Allgemeines
Obwohl Azetylsalizylsäure schon seit 100 Jahren im Gebrauch ist, wurde seine blutplättchenhemmende Wirkung erst spät erkannt und z.B. bei der weltweit ersten Koronardilatation (38-jähriger Patient in Zürich am 16. September 1977) noch nicht eingesetzt. Heute werden Koronarpatienten generell mit Azetylsalizylsäure behandelt. Ein zunehmender Prozentsatz erhält zusätzlich ein Thienopyridin (derzeit zumeist Clopidogrel), vor allem, wenn eine kathetergestützte Intervention erfolgt ist. Solche Interventionen beinhalten heute regelhaft eine Stent-Implantation. Meistens handelt es sich um medikamenteabgebende Stents. Die lebenslange Verschreibung von Azetylsalizylsäure ist unbestritten, die Dauer der Verschreibung zusätzlicher Blutplättchenhemmer hingegen kontrovers. Während für das erste Jahr nach Stent-Implantation der Nutzen der doppelten Blutplättchenhemmung nachgewiesen ist, sind die Daten für die Zeit danach weniger klar. In der grossen CHARISMA-Studie hat sich der Zusatz von Clopidogrel zu Azetylsalizylsäure zwar für die Primärprävention als wirkungslos, für die Sekundärprävention aber als signifikant nützlich erwiesen [
1]. Blutungsprobleme sind häufiger bei doppelter Blutplättchenhemmung. Sie treten indes typischerweise in den ersten Monaten auf. Hat ein Patient doppelte Blutplättchenhemmung im ersten Jahr gut ertragen, ist das verbleibende Risiko einer Blutung kein Grund, die Therapie auf Azetylsalizylsäure allein zurückzufahren. Prasugrel, ein Thienopyridin, das sich effizienter und schneller in den aktiven Metaboliten umwandelt als Clopidogrel, wurde kürzlich im Schweizer Markt eingeführt [
2]. Ticagrelor, ein reversibler und direkt aktiver Inhibitor des ADP-Blutplättchenrezeptors, erfüllt ebenfalls die Bedingungen zur Markteinführung [
3]. Durch diese beiden Medikamente werden die teuren und nur intravenös verabreichten Glykoprotein-(GP-) IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten (Abciximab, Eptifibatid, Tirofiban) selbst in der Spitalmedizin zu Nischenprodukten werden.
Möglichkeiten der Blutplättchenhemmung
Die Abbildungen 1 und 2 geben die Möglichkeiten der Blutplättchenhemmung wieder. Verschiedene Mechanismen führen zur Aktivierung der einzelnen Rezeptoren und bieten sich zur indirekten Plättchenhemmung an. Jedes Blutplättchen verfügt über ungefähr 100,000 GP-IIb/IIIa-Rezeptoren, welche nur bei aktivierten Blutplättchen an der Oberfläche sind.
Abbildung 1.
Der Glykoprotein (GP)-IIb/IIIa-Rezeptor ist der eigentliche Koppelungsrezeptor (ca. 100 000 pro Blutplättchen), der durch die Aktivierung der Rezeptoren links an die Oberfläche gebracht und aktiviert wird.
Abbildung 1.
Der Glykoprotein (GP)-IIb/IIIa-Rezeptor ist der eigentliche Koppelungsrezeptor (ca. 100 000 pro Blutplättchen), der durch die Aktivierung der Rezeptoren links an die Oberfläche gebracht und aktiviert wird.
Abbildung 2.
Die derzeit möglichen klinisch benutzten Angriffspunkte zur Verhinderung der Aktivation/Aggregation sind eingezeichnet. Die Markennamen sind in Klammern angegeben.
Abbildung 2.
Die derzeit möglichen klinisch benutzten Angriffspunkte zur Verhinderung der Aktivation/Aggregation sind eingezeichnet. Die Markennamen sind in Klammern angegeben.
Die naheliegendste Blutplättchenhemmung erfolgt sinngemäss durch die direkte Blockierung der GPIIb/IIIa-Rezeptoren. Hiefür gibt es bis anhin indes lediglich intravenöse und relativ teure Medikamente.
Die Thromboxan-A2-Hemmung ist mit der Azetylsalizylsäure möglich. Von den ADP-Rezeptoren wird der P2Y12-Rezeptor durch die beiden Thienopyridine Clopidogrel und Prasugrel irreversibel, durch das Zyklopentyl-Triazolopyrimidin Ticagrelor reversibel gehemmt. Die Hemmung der Adrenalin- und Serotonin-Rezeptoren haben sich wegen Nebenwirkungen entsprechender Medikamente nicht bewährt. Die Hemmung der Thrombin-Rezeptoren wird gegenwärtig klinisch mittels direktem Thrombin-Rezeptor-Hemmer untersucht. Die Kollagen-Rezeptoren werden indirekt durch EndothelStabilisierung durch die Statine gehemmt.
Zur Langzeittherapie stehen derzeit in Europa Azetylsalizylsäure und Clopidogrel im Vordergrund. Prasugrel wird derzeit eingeführt und Ticagrelor kann 2010 erwartet werden.
Zusätzlich werden vorwiegend in Asien Cilostazol (Phosphodiesterase-Hemmer) und in den USA Dipyridamol (Adenosin-Wiederaufnahmehemmer) verwendet. Während Dipyridamol nur im Doppelpack mit Azetylsalizylsäure gute klinische Daten hat, hat Cilostazol nach Koronarstenting sogar zusätzlich zu Azetylsalizylsäure und Clopidogrel einen Nutzen bewiesen [
4,
5].
Azetylsalizylsäure hat sich in fast allen Studien in der Sekundärprävention als wirksam erwiesen. Bei der Primärprävention gibt es negative Studien bzw. Teilerfolge. So scheint es bei Männern gegen Herzinfarkte, bei Frauen gegen Hirnschläge zu wirken. Eine neue Studie, welche keinen Effekt zeigte bei Gesunden mit einem pathologischen ABI (Ankle Brachial Index) ist kontrovers. Die kurze Verlaufszeit bei Gesunden (der ABI ist nur ein sehr indirekter Hinweis auf Atherosklerose bzw. Risikoerhöhung) liess keinen Wirkungsnachweis erwarten. Bezüglich Dosierung haben sich eindeutig niedrige Dosierungen mit gleicher Wirksamkeit und geringerem Blutungsrisiko sowie besserer Magenverträglichkeit durchgesetzt. In Europa sind dies in der Regel 100 mg, in den USA 80 mg (¼ der ursprünglichen 5 Körner, welche 324 mg wiegen) [
6].
Clopidogrel hat das an sich etwas wirksamere Ticlopidin vollständig ersetzt, weil letzteres 2 × täglich verabreicht werden musste und in einigen Prozenten zur Myelodepression führte, was regelmässige Blutbildkontrollen erforderte. Clopidogrel wird gegenwärtig 1 × täglich mit 75 mg dosiert. Die bessere Wirksamkeit des Prasugrels hat indes die Tendenz zu höherer Clopidogrel-Dosierung verstärkt. Beide Thienopyridine sind inaktive Vorformen und in vitro gleich aktiv, wenn man die aktiven Metaboliten identisch dosiert [
7,
8]. Clopidogrel hat indessen einen langsameren und komplizierteren Aktivierungsmechanismus als Prasugrel [
9,
10]. Sowohl im Darm als auch in der Leber sind verschiedene Enzyme notwendig, darunter 2-mal das Allel CYP2C19 des Zytochroms P450. Die Tatsache, dass diese Zytochrome von Statinen und Protonenpumpen-Inhibitoren ebenfalls beansprucht werden, hat zu Laboruntersuchungen geführt, die zeigten, dass die Aktivierung des Clopidogrels durch die bei Koronarikern häufig gleichzeitig verwendeten Lipidsenker und Säurehemmer gehemmt werden. Die diesbezüglichen klinischen Untersuchungen waren indes durchwegs negativ und eine beeinträchtigte Wirksamkeit des Clopidogrels wurde nicht gefunden [
11,
12]. Dem Clopidogrel haftet der Nachteil des relativ langsamen Wirkungseintritts, der schlechten Aktivierung bei über 20% der Bevölkerung (partielle Resistenz) sowie der irreversiblen Hemmung der Blutplättchen an. Um den Wirkungseintritt beim akuten Koronarsyndrom zu beschleunigen, werden heute mindestens 600 mg oder gar 900 mg orale Ladedosis Clopidogrel empfohlen [
13]. Auch Coumadin soll im Labor die Clopidogrel-Aktivität vermindern. Dies würde wohl selbst, wenn es klinisch relevant wäre, durch die zusätzliche blutverdünnende Wirkung des Coumadins überdeckt. Um eine Wirkung auch bei schlechten Aktivierern zu erreichen, kann die Clopidogrel-Dosis verdoppelt werden, was kürzlich eine klinisch verbesserte Wirkung gezeigt hat (CURRENT-Studie) [
14]. Die irreversible Wirkung bedingt, dass eine normale Blutplättchenfunktion erst nach einigen Tagen wieder erreicht wird. Clopidogrel bewirkt eine etwa 60prozentige Blutplättchenhemmung. Geht man davon aus, dass pro Tag 10% der Blutplättchen erneuert werden, sind nach 4 Tagen nur noch 20% der Blutplättchen gehemmt, was bei Zahneingriffen oder Operationen keine signifikante Blutungserhöhung verursachen sollte.
Abbildung 3.
Metabolismus und Wirkungsweg der klinisch getesteten P2Y12-Blutplättchenhemmer. Die Markennamen sind in Klammern angegeben.
Abbildung 3.
Metabolismus und Wirkungsweg der klinisch getesteten P2Y12-Blutplättchenhemmer. Die Markennamen sind in Klammern angegeben.
Prasugrel ist wie das Clopidogrel ein Thienopyridin, muss in der Leber aktiviert werden und hemmt die Blutplättchen irreversibel. Die Aktivierung erfolgt indes schneller und in einfacheren Schritten. Das kompetitiv von den Protonenpumpen-Inhibitoren verwendete CYP2C19 spielt dabei eine wesentlich geringere Rolle als beim Clopidogrel. In der TRITON-Studie [
2] wurde bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom auf dem Hintergrund von Azetylsalizylsäure mit 60 mg Ladedosis und 10 mg oraler Erhaltungsdosis von Prasugrel eine bessere Wirkung bezüglich Prävention von Herzinfarkt und Hirninfarkt bewirkt als mit Clopidogrel (300 mg Ladedosis und 75 mg Erhaltungsdosis). Allerdings war das Blutungsrisiko unter Prasugrel erhöht, weshalb bei der Markteinführung bei Patienten unter 60 kg eine kleinere Dosis Prasugrel empfohlen wird sowie vom Prasugrel-Einsatz bei Patienten über 75 Jahren und solchen mit vorangegangenem Hirninfarkt eher abgeraten wird. Zudem steht noch die Sorge einer etwas erhöhten Tumoranfälligkeit unter Prasugrel-Einnahme im Raum, welche offenbar nicht ausschliesslich dadurch bedingt ist, dass Magen-Darm-Tumoren oft durch blutverdünnende Mittel nur aufgedeckt und nicht verursacht werden.
Ticagrelor hat in der PLATO-Studie [
3] vor einem Hintergrund mit Azetylsalizylsäure mit einer Ladedosis von 180 mg gefolgt von 2 × täglich 90 mg oraler Erhaltensdosis gegenüber Clopidogrel mit einer Ladedosis von 300 bis 600 mg und 75 mg Erhaltungsdosis sogar einen Überlebensvorteil gezeigt. Die Studie war riesig mit fast 20,000 Patienten und einem Jahr Verlaufsbeobachtung. Im Gegensatz zu Prasugrel wurde dieser Vorteil ohne erhöhtes Blutungsrisiko erreicht. Allerdings traten bei etwa 10% der Patienten unter Ticagrelor Atembeschwerden auf. Das Ticagrelor hat den Vorteil, ohne Metabolisierung aktiv zu sein. Damit wirkt es unabhängig von anderen Medikamenten. Ausserdem hemmt es die Blutplättchen reversibel, was einerseits eine rasche Neutralisierung der Wirkung ermöglicht, anderseits aber 2 × tägliche Verabreichung erfordert.
Die wesentlichen Merkmale der drei modernen oralen Blutplättchenhemmer sind in Abbildung 3 zusammengefasst.