzte Bastion der Mohren, die Stadt Granada, erobert. Kolumbus besuchte sie in ihrem Heerlager und versuchte sie für seine Entdeckungsreise zu gewinnen (Abb. 1). Dabei ging er nicht bescheiden vor: Adelstitel als «Don», Admiral der Spanischen Flotte, Vizekönig der neuen Gebiete, ein Zehntel des Gewinns und ein Achtel aller Handelsunternehmungen waren seine Forderungen—der Entdeckung gingen bedeutende Interessenkonflikte voraus.
«Die Junta sagte, dass es unmöglich sei, den Atlantik zu überqueren» meinte die Königin zum Bittsteller (Dialog aus dem Film Die Eroberung des Paradieses mit Gerard Depardieu als Cristoph Columbus.). «Was sagten sie bis vor kurzem über Granada?» fragte Kolumbus zurück. «Dass es uneinnehmbar sei» gestand die Königin ein—und er hatte gewonnen.
Ist die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus’ Interessenkonflikte verhindert worden? War seine Entdeckung deswegen weniger wert? [
2] Kaum—vielmehr hatte er hatte mit seiner verrückten Idee die Welt verändert. Gewiss, er hatte Gold und Ehre gesucht, dennoch war seine Entdeckung von historischer Bedeutung—kurz: Ein Wert an sich, unabhängig von allen persönlichen Interessen
  
    
  
  
    Abbildung 1.
      Christoph Columbus, Entdecker Amerikas, und seine Sponsorin Isabel la Católica. Denkmal von Mariano Benlliur auf der Plaza de Isabel la Católica in Granada. Foto: © Gunold Brunbauer, Dreamstime.com.
  
 
   Abbildung 1.
      Christoph Columbus, Entdecker Amerikas, und seine Sponsorin Isabel la Católica. Denkmal von Mariano Benlliur auf der Plaza de Isabel la Católica in Granada. Foto: © Gunold Brunbauer, Dreamstime.com.
  
 
  Neuzeit
Als Andreas R. Grüntzig (1939–1985) sich in Zürich anschickte, bis anhin nur mit chirurgischen Eingriffen angehbare Gefässerkrankungen elegant mit einem Ballonkatheter zu behandeln [
3], brauchte er einen kommerziellen Partner. Anfänglich ein Garagenbetrieb klassischer Sorte, entwickelte sich Schneider Medintag AG zu einem stattlichen Betrieb in Bülach und schliesslich zu einem weltweiten Unternehmen. Auch Grüntzig landete in Amerika, verdiente viel Geld, leistete sich eine herrschaftliches Haus in Atlanta, einen Feriensitz auf einer Insel ausserhalb der Küste Georgias und ein Privatflugzeug, das ihm zum Verhängnis wurde. Wird sein Beitrag an die interventionelle Kardiologie dadurch geschmälert, dass er auch finanziell Erfolg hatte? [
4] Gewiss nicht, er hat die Medizin und damit die Patientenbetreuung nachhaltig verändert.
Zuletzt ein Beispiel aus der forschenden Industrie: Hartmann Stähelin (1925–2011) und Jean Borel (*1933) haben bei Sandoz ihr Brot verdient. Hartmann Stähelin wurde durch seine Entdeckung nicht reich und Jean Borel des Ruhms nicht froh [
5]. Ihr Arbeitgeber Sandoz aber machte daraus Sandimmun® und verdiente wie ihre Nachfolgerin Novartis Milliarden. Hat dies den Wert von Cyclosporin geschmälert? Nein, die Entdeckung des Immunosuppressivums hat Organübertragungen wirklich ermöglicht und zahllosen Menschen das Leben gerettet. Daneben schuf der kommerzielle Erfolg Arbeitsstellen und Steuereinnahmen für Basel—ein unübersehbarer gesellschaftlicher Wert.
  Der vergessene Inhalt
Nur das Erreichte zählt—das Bedeutende überlebt unabhängig von den Umständen seiner Entstehung und möglichen Interessen. Die öffentlich verbreitete Haltung ist entgegen jeder Erfahrung nur noch auf Interessenkonflikte fixiert und blendet Inhalt und Ergebnis von Forschungen und Entwicklungen aus. Dass die Geschichte der einzig verlässliche Richter der Wahrheit ist und bleibt, geht völlig unter.
Gewiss, der Erkenntnisprozess kann durch Interessen, Erwartungen und Hoffnungen nicht nur angeregt, sondern auch beeinflusst werden. Damit stellen sich Fragen, wie wir damit umgehen und Erkenntnis allen Bias zum Trotz sicherstellen können. Ist dies auch möglich?
Dazu einige Beispiele: Als einer der Autoren eine Studie mit Dalcetrapib, das wirksam das HDL-Cholesterin erhöhte, für Roche leitete und für seinen Aufwand entschädigt wurde, hinderte ihn dies daran, die Wahrheit zu berichten? Gewiss nicht, da sein Selbstverständnis als Forscher auf dem Spiel stand. Die Wirkungslosigkeit von Dalcetrapib auf die Endothelfunktion von Patienten mit koronarer Herzkrankheit in der Dal-Vessel-Studie wurde im Board von Roche vorgestellt und als Fast track veröffentlicht [
6]. Es waren Daten, die als Vorboten der neutralen Dal-OutcomesStudie [
7] den Absturz des Entwicklungsprogramms und einen riesigen Verlust für die Firma Roche voraussagten. Den «Dal Vessel Investigators» war die Wahrheit, ihre Glaubwürdigkeit und die Nachhaltigkeit des Erforschten wichtig. Materielle Vorteile oder Angst vor den ökomischen Folgen der Ergebnisse, sofern sie existiert hätten, spielten keine Rolle. Gleiches geschah kürzlich mit einer unglücklichen Start-up-Company, die ein rekonstituiertes HDL zu entwicklen suchte [
8]. In gleicher Weise berichteten die Investigators der EchoCRT-Studie über die Wirkungslosigkeit des biventrikulären Pacings bei Patienten mit Herzinsuffizienz ohne Linksschenkelblock [
9], obgleich sie für Ihren Aufwand Honorare von Biotronik erhalten hatten—der ehrlich berichtete Inhalt machte die Offenlegung der Interessenkonflikte fast schon überflüssig.
Wie ist das möglich? So fragen die aufgeregten Vertreter der heutigen Verdachtskultur. Was Wissenschaft ausmacht, ist eine Kultur der Ehrlichkeit und Nachhaltigkeit, getragen von der Überzeugung, dass allein die Wahrheit den Anforderungen gerecht wird und Ruf und Glaubwürdigkeit der Forscher wie des Erforschten sich langfristig nur so erhalten. Eigene Ergebnisse, die durch andere nicht reproduzierbar sind, sind der Schrecken eines jeden ehrlichen Forschers. Im Gegensatz zu Theologie, Philosophie und anderen Bereichen der Geisteswissenschaften ist es das Wesen naturwissenschaftlicher Forschung, dass sie reproduzierbare Evidenz erzeugt [
10]—ja, die Bestätigung eigener Befunde durch andere Forscher ist der Lackmustest jeder Erkenntnis. Es muss das Anliegen eines jeden Forschers sein, die Methodik und das Studiendesign seines Tuns wie auch die Resultate so zu beschreiben, dass sie für seine Kollegen nachvollziehbar sind.
   Leitplanken
Sichergestellt wird die Qualität der klinischen Forschung weiter durch Studienregister [
11] und Designpublikationen [
12,
13], welche die Struktur, Einschlusskriterien, Endpunkte und vorgesehene Analyse einer laufenden Studie vor dem Brechen des Randomisierungscodes öffentlich machen.
Am wirksamsten aber sind die Vorgaben der Registrierungsbehörden wie der Federal Drug Administration (FDA), der European Medical Agency (EMEA) und der Swissmedic, die sicherstellen, dass Studien auf beste Weise durchgeführt werden, da nur dies zur einer Registrierung eines Produktes führt. Ja, die Sicherheitsauflagen und später Wirksamkeitserwartungen der FDA nach der Contergan Katastrophe Anfang der 60er Jahre haben Evidence based Medicine erst geschaffen. Auch die Industrie begann sich daran zu halten, denn nur wenn bei klaren Vorgaben ein Return of Investment möglich ist, wird investiert—Bernard Mandervilles [
14] and Adam Smiths [
15] «unsichtbare Hand» lässt grüssen.
Dazu kam für Behörden, Mediziner und Patienten die Gewissheit, dass registrierte Produkte sicher und wirksam sind—ein nicht zu unterschätzender Gewinn.
  Was ist das Problem?
Der geneigte Leser mag sich fragen: Was ist das Problem? Gewiss, Betrüger und Schummler gab es auch in Medizin und Forschung von John Darsee bis in die jüngste Zeit [
16,
17]—das lässt sich wohl nie verhindern. Immerhin haben Lügen, wie die Geschichte zeigt, kurze Beine, unseriöse Forschung entlarvt sich früher oder später selbst—Unfundiertes wird über kurz oder lang falsifiziert [
18].
Dennoch haben wir alle Erwartungen, Hoffnungen und Meinungen, kurz auf Neudeutsch 
Bias, die unser Urteilsvermögen beeinflussen. Dass dies nur durch geldwerte Vorteile geschehe, gehört zu den Illusionen einer geldorientierten Kultur. Ohne Zweifel beeinflusst unsere Tätigkeit (sei es als Imager, Verschreiber von Medikamenten, Interventionalist oder Chirurge) unser Urteilsvermögen ebenso stark. Wer seine Karriere dem MRI widmet, ist nicht der beste Gutachter für eine Studie über Stressecho. Wer Antihypertensiva verschreibt, mag die Nierennervenablation als Bedrohung empfinden [
19].Wer operieren will, steht der perkutanen koronaren Intervention (PCI) kritischer gegenüber als einer der dies von Berufs wegen macht—kurz, wir alle haben 
Bias und gerade deshalb ist der Weg zur Evidenz eine 
«bumpy road» [
20]—Interessen liegen also bei jedem Erkenntnisprozess vor (ja sie gehören zur Grundmotivation dieses anspruchsvollen Unternehmens).
  
    
  
  
    Abbildung 2.
      Immanuel Kant (1724–1804, links) und Karl R. Popper (1902–1994, rechts), zwei Philosophen, die das kritische und rationale Denken [
37] des autonomen Subjekts wie auch die Falsifikation («Conjectures and Refutation» [
18]) als Motor der Erkenntnis in die Denkgeschichte eingeführt haben. (Bildquelle: Wikimedia Commons.).
  
 
 
   Abbildung 2.
      Immanuel Kant (1724–1804, links) und Karl R. Popper (1902–1994, rechts), zwei Philosophen, die das kritische und rationale Denken [
37] des autonomen Subjekts wie auch die Falsifikation («Conjectures and Refutation» [
18]) als Motor der Erkenntnis in die Denkgeschichte eingeführt haben. (Bildquelle: Wikimedia Commons.).
 
  
 
Es geht nicht nur um finanzielle Conflicts, sondern um Überzeugungen, Hoffnungen, Ängste, ja nicht zuletzt um die eigene Karriere. Gerade Letzteres spielt in der Grundlagenforschung, wo es um Publikationen in den besten Journalen, um Grants und in vielen Ländern um das Salär geht, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das mag erklären, weshalb Forscher, nicht so selten wie uns lieb wäre, unliebsame Daten entfernen, ja gelegentlich sogar ändern [
21]. Die steigende Zahl von «Retractions» in Journalen mit hohem Impact Factor dürfte damit zusammenhängen [
22].
Somit muss in einem Meer von Erwartungen, Wünschen, Hoffnungen, Vorurteilen und Verführungen die eigene Urteilskraft erhalten bleiben. Hüten müssen wir uns von unvalidierten Krankheitsmodellen, vor kleinen Patientenpopulationen, vor geringen Wirkungen, vor ungeblindeten Studien, vor multiplen statistischen Vergleichen und enthusiastischen Schlussfolgerungen—hier müssen die roten Flaggen unseres Urteilsvermögens gehisst werden [
23,
24].
Und gewiss, allen Regelungen zum Trotz hat auch die Industrie gesündigt: Die Vioxx Affäre ist ein düsteres Beispiel unerkannter, dann verheimlichter und schliesslich offensichtlicher Nebenwirkungen eines innovativen Zyklooxygenase 2 Hemmers zur Schmerztherapie. Bereits 1999 war bekannt, dass Rofecoxib die Prostacyclinproduktion hemmt und thrombogen wirkt; dennoch dauerte es bis 2004, bis anerkannt wurde, dass das Medikament vermehrt Herzinfarkte verursacht, und es vom Hersteller zurückgezogen wurde [
25]. Ähnliches liesse sich von Rosiglitazon berichten [
26].
  Transparenz—ein Allheilmittel?
Wo es Menschen gibt, gibt es Regeln [
27]—so auch in der Medizin und Forschung. Heute wird Transparenz als Allheilmittel gehandelt. Nur wenn alle alles von allen wissen, so die Devise, ist die Welt in Ordnung—ein einfaches Rezept, das scheinbar alle—oder doch die politischen und medialen Meinungsmacher—überzeugt. Warum diese weltweite Forderung nach Transparenz? Sichtbarkeit wird dort zur Forderung, wo Vertrauen fehlt [
28]. Wo keiner dem anderen über den Weg traut, will man jeden, wie an den Sicherheitskontrollen an Flughäfen, vollumfänglich durchleuchten. Warum diese Verdachtskultur in einer Zeit, in welcher Beeindruckendes entdeckt und entwickelt wurde, die sichersten und wirksamsten Medikamente erhältlich sind, ja die beste Medizin aller Zeiten verfügbar ist? Gewiss, es gab neben allen Erfolgen auch Skandale, Missbrauch und Betrug [
16,
29], doch sind sie im Vergleich zum Erreichten die Ausnahme. Die Frage ist dennoch berechtigt, wie sich auch dies vermeiden liesse. Erfüllt das Transparenzprinzip diesen Zweck? Was gewinnen wir mit der Forderung nach allumfassender Sichtbarkeit? Wissen wir aufgrund der deklarierten Interessenkonflikte, ob das Berichtete wahr oder falsch ist? In der Praxis erlebt man diesen Zeitgeist so: Man sitzt in einem Auditorium eines mehr oder weniger bedeutenden Meetings und hört sich den ersten Redner an. Nach dem Titelslide kommt er gleich zur Sache: «Here are my conflicts … next slide!» Das Bild mit einem Dutzend Firmennamen, verschwindet, kaum hat es das Licht der Welt erblickt, ohne dass wir es lesen, geschweige denn den Inhalt aufnehmen konnten.
Auch wenn es länger sichtbar bliebe, ist uns kaum geholfen. Ja, je länger die Liste der Firmennamen, umso mehr ist man verwirrt auf einer höheren Ebene: Welcher Interessenskonflikt ist wichtig? Gewiss, je mehr Conflicts ein Key-Opinion-Leader hat, desto unabhängiger ist er [
2]; nur wer mit vielen verbunden ist, vermag auch einmal nein sagen [
26]. Doch interessiert im Zusammenhang mit einer Untersuchung nicht in erster Linie ihre direkte Finanzierung? Eine überlange Liste verdunkelt eher bedeutende Interessen, als dass sie sie deutlich macht.
  Das eigentlich Wichtige
Dann wendet man sich dem Inhalt zu, der eigentlich wichtigen Sache, die zunehmend vergessen geht. Das eigene Urteilsvermögen ist hier das Entscheidende: Sind die Daten nach besten Standards erhoben worden? Werden die Schlussfolgerungen durch die gezeigten Daten gestützt? War die Interpretation der Befunde ausgewogen? Wurde das Ausmass der Wirkung angemessen eingeschätzt? Wir würden besser unser Urteilsvermögen schulen, als uns alleine auf die Liste von Conflicts zu verlassen—das Wichtigste geht im heutigen Geschrei nach Sichtbarkeit unter: Unser kritischer Verstand, unsere Fähigkeit, die Qualität und die Bedeutung des Berichteten einzuschätzen. Wir dürfen uns nicht auf Regularien ausruhen, sondern müssen Selbstverantwortung übernehmen.
Es ist zweifelhaft, ob die Offenlegung der Finanzierung wirklich unser Urteilsvermögen stärkt: Eine randomisierte Studie an 503 Internisten, welchen Abstracts qualitativ unterschiedlicher Medikamentenstudien mit Finanzierungsangaben wie «National Institute of Health (NIH)», «Pharmaindustrie» oder «keine» vorgelegt wurden, ergab, dass unabhängig von der methodischen Qualität die Angabe einer Pharmafinanzierung die Beurteilung im Vergleich mit dem NIH oder keinen Angaben negativ beeinflusste.
  Deklarationen
Dennoch hat Transparenz ihren Wert, wie die VioxxAffäre zeigt: Die Autoren des VIGOR trials [
30] waren bezahlte Consultants bezw. Mitarbeiter von Merck. Was soll nun im Conflict-of-Interest-Statement stehen? Hier dürfen wir uns auf Richtlinien selbsternannter Committees stützen. Zunächst auf die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Dort heisst es: «Transparenzprinzip: Versprochene oder erhaltene geldwerte Leistungen oder Vorteile, insbesondere solche ohne Gegenleistung, müssen offengelegt werden.» Sofort stellt sich die Frage: Welche geldwerten Vorteile? Dazu sagt die SAMW: «Bei der Publikation und Präsentation von Ergebnissen eines Versuchs ist dessen finanzielle oder materielle Unterstützung offen zu legen.» [
31] Das klingt vernünftig, finanzielle Konflikte sind dort zu orten, wo direkt für das Erforschte bezahlt wurde.
Entsprechend äussert sich die American Heart Association (in den Autorenrichtlinien der Zeitschrift «Circulation»): «his pertains to relationships with pharmaceutical companies, biomedical device manufacturers, or other corporations whose products or services are related to the subject matter of the article.» [
32] Dennoch stellt sich die Frage: Was ist zu berichten? Einladungen und Reisen oder Honorare für Vorträge oder Advisory Boards oder Forschungsgrants? Die meisten Richtlinien wissenschaftlicher Zeitschriften empfehlen, Honorare und Grants zu deklarieren.
Nicht alle machen aber dort halt, wo der gesunde Menschenverstand seine Grenzen zieht. In den USA, dem Land, das uns freundlicherweise die heutige Regulierungsdichte bescherte, wird gelegentlich eine Offenlegung aller Verbindungen unabhängig von ihrer Beziehung zur Veröffentlichung verlangt. Selbst die Aktien von Familienmitgliedern werden dazu gezählt, nur der Hund wird ausgenommen.
Immerhin, die International Collaboration of Medical Journal Editors (ICMJE) präzisiert dies; im Conflict-of-Interest Statement [
33] soll Folgendes angegeben werden: 
«This section asks for information about the work that you have submitted for publication. The time frame for this reporting is that of the work itself, from the initial conception and planning to the present. The requested information is about resources that you received, either directly or indirectly (via your institution), to enable you to complete the work.» Zunächst wird festgehalten, dass es um Zuwendungen geht, die das Projekt ermöglicht haben—also nicht um alles, was man je erhalten hat. Erstmals wird das Zeitfenster eingegrenzt: Nicht über alle Konflikte der letzten Jahrzehnte sind zu berichten, sondern über diejenigen, die im Zeitraum des Projektes relevant waren—hier hat sich der gesunde Menschenverstand durchgesetzt!
Dann wendet sich die ICMJE auch Zuwendungen ausserhalb des Themas des Vortrags oder der Publikation zu. Hier heisst es: «This section asks about your financial relationships with entities in the biomedical arena that could be perceived to influence, or that give the appearance of potentially influencing, what you wrote in the submitted work. You should disclose interactions with any entity that could be considered broadly relevant to the work.» Das ist schon weniger hilfreich. Was ist ein möglicherweise wahrnehmbarer Interessenkonflikt?
Die Unsicherheit, die diese Regelung in die Welt setzt, versucht die ICMJE durch ein Beispiel zu verringern: «For example, if your article is about testing an epidermal growth factor receptor antagonist in lung cancer, you should report all associations with entities pursuing diagnostic or therapeutic strategies in cancer in general, not just in the area of lung cancer.» Das heisst, das Gebiet scheint entscheidend, nicht der Sponsor als solcher. Zu berichten sind also Verbindungen in der gleichen Krankheitsgruppe, nicht alle Verbindungen in sämtlichen Bereiche der Medizin—das schafft eine gewisse Klarheit, wenn auch eine Unsicherheit bestehen bleibt.
Bedeutender als alle diese Deklarationen aber ist, dass die Autoren die Datenhoheit innehaben, eine unabhängige statistische Analyse gemacht wurde und zuletzt die Originaldaten öffentlich zugänglich gemacht werden, wie dies zunehmend geschieht. Dies schafft Glaubwürdigkeit, da es weitere Analysen ermöglicht und ausstehende Fragen beantwortbar werden.
  Weiteres
Wie steht es mit Editorials, Reviews und Viewpoints? Sie stellen per definitionem die Sichtweise der Autoren dar—insofern kann sich der Leser kritisch einstellen. Dennoch ist eine Interessendeklaration zum Thema in ähnlicher Weise sinnvoll; der relevante Zeitraum bleibt aber unklar, da solche Artikel in wenigen Wochen entstehen. Geldwerte Vorteile für die Publikation sind hier ebenso unangebracht wie die Verwendung von Ghostwritern im Auftrag von Dritten.
Was, wenn Generika [
34], also Medikamentengruppen, in welche nicht mehr investiert wird, zum Thema von Editorials und Viewpoints werden? Hier wird die Deklarationspflicht zum Unsinn, ausser es wurde gegen alle Gepflogenheiten etwas vereinbart.
Bedeutend sind Interessenskonflikte bei der Erstellung von «Guidelines», wie sie die Europäischen und US-amerikanischen Fachgesellschaften herausgeben. Wie lassen sich diese erstellen, wenn alle Experten «Conflicts» haben (was nicht selten der Fall ist)? Transparenz alleine kann nicht genügen, da es sich um Empfehlungen für die Praxis und nicht nur um Tatsachenbefunde handelt. «Guidelines Committees» sollten auch Mitglieder ohne Interessenkonflikte aufweisen, so einen Co-Chairman aus einem anderen Gebiet, wie dies die «European Society of Cardiology» umsetzen will.
Bei Symposien und Kongressen geht es um die Frage, wie die Unabhängigkeit des Programms sichergestellt werden kann. Viele Institutionen, darunter die SAMW [
31], verlangen ein Multisponsoring, um die Unabhängigkeit der Organisatoren und Redner zu gewährleisten. Auch hier gilt: Man ist um so unabhängiger, je mehr Sponsoren man ausweisen kann. Entscheidend ist, wie auch die SAMW festhält, dass Honorare für Redner nicht über den Sponsor, sondern über eine unabhängige Institution (Universität, Spital, Stiftung u.a.m.) abgewickelt werden—die Trennung von Finanzierung und Inhalt ist wichtig. Gleiches gilt auch für wissenschaftliche Zeitschriften: Die Inserateacquisition muss vom Editorial Office strikt getrennt sein.
Forschungsprojekte sind nur in Ausnahmefällen mit multiplen Sponsoren durchführbar—meist geht es um ein bestimmtes Produkt, das aus der Entwicklung einer Firma stammt. Um so wichtiger ist, dass die Verträge von akademischen Institutionen geprüft werden, die Datenbank allen zugänglich ist, das Publikationsrecht unabhängig von den Resultaten sichergestellt und die Geldflüsse über institutionelle Konten abgewickelt werden—so sind sie ein Gewinn für Medizin, Patienten und Gesellschaft.
  Sunshine Act
Ab dem nächsten Jahr werden auch wir mit U.S.-Regelungen beglückt: Die US Behörde «Centers for Medicare & Medicaid Services» (CMS) hat 2011 die Umsetzung der Transparenzund Complianceregeln des «Sunshine Act» veröffentlicht. Deviceund Pharmahersteller, die in den USA durch Krankenversicherungen übernommene Produkte vertreiben, müssen nun alle finanziellen Beziehungen zu Ärzten und medizinischen Institutionen offenlegen, selbst Kaffees und leichte Dinners sind nicht ausgeschlossen. Als Folge werden zunächst alle internationalen Pharmafirmen Ähnliches auch in der Schweiz umsetzen—denn wir leben unter dem Schirm unser amerikanischen Freunde. Ob dies den Wahrheitsgehalt medizinischer Forschung erhöht oder Patienten retten wird, bleibt abzuwarten. Eigentlich wird solche Transparenz zeigen, welche Forscher erfolgreich sind, wessen Rat gefragt ist, wen man als Leiter wichtiger Studien sucht und nicht zuletzt, wer dank vieler Kontakte auch nein sagen kann. Ob dies auch so wahrgenommen wird, wird sich zeigen—die heutige Neidkultur lässt uns anderes befürchten.
Wird die Diskussion um das Ausmass der Deklarationspflicht somit obsolet? Ist nicht alles sowieso für alle zugänglich? Gewiss, im Prinzip ja, dennoch macht es Sinn, bei Projekten, Publikationen und Vorträgen das Wesentliche und nicht alles je Eingegangene anzugeben, denn nur so wird die relevante Interessenbindung sichtbar.
  Charity
Ganz anders sind Donationen anzusehen [
35]. Hier werden von Institutionen oder Privatpersonen Zuwendungen gesprochen, um Projekte zu bestimmten Themen zu ermöglichen, Nachwuchs zu fördern oder Lehrstühle zu schaffen. Die Gegenleistungen sind beschränkt: Namensgebung eines Gebäudes, «Named Professorships», Plaquetten u.a.m.—kurz Ehrungen, welche die Lehrund Forschungsfreiheit nicht beschränken. Dem Zeitgeist gemäss müssen die Vereinbarungen öffentlich gemacht werden. Wegen fehlender Transparenz hat sich in einem Fall in unserem Land der Zorn entzündet. Dies ist bedauerlich, da Harvard, Yale, Imperial und Oxford in erheblichem Masse ihren Erfolg Donationen reicher Alumni, dankbarer Patienten und grosszügiger Bürger verdanken. Wenn die Schweiz hier hintanstehen will, müsste sie sich der Folgen bewusst sein. Was Andrew Carnegie [
36] und nun Bill Gates in den USA vorgemacht haben, sollte uns ein Vorbild sein, wenn wir den Forschungsstandort erhalten wollen.
  The Bottom Line
Wahrlich, wir leben in unsicheren Zeiten—wir werden von ständig weiter reichenden Regelungen überschwemmt und wissen bald nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Paradoxerweise kam es trotz aller Erfolge, unbeachtet vom Leistungsausweis der heutigen Medizin, zu einer Verdachtskultur, in welcher Vertrauen, eine Grundelement jeder Gemeinschaft, sich in Regularien verlor. Gegen die Offenlegung finanzieller Zuwendungen ist nichts einzuwenden; die alleinige Fokussierung auf geldwerte Vorteile aber hat unsere Sichtweise verdreht und Wichtiges verdrängt: Die Fähigkeit, seinen Verstand ohne Anleitung eines anderen zu benützen [
37].
Die hochgehandelte Transparenz hilft uns bei der Bewertung neuer Erkenntnisse nur bedingt weiter, vielmehr ist es die Nachprüfbarkeit, die ihren Wert bestimmt—Sichtbarkeit alleine vermag dies nicht zu ersetzen. Was wir brauchen, ist eine Rückkehr zum autonomen Subjekt, ausgestattet mit kritischem Urteilsvermögen, mit der Fähigkeit, Neues einzustufen, zwischen Tatsachen und Meinungen wie zwischen Fakten und Empfehlungen zu unterscheiden.
Interessendeklarationen mögen unseren Verstand schärfen (vielleicht sogar zu kritisch stimmen) [
38], doch wichtiger als die Umstände der Entstehung neuer Erkenntnisse ist die Sichtung ihrer Begründung und Nachhaltigkeit. Nur wenn wir dies verstehen, können wir wirklich damit umgehen.